Sok. Nun men, hen d' ego, o Lysi te kai Menexene, katagelastoi gegonamen ego te, geron aner, kai humeis. Erousi gar hoide apiontes hos oiometha hemeis allelon philoi einai, kai eme en hymin tithemi, oupo de ho ti estin ho philos hoioi te egenometha echeurein.
Sokrates: Diesmal, O Lysis und Menexenos, sagte ich, haben wir uns lächerlich gemacht, ich, der alte Mann, und ihr. Denn diese , wenn sie gehen, werden sagen, wir glauben, Freunde zu sein - nämlich ich rechne auch mich mit zu euch - was aber ein Freund ist, vermochten wir noch nicht auszufinden.
Platon
Lysis 223b.
agamos ateknos, apolis aphilos Ohne Gatten und Kind, ohne Stadt und Freund
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6. k) Außerhalb des Seins - dazwischen
Da es in einer unscheinbaren Gegend außerhalb des Seins als Seienden angesiedelt ist, gibt es die Möglichkeit der Nähe nur als Ausnahme; dazwischen wäre Ausnahmezustand, wenn sie Zustand wäre. Diese unscheinbare Gegend ist streng genommen keine, sondern liegt dazwischen, wo Vertrauen und Vertrautheit - wie auch ihre Gegenteile: Mißtrauen und Fremdheit - ermöglicht sind. Wenn hier die Rede von außerhalb des Seins ist, dann bedarf es einer Klärung dieses Außerhalb. Zutreffender wäre es vielleicht, von einem Neben dem Sein oder einer Verdopplung oder Doppelung oder Faltung der ontologischen Differenz bzw. des Seins zu sprechen. Die metaphysische Tradition geht von dem 'ist' aus; alles, was ist, hat eine Seinsweise, ist vom Sein angegangen, und zwar so, daß to on he on dem Dasein offenbar ist. Du bist von daher gesehen auch ein Seiendes und insofern in die unterschiedslose Universalität des Seins überhaupt aufgenommen. Ich stehe im Verhältnis zum Seienden, unter anderem zu dir, aber nicht zu dir als dir. In der vorliegenden Abhandlung ist geltend gemacht worden, daß die Angleichung von dir ans Seiende nicht gelingt; es gibt eine Doppelung des Seins in die dritte und zweite Person und damit eine Faltung der Dimensionalität des Seins, einen Zwiefalt des Seins in eine Hauptdimension und einen Rest dazwischen, in dem du und ich angesiedelt sind. Die Vorherrschaft des 'ist' läßt kaum ein 'bist' neben sich stehen oder dazwischen Platz einnehmen, aber selbst wenn kaum, dann immerhin. Deshalb kann man von einem 'du bist' neben dem Sein in der dritten Person (to on) sprechen, von einem 'du bist' haarscharf daneben. Die haarscharfe Nähe zum 'ist' liegt darin, daß du jederzeit in ein Seiendes umwandelbar bist, etwa als eine Person mit einer so und so gearteten Persönlichkeit oder einem so und so gearteten Charakter. Du kannst jederzeit zum Es gemacht werden. Deshalb bist du immer haarscharf daneben.
Dieses Danebensein und die Instabilität dazwischen kommen in einem Abschnitt aus Roland Barthes' Fragmente einer Sprache der Liebe zur Sprache.
Beschränktheit des Geistes: in Wirklichkeit lasse ich nichts vom Andern gelten, verstehe ich nichts von ihm. Alles, was am Anderen nicht mich betrifft, scheint mir fremd, feindselig; [...] Über diese schillernden, wankelmütigen Bewertungen hinweg erhält sich ein schmerzlicher Eindruck: ich sehe, daß der Andere in sich selbst Bestand hat; er selbst ist diese Beständigkeit, an der ich mich stoße. Ich stelle verwirrt fest, daß ich ihn nicht von der Stelle bewegen kann; [...] Anders ausgedrückt, ich sehe den Anderen in seinen Grenzen. [...] So empfinde ich die 'Freiheit' des Anderen, 'er selbst' zu sein, merkwürdigerweise als kleinmütige Halsstarrigkeit. Ich sehe den Anderen wohl als solchen - ich sehe das so des Anderen -, aber auf der Ebene des Liebesgefühls ist dieses so für mich schmerzlich, weil es uns trennt und ich mich erneut weigere, die Teilung unseres Bildes anzuerkennen, die Andersheit des Anderen.[1]
In dieser Passage wird der schmerzliche Übergang zwischen der zweiten und der dritten Person geschildert. Der Schmerz stammt daher, daß die Dimension dazwischen sich immer wieder auflöst, und du wirst wieder zum Anderen in der dritten Person mit deinem eigenen "Bestand", deiner eigenen "Beständigkeit" und deinen eigenen "Grenzen". Diese Beständigkeit ist die Beständigkeit des Seins, die dich als ein Seiendes in den Grenzen der Kategorien erscheinen läßt. In deiner fürsichseienden Andersheit entfernst du dich von dazwischen. Diese Beständigkeit ist nicht zeitlich zu verstehen, sondern muß von der Ständigkeit der Grenzen des Seins her aufgefaßt werden, die dich als ein Seiendes umreißt und so aus dazwischen herausreißt. Das haarscharfe Daneben der zweiten und der dritten Person - oder besser: der zweiten und der dritten Dimension des Seyns - ist zugleich eine Zerklüftung dieser Dimensionen, die die Schwelle zwischen den beiden Dimensionen zu einem Ort des Schmerzes macht. Immer wieder kommst du mir in der Begegnung dazwischen entgegen, immer wieder verwandelst du dich wieder in den Stand deiner Andersheit und reihst dich unter das Seiende ein. Als Da-sein bin ich selber zerklüftet durch den Riß, der durch das Seyn geht, und erfahre selber den Riß meines Da durch den wankelmütigen Übergang zwischen dazwischen und dem Zwischen. Ich selber bin ich einerseits und wese auf der anderen Seite des Risses als Seiendes, d.h. als Wer, der in seinen eigen-ständigen Grenzen Bestand hat. Insofern mute ich auch dir den schmerzvollen Wechsel zwischen den zerklüfteten Dimensionen des Seyns zu.
Die metaphysische Vierung des Seins in Wassein, Sosein, Daßsein und Wahrsein trifft streng genommen nicht auf dich zu, aber du kannst es zugleich auch nicht abwehren, wie ein Seiendes verstanden und behandelt zu werden, wie etwa die Psychologie dies tut. Oder du ziehst dich selber in den Stand der Ständigkeit des Seins zurück. Es ist dies die charakteristische Instabilität dazwischen, die Unbeständigkeit, die die Begegnung außerhalb des Seins oder genauer, außerhalb des 'ist' ortet. Du bist nur in den Ritzen dazwischen. Du dazwischen hast aber keinen Mangel und darfst nicht an der Beständigkeit des Seins gemessen werden. Du bist als du neben dem 'ist' und deshalb nicht als solches unter das Wassein, das Sosein, das Daßsein und das Wahrsein subsumierbar, denn schon, daß du bist, läßt sich nicht in ein 'ist' oder 'nicht ist' unterscheiden. Daß du bist, ist absolut, unhinterfragbar. Was du bist, ist dir als solchem äußerlich. Wer du bist als du, geschieht jeweils in unserer Intimität. 'Wahr' bist du nur aus und in unserem gegenseitigen Entwerfen, das nicht eigenmächtig gesetzt ist. Du bist so und so in meinem Entwurf und nicht anders, aber dies deine 'Wahrheit' läßt sich nicht an einem äußeren Maßstab messen. 'Wahr' und 'falsch' bist du nur in der Auseinandersetzung unseres gegenseitigen Entwerfens in der Intimität, die sich solange fortsetzt, als wir uns dazwischen, im Übergang zwischen dir und mir begegnen. In der Differenz von dir und mir geschehen ich und du, wir ermöglichen uns gegenseitig als mich und als dich in einem bodenlosen Kreisvorgang. Diese Ermöglichung unterscheidet sich dadurch von der Ermöglichung im Entwurf der ontologischen Differenz[2], daß du kein Seiendes bist, das unter dem Seienden im Ganzen vorkommt, sondern du gehörst als du in die Ermöglichung selbst meines Weltentwurfs. Durch dich entwirft sich die Welt anders als sie es je sein könnte von mir als Selbst aus.
Im Gegensatz zur Rede vom Wassein und dergleichen ist die Rede von Vertrauen und Vertrautheit in der Dimension dazwischen angemessener. Vertrautheit heißt nicht, daß ich dich kenne, noch daß du mich nicht mehr überraschen kannst, noch daß du mich durch deine Eigenheit nicht stören kannst. Sie ist eher die Qualität, daß du wesentlich in meine Welt gehörst. Zwischen dir und mir gibt es eine eigentümliche Nähe - die keineswegs mit Verschmelzung zu verwechseln ist -, die Vertrauen voraussetzt, Vertrautheit ermöglicht und Verletzungen wahrscheinlich macht. Vertrauen schließt notwendig die Möglichkeit von Mißtrauen und Verratensein ein, sie gehören zueinander als Kehrseiten des Selben und machen die Ambivalenz dazwischen aus. Die Nähe dazwischen ist nicht abgesichert, sie muß immer wieder gewagt werden. Hier wäre auch der Ort, die Ambivalenz von Liebe und Haß zu erörtern, die der Eindeutigkeit etwa eines "Stromgebiets der Liebe" (Schapp)[3] widersprechen würde. Dazwischen besteht, wenn so etwas überhaupt be-steht, immer aus mir und dir; wir sind darin einander ausgeliefert und können uns in der Dimension dazwischen, im Übergang zwischen uns, gegenseitig entwerfen. Wir sind uns zwischendurch aus den Grenzen des Seienden entlassen und werden uns gegenseitig zu einem sich immer wieder verschiebenden Grund der Ermöglichung. Diese Entgrenztheit ist synonym mit dem Vertrauen, das wir uns entgegenbringen oder vielmehr aus dem heraus wir es zulassen, als du und ich in unseren jeweiligen Möglichkeiten von Welt entworfen zu werden. Zur Ermöglichung gehört freilich auch die Verunmöglichung, in der wir uns gegenseitig existentielle Möglichkeiten verbauen.
Die Ambivalenz dazwischen gehört zur Zerklüftung zwischen der zweiten und der dritten Dimension des Seyns (wobei die zweite und dritte Dimension nichts mit den üblichen räumlichen Dimensionen zu tun hat). Die Zerklüftung heißt keineswegs, daß es eine harte Grenzen zwischen den Dimensionen gibt, sondern vielmehr ist die zweite Dimension dazwischen schon der Übergang zwischen den Dimensionen und deshalb wesenhaft ambivalent, zweideutig, nicht feststellbar. Die Freude mit dir dazwischen ist schon gleichzeitig der Schmerz der Schwelle des Übergangs in die dritte Dimension des ständigen Seins. Dazwischen ist nur eine Ritze der waltenden Wahrheit des Seyns und deshalb kaum eine Dimension - aber immerhin. Mit dir dazwischen ist keine eigen-ständige Dimension, sie ist nur ritzenhaft, schmerzhaft in ihrer Freude, immer schon übergänglich zweideutig, zwiespältig. Weil die zweite Dimension dazwischen keine feststellbaren Grenzen hat, entgeht sie dem Verstehen und der Vernunft. Der Satz vom Widerspruch gilt in der Ritze dazwischen nicht, sondern kollabiert in eine Gleichzeitigkeit, in der Sein und Nicht-Sein zugleich gelten. Nur deshalb - wie Barthes schreibt - "verstehe ich nichts von ihm [dem Anderen]". Ich verstehe dich als dich nicht, sondern bin mit dir stimmungshaft dazwischen. Erst wenn du dich in die Ständigkeit deiner Andersheit zurückziehst und deine Grenzen zeigst, verstehe ich dich wieder, aber nicht dich als dich, sondern dich als den Anderen in seiner Andersheit. Dazwischen im Übergang hingegen geschieht die Unmöglichkeit von Nähe zwischen uns, einer Nähe, die wir nicht ver-stehen, die wir nicht in den Grenzen der Ständigkeit zu Stande bringen können.
Dazwischen unter männlich Seienden ereignet sich zeit-weilig das Ereignis einer vertrauensvollen Unsachlichkeit, dazwischen geht es nicht mehr vermittelt um eine seiende Sache, um den Bezug zum Seienden, sondern darum, daß der Andere im Übergang zwischen uns da ist und dazwischen zu dir wird. Das schlichte Da-Sein des Anderen als du ist einzig-artig auf eine Weise, die das Sosein eines Seienden übertrifft, und diese Einzigartigkeit mag zum Teil in einem Sich-mitteilen zur Sprache kommen. Aber die Sprache erweist sich als ein armes, unbeholfenes Mittel, um das, was zwischen dir und mir eintritt, zu fassen. Im Zwischen gibt es den Einen für den Anderen, dazwischen gibt es aber mich für dich und dich für mich unmittelbar, ohne daß eine Sache noch vermitteln muß. Vielmehr legt sich aus der Begegnung mit dir heraus eine gewisse Farbe, zuweilen sogar ein auratischer Glanz auf meinen Umgang mit den Seienden. Diese Aura ist die Stimmung, die dazwischen aufsteigt. Die Stimmung ist die unfaßbare Weise, die Melodie unseres gegenseitigen Berührens dazwischen. Durch diese einzigartige Stimmung bist du mir als du geöffnet. Sie ist eine Stimmung des Seyns aber in der zweiten Dimension dazwischen. Ohne die stimmende Weise des Seyns wärst du mir als du gar nicht erst gegeben. Dazwischen geschähe nicht. Schlicht bin ich dir gegeben, wenn du da bist, und es bedarf keiner Ständigkeit und läßt keine Ständigkeit zu, sondern wird durch die Zuneigung getragen, die alles Ständige eines Stand-haben-müssens wegräumt. Diese Freiheit vom Zwang, einen Stand einnehmen zu müssen und so enklitisch zu sein, eröffnet mir zeit-weilig andere Möglichkeiten von Weltentwurf, die dann auch allerdings in der dritten Dimension des Seyns beständigt werden können. In diesem Sinn der Unständigkeit, die auch eine Wehrlosigkeit nach sich zieht, gehört dazwischen zum Unwesen des Seins des Seienden. Und dennoch ist der schlichte, zweideutige, freudig-schmerzhafte Übergang zwischen dir und mir gegeben vor und neben jeder ständ-igen Agonistik.
Dazwischen rufen wir uns zu und liebkosen uns mit unseren Namen. Dieses gegenseitige Zurufen dazwischen ist dem ursprünglichen Ruf des Seyns in die Eigengenanntheit verwandt, so daß wir sagen müssen, daß das Wersein als Gerufensein insofern ursprünglicher zwischen dir und mir geschieht, wo wir uns gegenseitig durch unser rufendes Mögen ermöglichen. Der Ursprung des Werseins als Gerufensein liegt nicht in der ontologischen Differenz des Seins des Seienden, sondern der Ruf des Seyns ruft zunächst in die Eigengenanntheit, die dem gegenseitigen Zurufen dazwischen näher ist. Erst durch eine Beständigung des Rufs des Seyns in den Ruf eines Werseienden in der dritten Dimension wird der Eigenname zum festen Kern einer männlichen (weil ständigen) Identität. Der ursprüngliche Ruf des Seyns geschieht vor seiner Beständigung, während das Seiende in der dritten Dimension ('ist'-Seiendes) unmittelbar von der Beständigung des Seyns angegangen wird und dadurch in seinen verstehbaren Grenzen als Etwas zu Stande kommt.
Roland Barthes Fragmente einer Sprache der Liebe übersetzt von Hans-Horst Henschen, Suhrkamp TB 1586, Frankfurt/M. 1988 S.200f. Alle Hervorhebungen außer der ersten im Original. Back