You lovely ladies in your leather and lace
A thousand lips I would love to taste
I got a hard and it hurts like hell
If you won't rock me, somebody will.
Mick Jagger
It's Only Rock n' Roll
Vertikal. Phallisch?
Luce Irigaray
Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts
Die Logik des lógos ist verwurzelt in der existenzialen Analytik des Daseins.
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8. j) Der phallologos und seine Verwandlung in die veritas
Wir haben angefangen, die Sage des Phallus als nachmetaphysische Nachdichtung zu sagen. Sie ist nachmetaphysisch, weil erst nach der Vollendung der Metaphysik das Sein selbst denkerisch sichtbar geworden ist. Welcher Zusammenhang besteht genauer zwischen dem Phallus und dem Logos, der es rechtfertigen würde, von der "phallologischen Ständigkeit" zu sprechen? Hier muß auch der Zusammenhang mit der Wahrheit einsichtig werden, zumal der lógos metaphysisch immer die Wahrheit beanspruchte. Das Gewer ist die Versammlung der Wesensmöglichkeiten des männlich Seienden als Wer. Das Offene des Gewers gewährt der männlichen Ek-sistenz eine Unverborgenheit, in der es um das Sich-zeigen und Sich-behaupten und Zum-stehen-kommen als Wer im Offenen des Gewers geht. Die Unverborgenheit heißt bekanntlich auf Griechisch alétheia, die Wahrheit. Die Wahrheit der männlichen Ek-sistenz im Gewer besteht in ihrem Sich-zeigen, Sich-bewahren, Sich-behaupten. Dieses Sich-behaupten spielt sich aber wesenhaft im wahren, wissenden und deshalb entbergend-poietischen lógos ab in der Entsprechung zur Ständigkeit des Seienden als solchen in der )))))idéa usw. Das Gewer ist die Lichtung des wissenden, sichbehauptenden männlich Seienden, der der wissenden Hervorbringung von Seiendem in der Wahrheit bedarf, um seinen Stand zu halten. Das Gewer gründet in dem Phallologos so, daß der lógos sich in den Dienst der Entbergung des ständig Seienden stellt. So wird das männlich Seiende vom Sein gebraucht, um auf die Ständigkeit des Seienden als solchen zu antworten.
Schon seit langem, d.h. bereits bei Platon und Aristoteles, hat sich die Wahrheit verlagert vom Geschehen des Sichentbergens des Seienden zur Aussage, in der die dem Seienden adäquate Wahrheit ausgesprochen wird. Damit wird der Logos zur Rede und das Sichbehaupten des männlich Seienden verlagert sich in die Wahrheit der wahren Aussage. Aletheúein als entbergendes Reden ist die eigentlich männliche Handlung im Abendland. Während bei den Griechen die Wahrheit als Entbergungsgeschehen von Seiendem zumindest unausdrücklich im Hintergrund der Aussage-Wahrheit blieb, ging dieser Hintergrund in der römischen Übersetzung und dann im weiteren Verlauf der abendländischen Geschichte gänzlich verloren. Damit aber fand eine gewisse Umkehrung statt, da die anfängliche Offenheit des Wahrheitsgeschehens mehr und mehr ins Defensive des Sichbehauptens der wahren Aussage verkehrt wurde. Dieser Wandel ist für Heidegger der Schlüssel zum Verständnis der römischen veritas.
Doch was bedeutet das lateinische verum? [...] Der Stamm 'ver' zeigt sich eindeutig in unserem deutschen Wort 'wehren', 'die Wehr', 'das Wehr'; darin liegt das Moment des 'Gegen', des 'Widerstandes' [...] 'Ver' bedeutet dann: die Stellung halten, in Stand bleiben, wozu freilich immer in gewisser Weise Widerstand gehört, der seinerseits aber doch nur stets aus einer Standfestigkeit kommen kann. 'Ver', das sagt: in Stand-stehen, in Stand-bleiben, d.h. nicht-fallen (kein falsum), oben bleiben, sich behaupten, das Haupt-sein, befehlen. Das Sichbehauptende und das Aufrechtstehende - Aufrechte.[1]
Die Wahrheit muß eine Standfestigkeit besitzen, um einen Widerstand gegen das Zu-Fall-bringen-wollen des falsum bieten zu können. Im Namen der Wahrheit, sei es die des wahren Glaubens, sei es die der Wissenschaft, sei es die des Weltgeists, sei es die der Weltrevolution läßt sich ein wissender, entbergender Stand verteidigen. Die Wahrheit als ein Sichbehauptendes, Abwehrendes ist dann auch etwas Verschlossenes. Diese Verschlossenheit überträgt sich freilich auf den Träger der Wahrheit: den sichbehauptenden männlich Seienden, so daß Verschlossenheit nicht mehr als eine psychologische Beschreibung verstanden werden kann, sondern ihren Ursprung im geschichtlichen Wesen der abwehrfähigen Wahrheit hat und damit einen Status vom Sein her. Die Wahrheit als veritas und dann als certitudo, Gewißheit und dann schließlich als Effektivität hat in ihrem Wesen etwas Verschlossenes, Abwehrendes. Der Werseiende wird von dieser verschlossenen Aussage-Wahrheit als ihr Verteidiger in Anspruch genommen. Alle logische Wahrheit ist demnach apologetisch. Genauso wie die Wahrheit es dem Werseienden ermöglicht, einen Stand einzunehmen und zu behaupten, gilt es umgekehrt, daß die Wahrheit von ihren Trägern erheischt, daß sie die Wahrheit behaupten und verteidigen.
Die Wahrheit als Entbergung des ständig Anwesenden in der Aussage wird zum Zentrum, um das sich das Wort des Werseienden dreht. Das Agieren im Gewer ist eine Bewegung innerhalb der Wahrheit, die Agonistik unter den männlich Seienden wird im Namen der Wahrheit - in welchem Gewand auch immer - ausgetragen. Der aufrecht stehende männlich Seiende steht in der Wahrheit, die den Versuchen, sie zu Fall zu bringen, mittels ihres Trägers standhält. Die Wehrhaftigkeit des Wer, die eingehend im 5. Kapitel erörtert wurde, ist eine wahre, d.h. ein Kampf um die Wahrheit als Entbergungsgeschehen, und das Wersein selbst ist wesentlich wehrhaft, da es ein In-der-Wahrheit-stehen ist. Werheit und Wahrheit gehören in die selbe Dimension der Entbergung von Seiendem zusammen, jene erfordert diese. Werheit - Wehrheit - Wahrheit bilden eine sichergänzende, sichbedingende Einheit. Als Umkreisungspunkt ist indes die Wahrheit als vollkommene Entborgenheit auch das Höchste, Begehrteste, was aber nie zu haben ist. Das Nicht-haben der Wahrheit hält das Begehren am Leben und spornt es an. Sie zu haben, wäre der höchste, unerschütterlichste Stand, sie wäre der Besitz des Phallus, der in den Mysterien das eigentlich Unzeigbare war und der deshalb als metaphysisch verborgener Gott der Entbergung zu deuten ist. Ihr Besitz - was einer vollkommenen Beseitigung der Verborgenheit gleichkäme - wäre also der Tod, der Austritt aus der Lichtung der Entbergung von Seiendem. Über die Wahrheit gehen der Phallus und der Logos ein Bündnis ein. Als das Ständigste, das nie zu Fall gebracht werden kann, ist der Phallus das Begehrteste, dessen Besitz es erlaubte, unerschütterlich in der Wahrheit zu stehen und damit sich als Wer absolut zu behaupten. Die eigentliche Sache, um die es dem Wer geht, ist die beständige, phallische Wahrheit als wissende Entbergung von Seiendem, die die Überhöhung über die anderen ermöglicht. Die Wahrheit, zumal in der Gestalt der Effektivität, gewährt dem Wer vor seinen Konkurrenten einen Vorsprung. Sie hält die Bewegung der ständigen Überhöhung über die anderen am Leben, indem sie Seiendes der Verbergung entreißt. Wer einen Produktivitätsvorsprung hat, steht höher als die anderen. Der phallólogos ist das begehrteste, wahre, entbergende, wissende Wort, das den festen Stand ermöglicht und befestigt und damit Autorität verleiht.
Von daher ist die Rede von der phallologischen Ständigkeit gerechtfertigt. Im Abendland ist der Phallus immer eine Angelegenheit des wahren Wissens, des wahren lógos, der einen überlegenen Stand ermöglicht. Die Polis, weil auf der Wahrheit gegründet, ist phallisch, vertikal um die Entbergung von Seiendem geordnet; der Werkampf läßt die Werseienden in ihre unterschiedlichen Ranghöhen hervorgehen, je nachdem, wie fest sie im Besitz der Wahrheit sind. Wer um einen phallischen Stand in der Wahrheit kämpft, ist ein männlich Seiender, der seinen Mann steht. Dieser Titel kann freilich nicht biologisch gemeint sein; es steht nichts im Wege, daß eine ('biologisch' definierte) Frau ein männlich Seiender in diesem Sinn sein kann. Im Gewer stehen heißt: männlich Seiend sein, den Phallus begehren, männlich wesen, die Wahrheit dadurch erstreben, daß Seiendes in der Lichtung der Entborgenheit aufgestellt wird. Die Wahrheit zu erstreben, war niemals ein unschuldiges Unterfangen, sondern wurde immer schon von einem phallischen Begehren vorangetrieben, das sich gegen die Verbergung richtete.
Wegen der Homophonie von Gewer und Gewehr entstehen mögliche Mißverständnisse im Hinblick auf den Phallus als Symbol. Trotz der scheinbaren Nähe zu psychoanalytischen Denkgewohnheiten läuft der Weg im Denken zum Gewer hier nicht über das Gewehr, das wegen seiner länglichen Gestalt als 'Phallus-Symbol' gelte. Andererseits jedoch verweist das Wort Gewehr auf das Wehrhafte und somit auf das Agonistische und die Notwendigkeit des Sichwehrens im Gewer. Auch das Längliche des Gewehrs als Handwaffe mit langem Lauf enthält als sinnliche Gestalt den Verweis auf die Vertikalität des Werseins und auf die Möglichkeit und Notwendigkeit des Obenbleibens. Doch nur über den Umweg des Seins selbst läßt sich eine Verwandtschaft zwischen dem Gewer und dem Gewehr überhaupt rechtfertigen. Ähnlich wie das Gewer erweist sich das Gewehr als die Versammlung der wehrhaften, agonistischen Aspekte des Gewer. Männlich Seiend zu sein, heißt, im Gewer zum Stehen kommen und damit ausdauernd Raum einnehmen. Der Raum zum dastehen kann jedoch nur gegen die Bestrebungen der Anderen, sich auch zur Erscheinung und zum Scheinen zu bringen, errungen werden.
Das Gegenteil von Phallisch-sein, vom waltenden Da-stehen in der Lichtung des Gewer, ist die Unständigkeit, die von der griechischen Seinserfahrung her Nicht-sein bedeuten muß. Psychoanalytisch rückübersetzt hieße Nicht-sein Kastriertheit. Letztlich kann ein Begriff wie Phallokratie keineswegs ausgelegt werden als die Vorherrschaft des männlichen Geschlechts über das weibliche, d.h. des Mannes über die Frau, sondern muß als die Vorherrschaft des Seins als ständiger Anwesung über das Nicht-sein, der Ständigkeit über die Unständigkeit. Die Unständigkeit bedeutet hier kein Seiendes, sondern eine Seinsweise, und zwar eine Seinsweise als Unseinsweise, sofern damit eine Dimension des Seyns genannt ist, die unständig und unselbständig neben der ständigen Dimension des Seienden liegt und ihr anliegt. Diese Dimension ist nicht die Verborgenheit selbst, in der sich das Ereignis an sich hält, sondern die der Begegnung kaum dazwischen, in der du und ich einander vereignet werden. Diese Dimension, die kaum eine Dimension ist und sich nur an der Dimension des ständig Seienden anlehnt, ist im vorigen Kapitel die Weiblichkeit gennant worden. Sie ist die Dimension des - zuweilen erschütternden - Angangs von dir als dir, der den ständig Werseienden aus dem Stand zu bringen vermag. Dieser kaum vernehmbare und kaum sagbare Schnitt in der Ständigkeit des Seins ist der ursprüngliche Ort der Kastrierung, von der in der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert die Rede ist.
Bisher ist ein Wesenszusammenhang zwischen dem lógos und dem phallós aufgezeigt worden dergestalt, daß der Phallus als verborgener Gott der Unverborgenheit (Wahrheit) gilt, der den lógos in den Anspruch nimmt, Seiendes zu entbergen und in die Ständigkeit der Anwesenheit zu stellen. Die Wahrheit in ihrer späteren Form als Aussagenwahrheit hat wiederum etwas Wehrhaftes, Defensives, das der Falschheit des Zu-Fall-bringens einen gewissen Vorrang verleiht. Auf den Werseienden übertragen heißt Wahrheit, daß der Wer, obschon um die Wahrheit bestrebt, immer schon zu Fall gebracht worden ist, daß er stets von der absoluten Wahrheit und ihrer wehrhaften Standfestigkeit ausgeschlossen bleibt. Die Wahrheit, das ist die Einsicht in das Seiende, die Übersicht über das Seiende und folglich Herrschaft durch wissende Penetrierung. Wenn der Wer immer schon durch die Falschheit zu Fall gebracht worden ist, dann nicht unbedingt durch die Heimtücke, sondern schon dadurch, daß er dem Anderen, den er nicht meistern kann, ausgesetzt ist. Ursprünglicher heißt das Scheitern an der Wahrheit, daß Seiendes sich nicht restlos entbergen läßt; die Unverborgenheit vermag nicht, ihr Gegenwesen restlos zu besiegen und zu beseitigen. Im vorigen Kapitel ist mit der Begegnung dazwischen eine Dimension angesprochen worden, die sich grundsätzlich der Herrschaft der Wahrheit als Unverborgenheit entzieht, da du dich nicht entbergen läßt. In dieser enklitischen Dimension siedelt sich die sichentziehende Weiblichkeit an; sie ist nichts anderes als diese kaum seiende Dimension, eine bloße Falte dazwischen. Der Andere als du ist immer der Sichentziehende, der sich nicht entbergen läßt, der sich nicht in die Wahrheit ziehen läßt, worüber es keine adäquate Rede gibt. Deshalb gibt es für den Wer kein Ganzsein, keine Integrität, kein abgeschlossenes, vollendetes Fürsichsein, denn die Dimension kaum dazwischen zieht den ständig Seienden immer wieder und unkalkulierbar aus dem Stand.
Phallisch-sein heißt anfänglich das Aufgehen des männlichen Menschen im Aufgehen der Wahrheit des Seins als Sorge um die wissende Entbergung von Seiendem in seiner Ständigkeit. Aus der Sammlung auf das Ereignis des Aufgehens gewinnt der abendländische Mensch erst seinen geschichtlichen poietischen Stand inmitten der Seienden. Das ständige Walten der Wahrheit des Seins, das Seiendes als solches zu Stande bringt, wird durch den ebenfalls ständigen männlich Seienden als Urheber gesammelt, in seine Werke gebannt und zum Stehen gebracht. Diesen Wesenszusammenhang zwischen der Sammlung auf das Aufgehen von Seiendem und dem Zum-stehen-kommen als geschichtlich-männlicher Mensch in der Bemühung um die Wahrheit, wodurch der Logos sich in den Dienst der Entbergung von Seiendem stellt, nennen wir den Phallologos. Er ist die Sammlung auf die Ständ-igkeit durch das ent-sprechende Ständige des Männlichen. Erst aus dem Bezug zur Ständigkeit der Wahrheit des Seins, die das Seiende als solches entbirgt, ist der männlich Seiende männlich, ständig, phallisch, wenn auch immer schon unvollständig so und damit mit einem Mangel behaftet. Der männlich Seiende als phallisch-kastrierter ist anfänglich der versagende Sammler der Ständigkeit der Wahrheit des Seins in seinem geschichtlichen Aufgang bei den Griechen. Der Wesenszusammenhang zwischen Phallus und Logos hat sich in der abendländischen Seinsgeschichte im Verborgenen gehalten, er hat nur Spuren von sich hinterlassen und ist bisher nicht in den Blick als die Frage nach der Männlichkeit der Wahrheit des Seins gelangt. Erst die vollendete metaphysische Epoche hat die Frage nach dem Männlichsein geschichtlich unumgänglich gemacht und damit den Mythos des phallischen Gotts hervorgerufen. Die Frage nach dem Sein des männlich Seienden ist so gesehen geschichtliches Schicksal, sofern mit dem Fragwürdig-werden der Wahrheit der Ständigkeit auch der geschichtliche Stand des Wer fragwürdig geworden ist.