Exzeß und Fraktur des Anderen.
Die Braut, die Junggesellen und ihre Zeugen
- Drei (Wunsch)szenen -
Bernini: Die Ekstasen der Hl. Theresa; Freud: Der Traum von Irmas Injektion;
Duchamp: Das Große Glas - La mariée mise à nu par ses
célibataires, même.
III
Astrid Nettling
artefact text
and translation
Cologne, Germany
Von jedem, der fasziniert ist, läßt sich
sagen,
daß er kein reales Objekt, keine wirkliche Figur wahrnimmt,
denn was er sieht, gehört nicht der Welt der Wirklichkeit,
sondern dem unbestimmten Bereich der Faszination an.
Maurice Blanchot
Ce sont les regardeurs qui font le tableau.
Marcel Duchamp
Version 1.0 April 1992
Inhaltsverzeichnis
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III
-
Wie setzt Berninis Plastik ihre Eigen-Art in Szene? Wie räumt sie
Sichtigkeit ein, daß gleichwohl ein "Es zeigt" ins Spiel gebracht
wird, der Horizont des "Ich sehe" sich ausgesetzt findet in einem Werk,
das über Visualität sich (ver)mittelt? In einer Hinsicht ist
diese Spannung thematisch, bildet sie das Sujet selbst - das Sehen und
die "Ekstase" und ihr besonderer Bezug zur Sichtigkeit, zur 'Vision', die
"zeigt", bei der ein "Ich sehe" abwesend ist. Jedoch ist über dieses
Sujet hinaus der Raum der Plastik selbst zu entfalten, ist ihr Spielraum
für das Subjekt, das sieht - für den Betrachter -, in der Weise
auseinander-zu-legen, daß jene Spanne zur Wirkung kommt, die den
Abstand zwischen dem "Es zeigt" und dem "Ich sehe" reguliert. Wie auch
der Traum seine Erinnerbarkeit berücksichtigt - die Rücksicht
auf Darstellbarkeit - nimmt die Plastik Berninis den Horizont, in dem Darstellbarkeit
sich organisiert, selbstverständlich auf, führt diesen aber zugleich
in einen Abstand, distanziert gleichsam das Sehen von sich, leitet zu einem
Differenzpunkt weiter, an dem der Horizont der Sichtigkeit zugleich verrückt
ist, ent-stellt.
-
Die Eigen-Art dieser Plastik setzt sich ab. Sie setzt sich ab in einem
Gestus, den die Kunstwissenschaft als manieristisch kennzeichnet. Berninis
Werk stellt anders als der klassische Gestus der Renaissance in seiner
Bezugnahme auf die griechische Kunst nicht in der Weise Sichtigkeit aus,
daß umfassend in ihrem Horizont Seiendes (ein)gestellt ist, in ihm
Anwesendes statthat. Horizein bedeutet: die Grenzen von etwas bestimmen,
etwas begrenzen, auch: einen Begriff begrenzen, bestimmen - der Horizont
begrenzt, gibt den Dingen ihren je eigenen Raum, ihre Statt, macht sie
dadurch ansichtig, bestimmbar. Die griechische Plastik situiert sich ganz
an dieser Grenze, dem sichtbaren Horizont der Körper, und bietet sie
dem Auge als die Statt seines Verweilens dar, macht sie zur Statt des ästhetischen
Kunst-Genusses.
-
Die Ekstasen der Heiligen Theresa ist ein Sakralkunstwerk.[1]
Diese Plastik will etwas anderes vor Augen führen, will über
den Gestus der Absetzung jene Spanne einführen, an der das Sehen an
einen Punkt gebracht wird, wo es eine Ohnmacht erleidet und in ein Nicht-Sehen
umzuschlagen droht. Es ist dies die Dauer einer Auslassung - ein Platz
wird offen gelassen, das Offene wird verhüllt, d.h. bedeckt und gesichert
zugleich -, die ihre Wirkung aus einem Außerhalb nimmt, welches der
Darstellung entzogen bleibt. Spanne einer Auslassung, die Bernini mit dem
Ereignis des Heiligen belegt. Über den Exzeß, die Ekstase, stellt
sich dieses Ereignis ein. An einer beglaubigten Statt vollzieht sich der
Einfall eines Außen in ein Inneres, geschieht der Einfall göttlicher
Transzendenz in die Seele der Heiligen - ein Eindringen, das die Seelen-Statt
der Ent-rückung preisgibt. "Die Seele weiß alsdann auch nicht,
was sie tun soll; sie weiß nicht, ob sie sprechen oder schweigen,
lachen oder weinen soll. Es ist dies eine glorreiche Verrücktheit,
eine himmlische Torheit, in der man die wahre Weisheit erlernt; es ist
dies für die Seele ein überaus wonnevoller Genuß."[2]
-
Berninis Plastik inszeniert diese Spannung zwischen dem "Es zeigt" und
dem "Ich sehe", indem er das Sehen zu dem Umschlagpunkt führt, wo
für einen schwindenden Bruchteil der Betrachter selbst stupefactus
ist - erstaunt, getroffen und außer sich, die Augen geschlossen wie
die Heilige -, bevor das Sehen gleichsam immer schon von der Auslassung
abgesehen hat, das Außen exzediert hält und ein Szenarium sich
präsentieren läßt, die (Re)präsentation Der Ekstasen
der Heiligen Theresa.
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Diese ist ganz in der Weise eines Schauspiels in Szene gesetzt, für
das "Ich sehe" des Betrachters - ein mise-en-scène, dessen
montierten Charakter Bernini langsam zur Entfaltung bringt. Der Betrachter
wird schrittweise an das Extremum, den äußersten Punkt der Darstellung,
herangeführt. Die Cornarokapelle befindet sich im Querhaus der Kirche,
man nähert sich ihr seitlich, nicht frontal, vom Langhaus aus. Durch
eine Schachtelung von Räumen - des Langhauses, des Querhauses, der
Kapelle, also des Einheitsraums von Altar und Stifterlogen - durchläuft
der Betrachter die Szene, bis er zum Extremum vorstößt, zum
unbetretbaren Altarraum selbst. Bernini hat die Führung an das Heilige,
den Höhepunkt des Ganzen, durch eine Lichtregie zu unterstützen
gesucht. Gegen das diffuse Licht, das in der Kirche herrscht, hat er durch
den Einsatz eines verborgenen Fensters, das vom Inneren der Kapelle nicht
zu sehen ist, eine eigene konzentrierte Lichtquelle für die Altargruppe
geschaffen. "Es ist ein Licht, das nur das Altargehäuse erfüllt
und an der Altaröffnung seine Grenze findet. ... Von anderer Konzentration
und Intensität als die gebrochene und zerstreute Helligkeit im Kircheninneren
zeichnet es einen Bezirk höherer Erleuchtung aus jenseits des Tageslichts
... . So gipfelt in der Cornarokapelle eine Entwicklung, die die Altarfront
zur Grenze der Transzendenz werden ließ.[3]
-
Die Szene kommt an der Altargrenze zum Stehen und erreicht dort den höchsten
Grad der Anziehung an das Außen. Das Auge erblickt, wenn es langsam
nach oben schaut, ein wolkiges Gebilde, sein Sehen gerät angesichts
des Amorphen in eine Krisis - es gibt nichts zu sehen. Die Wolke schwebt
im Innern des Altarraums, Theresa im Zustand ihrer Verzückung ist
hingegeben und ermattet auf ihm gebettet, die Augen geschlossen. Gleich
einer Verdichtung konzentriert dieses amorphe Wolkengebilde die Attraktion
an ein Außerhalb, dessen Transzendenz es aber geschützt hält.
-
Der ikonographische Kanon dieser Zeit weist Wolke als Symbol für Gottes
Gnade aus, die sie aufnimmt, sie ist der Schirm, der die ungebrochenen
Strahlen der göttlichen Transzendenz auffängt, sie für den
Horizont des Menschen bricht, und sie ist zugleich Medium des Hl. Geistes.[4]
Die meta-phora der Wolke steht für die Seite der szenischen
Dramaturgie, die das Immer-schon der symbolischen Dimension verbürgt,
den Horizont von Sinn, in dem das Exteriore, die absolute Transzendenz,
sich einrücken muß. Dies zeichnet den (metaphorischen) Zug der
Verhüllung. Zur anderen Seite führt die Wolke gleichsam hinaus,
sie bewirkt die Verschiebung der Szene, indem sie deren Statt in der Schwebe,
d.h. offen hält. Die Wolke figuriert dieses bewegliche Schweben, welches
das déplacement der Heiligen besorgt, die Ver-rückung
der Seele Theresas durch das Außen, wobei sie jedes Maß überschreitet,
enteignet wird und überwältigt. Dies zeichnet den (metonymischen)
Zug der Verschiebung.
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Das Zwischen der Wolke reguliert somit die Spanne des extremum als
eines äußersten Punktes und des exterior als eines außerhalb
Gelegenen. Es bildet die Phase, welche das Geschehen sammelt, es einhält
und jenen Ab-stand einführt, der zur einen Seite das Außen evoziert
- reserviert für das Genießen Theresas, die Ekstase der Liebesvereinigung
mit Gott - und zugleich das Außen zurückweichen läßt,
den Exzeß (ver)deckt. Zur anderen Seite verhilft die Verdeckung der
Szene selbst (wieder) zur Darstellung, denn dieser höchste Moment
der Schwebe ist der Punkt, an dem etwas zur Sichtbarkeit drängt. Damit
wird das Feld des Sehens (wieder)eröffnet, wendet sich das Geschehen
zurück in die Szene - zu den Stifterlogen, in denen der Betrachter
sich dem Zuschauen und der Lektüre widmet -, ein Zurück in den
Horizont des Symbolischen, der Metaphern und Gleichnisse des Libro de
la vida und in den Sehkreis des Kunstwerks selbst, dem Raum seiner
ästhetischen Selbst-entfaltung.[5]
Anmerkungen III
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Die Plastik, aus der Zeit der Gegenreformation, ist auf dem Boden des tridentinischen
Katholizismus erwachsen. Bernini selbst war ein Verehrer der Schriften
des Ignatius von Loyola, dessen geistliche Übungen er regelmäßig
zu exekutieren pflegte.Back
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Sämtliche Schriften der hl. Theresia von Jesu, a.a.O., S. 151. Back
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Hans Kauffmann, Giovanni Lorenzo Bernini, Die figürlichen Kompositionen,
Berlin 1970, S. 142. Back
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vgl. Hans Kauffmann, a.a.O., S. 158. Back
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zur Konventionalität des literarischen Ausdrucks des "Libro de la
vida" vgl. Hans Kauffmann, a.a.O., S. 155. Back
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