Exzeß und Fraktur des Anderen.
Die Braut, die Junggesellen und ihre Zeugen
- Drei (Wunsch)szenen -
Bernini: Die Ekstasen der Hl. Theresa; Freud: Der Traum von Irmas Injektion;
Duchamp: Das Große Glas - La mariée mise à nu par ses
célibataires, même.
VII
Astrid Nettling
artefact text
and translation
Cologne, Germany
Von jedem, der fasziniert ist, läßt sich
sagen,
daß er kein reales Objekt, keine wirkliche Figur wahrnimmt,
denn was er sieht, gehört nicht der Welt der Wirklichkeit,
sondern dem unbestimmten Bereich der Faszination an.
Maurice Blanchot
Ce sont les regardeurs qui font le tableau.
Marcel Duchamp
Version 1.0 April 1992
Inhaltsverzeichnis
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VII
-
Aber auch Bernini als Bildhauer muß inszenieren, muß dieses
Undarstellbare zur Ek-sistenz bringen, muß das Undarstellbare an
den Punkt führen, wo es verlockt wird zu erscheinen, vermittelt über
das "weibliche" Spiel von Reserve und Zum-Vorschein-kommen. Er setzt sie
mit Hilfe der jungfräulichen Braut ins Werk, diese Spannung, die in
dem erblühenden Antlitz Theresas - monstrum des Ex-zesses -
als der Glanz des Genusses des Anderen scheint, Moment höchster Befriedigung,
eine Spannung, die zugleich zum Augenblick einer Exhibition aufblüht.
Exhibere, etwas wird herausgeholt, führt sich vor, gibt sich
als etwas zu erkennen -, etwas wird angeschickt, sich vorzuführen
für das Auge des Betrachters. Es ist dies der Punkt, an dem der Sehende
eingeführt und dahin geführt wird, sich als Voyeur, d.h. als
Begehrender, zu verhalten.
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Die Schaulust und ihr Korrelat die Zeigelust verlaufen über das Sehen
und sein prominentes Organ, das Auge. Beide bilden die zwei Pole einer
Spannung, in welcher die Fraktur des Anderen über die Bewegung des
Begehrens sich vermittelt. Die Befriedigung des Voyeurs beruht in dem,
daß er draußen in dem Tableau der Welt genießt, die er
als Blick aufgehen läßt. Wie die Befriedigung des Träumers
draußen in der Sichtigkeit des Traums sich entfaltet, ist ebenso
beim Voyeurismus der Focus des "Ich sehe" subvertiert. Unter dem Blick
führt er sein Begehren nach draußen, verbleibt jedoch zölibatär
bei sich, er genießt dort - ist aber zugleich ganz Auge -, die sich
vorführenden Anzeichen des Genießens des Anderen, von dem er
imaginiert, die Verursachung zu sein. Denn der Blick läßt vermeintlich
die Statt des Genusses des Anderen aufgehen, es kommt durch ihn sein exhibere
zustande.
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In der Weise reguliert sich auch der Genuß des Betrachters der Ekstasen
der Heiligen Theresa, dessen voyeuristischer Anteil die Figur der Braut
als der immer wieder erneute Augenblick eines exhibere zum Erstehen
bringt. Denn die Kunst Berninis leitet den Betrachter zu dem Punkt, wo
er auf das Extremum der Szene - die Ekstase der Heiligen, deren Erblühen
zur Darstellung kommt - gleichsam spiegelbildhaft antwortet mit seinem
Begehren zu sehen.
-
Es ist dies zugleich der Moment, an dem der Sehende sich in der Position
des Zuschauers einrichtet, der vor dieser Vorführung als ein (Augen)Zeuge
erscheint. Platz des Betrachters, der bezeugt, etwas gesehen zu haben,
der ein Ereignis bezeugt, das die Augenzeugenschaft braucht, ohne die es
nicht gewesen ist, notwendiges Zeugnis der Exhibition. Aber die Augenzeugenschaft
bezeugt (immer schon) in Abwesenheit - danach, in einer Verspätung
gibt sie Zeugnis für ein Geschehen, dessen verschwindende Spur sie
lediglich fest-stellen kann. Denn unzureichend erscheinen ihre Mittel,
das Auge, das wohl zugegen, aber untauglich ist in seiner Optik - es sieht
und es sieht zugleich nichts - und die Sprache, die danach in einer diskursiven
Szene Zeugnis liefert gegenüber Dritten, die das Festgestellte entgegennehmen.
Wie die Stifter in ihren Logen bleiben die Augenzeugen vor dem Geschehen.
Diesem zum größten Teil abgewandt und in ein Gespräch vertieft,
stehen sie hauptsächlich für den sprachlichen Anteil der Zeugenschaft
und bezeugen damit gleichzeitig die Verspätung der ganzen Szene -
die Abwesenheit des Ereignisses -, die danach sich (re)präsentiert,
sich (wieder)erzählt für und durch den Betrachter, der zum Augenzeugen
geworden ist.
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Duchamp hat den konstitutiven Anteil des Betrachters am Bildgeschehen pointiert
- Ce sont les regardeurs, qui font le tableau. Ein Anteil, den er
durch das mise à nu, der Entblößung der Ordnung
des Sehens ins Werk setzt, die die Statt des Sehens aufdeckt als getragen
auf Seiten des "männlichen" Begehrens durch einen zölibatären
Mechanismus - "Der Junggeselle zerreibt seine Schokolade selbst". Der untere
Teil des Bildes ist ausgewiesen als dieser Bereich der Junggesellen. Die
"Neun Männischen Gußformen" - leere Hüllen, hohle "männliche"
Formen (Stationsvorsteher, Priester, Laufbursche eines Warenhauses, Gendarm,
Kürassier, Schutzmann, Leichenträger, Lakai, Piccolo) - werden
in Aktivität versetzt, indem sie durch das "Leuchtgas", Manifestation
ihres Begehrens des Anderen, der Braut, aufgeblasen werden und dadurch
den Kreislauf der zölibatären Maschinerie ihres Begehrens in
Gang setzen, der ihre libidinöse Energie weiterleitet zu den Okulisten-Zeugen.
Diese reflektieren das Begehren der Junggesellen in den Bereich der Braut,
eine Reflexion, die wiederum die Exhibition der Braut auffängt, deren
Erblühen die Okulisten-Zeugen in den Bereich der Junggesellen zurückspiegeln.
-
In dieser Weise funktioniert das Scharnier der Okulisten-Zeugen, wie es
Duchamp in das Große Glas montiert hat. Deren okulistische
Geräte - die optischen Linsen - projizieren das Offenbarwerden der
Ekstase der Braut, machen etwas sichtbar im fraktierten Medium des Bildes
und zugleich kenntlich als das Phänomen einer Brechung, einer Fraktur.
An dieser Position der Okulisten-Zeugen ist denn auch der Betrachter gehalten,
sich im Großen Glas zu situieren - in einer Verspätung,
retard en verre. Als Augenzeuge bezeugt er das exhibere -
das "Erblühen" der Braut, das Bildwerden des Großen Glases
sogar -, sein voyeuristischer Anteil, das Sehen-wollen, ist durch den zölibatären
Mechanismus verbürgt, der gleichsam immer schon am Werk, das Bild
seines Begehrens zu-sehen hervorruft. Er bleibt aber durch seine reflexive
Einstellung in dem Horizont der okularen Anordnung, deren Grenzen er zugleich
erfährt - denn es gibt nichts zu sehen außerhalb des reflexiven
Mediums, dessen Aufdeckung - das mettre-à-nu - ihm als die
Entmystifizierung der Ordnung des Sehens widerfährt.
Anmerkungen VII
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