kaum ständig noch
Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein
Michael Eldred
artefact text and translation
Cologne, Germany
6. Die Freundschaft: kaum dazwischen
g) Berührung und Reibung dazwischen
Version 2.1 July 1996
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Sok. Nun men, hen d' ego, o Lysi te kai Menexene, katagelastoi gegonamen ego te, geron aner, kai humeis. Erousi gar hoide apiontes hos oiometha hemeis allelon philoi einai, kai eme en hymin tithemi, oupo de ho ti estin ho philos hoioi te egenometha echeurein.
Sokrates: Diesmal, O Lysis und Menexenos, sagte ich, haben wir uns lächerlich gemacht, ich, der alte Mann, und ihr. Denn diese , wenn sie gehen, werden sagen, wir glauben, Freunde zu sein - nämlich ich rechne auch mich mit zu euch - was aber ein Freund ist, vermochten wir noch nicht auszufinden.
Platon
Lysis 223b.
Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels
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6. g) Berührung und Reibung dazwischen
- Auch wenn die bespiegelnd-bestätigende Anerkennung das rein Abgrenzende des Aneinandergeratens und den Autismus des einsamen Selbstgesprächs überwindet, schließt sie als nur bestätigend Möglichkeiten der Selbstauseinandersetzung aus, wodurch sich der männlich Seiende womöglich sich selbst - seine Grundlosigkeit, seine Ausgeliefertheit an den Anderen als Anderen - einen Schritt weit nähern könnte, indem er sich selbst vergißt. In der sachlichen Verbundenheit als solcher (Kap. 5) ist diese Möglichkeit nicht gegeben, weil die Sache als vermittelnder Halt dient, der die Unmittelbarkeit der Begegnung ausschließt, d.h. sich vom Leib hält. Eine bespiegelnde Anerkennung des erfolgreichen Zusammenwirkens wegen mag stattfinden oder aber ein abgrenzender Tadel, wenn die Sache mißlingt, oder aber eine sachliche Kritik, die das Zusammenwirken zurechtrücken sollte. Jedes Mal geht es letztlich um den Umgang mit Seiendem und damit zugleich um den Wer als einen Seienden. Eine gelungene Zusammenarbeit wirkt absichernd auf den Werstand, festigt das Sein als Werseiendes, eine fehlgeschlagene dagegen schwächt den Stand. Die Sache ist der Stein, an dem der Wer als dritte-Person-Seiendes seine Kräfte reibt und bewährt und gegen den er das Schmerzhafte des Widerstandes erfährt. Das Sich-mitteilen in der sachlichen Verbundenheit bezieht sich zumeist auf die Sache und mag eine echte sein, in der sich der Wer mit sich auseinandersetzt, oder aber eine unechte, in der er sich schonend darstellt. Der Andere mag den Wer in seiner Selbstdarstellung lediglich bestätigen oder aber diese hinterfragen und so die Sache, an der der Wer hängt, einer Kritik unterziehen. Auf jeden Fall jedoch treffen sich die männlich Seienden nur vermittelt über die Sache, sie vertreten ihre Interessen unter den Seienden, d.h. sie gehören zur Welt als sachlichem Zusammenhang.
- Sofern das Miteinander-zu-tun-haben eine nur bestätigende Bespiegelung ist - dies kann uns nicht mehr überraschen -, findet in ihr keine Berührung, und d.h. letztlich keine Reibung, statt. Doch unter Umständen kann der Andere als Spiegel fungieren, der dem Wer eine kritische Distanz zu sich selbst gewährt, indem er nicht bloß das zurückspiegelt, was ich mir einbilde, daß ich bin. So findet unverhofft und flüchtig eine Art Begegnung statt, die immer mindestens durch Berührung und gar Reibung gekennzeichnet ist, in der mich der Andere als du angeht. Das Selbstgespräch ist - da es sich im Kreise dreht - ständig der Gefahr der hybriden Selbstüberhebung ausgesetzt, eine Gefahr, welche durch die bloße Anwesenheit des Anderen als Spiegel (dem ich eine Einsicht in mich unterstelle) womöglich in Schach gehalten werden kann. So ist der Andere Zerrspiegel, der in seiner Widerspiegelung meine in sich geschlossene und verschlossene Identität bricht und zerstreut. Der Wer erscheint dann in den Augen des Anderen nicht so aufgebläht und geschlossen, wie er sich selber im Selbstgespräch einbilden mag. Die spiegelnden Pupillen des Anderen, dienen zur Verkleinerung von Vergrößerungstendenzen, und es kann passieren, daß der ruhig fragende Anblick des Anderen eine entlarvende Verpuppung in der einen oder der anderen Hinsicht auslöst. Denn das Wersein kann - trotz aller verzweifelten Anstrengung - nicht aus sich selbst aufgebaut werden, sondern ist unweigerlich mit der Andersheit des Anderen verknüpft, in ihr verstrickt, durch sie berückt. Vor allem im Augenblick der Begegnung komme ich durch dich in einer Selbstvergessenheit als 'ich bin' zu mir selber, selbst - und vielleicht besonders dann - wenn du nichts sagst (obwohl ich voraussetzen muß, daß du sprechen kannst). Der Wer ist zwar ständig dazu herausgefordert, sich selbst als ein ständig Seiendes aufzurichten, auch wenn ich als ich am Sein der dritten Person, d.h. am Ist - trotz aller Anstrengungen, mir so etwas einzubilden - nicht teilnehme. Ich bin aber auch dir ausgesetzt, um überhaupt wer zu sein. Das Bestreben, Wer zu sein, unterliegt einem notwendigen Mißverständnis, das das Wersein mit dem Wassein dergestalt verwechselt, daß ich egozentrisch nach Beständigkeit unter den Seienden strebe. In dieser Verwechslung bin ich bestrebt, meinen Eigennamen in der Offenheit der Polis fest aufzurichten, indem ich ihn mit passenden Verhaltenslarven, die Erfolg ausstrahlen, verknüpfe. Wersein wird so als Namhaftigkeit verstanden, während in der Nähe der Begegnung, Wer zu sein, eher heißt: in deinen Augen ich zu sein. Ich und du haben stets die Tendenz, in die mächtigere Dimension der Beständigkeit des Ist abzudriften und sich dort festzuklammern. Wie ich und du müßte in der Begegnung auch wer kleingeschrieben werden, und das Wersein müßte seine Substantivform abstreifen, vielleicht in die Richtung einer adverbialen Form. Ist es möglich, 'ich bin' adverbial, als neben dem seinsmächtigen Geschehen und Tun eines Verbums, als Seinsfärbung zu hören? Indem ich kaum da bin, bin ich immerhin dazwischen wer. Wenn man das Wersein aus der ontologischen Dimension des dritte-Person-Seienden ein Stück weit entkommen läßt und danach fragt, was es eigentlich heißt, wer zu sein, erscheint die Rede von Eigentlichkeit in einem ganz anderen Licht, das nicht mehr von der Schwere der Substantivierung und des Wirklichkeitspathos belastet ist. Eigentlich sein heißt dann: mit dir inzwischen daneben sein, undefinierbar meine Identität aufs Spiel setzen, aushalten, daß ich nicht verstehe, wie es um mich geschieht, und nicht in mein Fürmichsein verschwinden. In meinem Versuch, wer zu sein, bin ich also auf dich und deine Augen angewiesen. Aber welche weiteren Möglichkeiten bringt die Rede mit dir?
- Das Sich-mitteilen in der Rede bietet andere Möglichkeiten als die Pupillenbespiegelung in einer Begegnung. In der Rede eines Dialogs teilt der Andere nicht nur sich mit, sondern er spiegelt auch den Einen in seinen we(h)rhaften Erscheinungsweisen wider. Wenn der Andere nicht seiner eigenen Unfestigkeit wegen darauf angewiesen ist, sich dem Einen möglichst anzuschmiegen und ihn in seinem Sein zu bestätigen, kann es diesem widerfahren, daß der Andere eine 'Wahrheit' über ihn ausspricht, oder genauer: eine Haltung so hinterfragt, daß das Selbstbild erschüttert wird. Sofern dem Wer als einem endlichen, der Sprache ausgesetzten Wesen immer noch eine Larvenhaftigkeit anhaftet, d.h. sofern er sich bloß narzißtisch einbildet, wer er ist, kann der Andere eine 'Wahrheit' aussprechen, die für den Betroffenen noch nicht als solche angenommen werden kann. Es entsteht damit eine schmerzliche Diskrepanz zwischen dem mühsam substantivierten Selbstbild und dem Spiegelbild in den Augen und der Rede des Anderen. Die hochschaukelnde Bespiegelung war nämlich eine gegenseitige Bewegung nach oben aber in der gemeinsamen eingebildeten Larvenhaftigkeit. Nun haben wir es mit einer 'Wahrheit' über mich, mit einer Frage, die mich infrage stellt, zu tun - als wüßtest du mehr über mich als ich selber -, die mir als Wer keinen Aufbau verspricht, sondern eher das Gegenteil. Damit du eine 'Wahrheit' über mich auszusprechen vermagst, mußt du in dieser Hinsicht nicht selbst einen nüchternen, uneitlen, weisen Einblick in dich selber erreicht haben, sondern mich als Anderen in deiner Andersheit mit deinen Fragen so treffen, daß meine narzißtische Selbigkeit zerbricht.
- Die Aufdeckung einer 'Falschheit', d.h. einer narzißtischen Abgeschlossenheit, im Larven-Kompositum durch dich als Sprachbegabten bedeutet keineswegs, daß ich mich damit auseinandersetzen muß oder kann. Die Aufdeckung einer Haltlosigkeit im eigenen Selbstbild, in der Idee meines Selbst durch deine Intervention in mein Da, löst grundsätzlich eine Verunsicherung des eigenen Wer-Bestandes aus, die mich wiederum in eine Verpuppung hineinstoßen mag, so unsicher ist mein Halt am Sein. Dein Ansprechen meiner Falschheit - nicht als Wissender, sondern als Fragender - bringt mich zum Fall (falsum; vgl. das letzte Kapitel). Die Haltlosigkeit einer Verpuppung erweist sich in der Regel als unerträglich, wogegen ich mich mit allen Kräften wehre. Dazu gehört, daß du, der du eine 'Wahrheit' über mich aussprichst und mich in Frage stellst - trotz der Offenheit der Begegnung -, wieder zu einem mein Sein gefährdenden Antagonisten - einem Seienden - durch die Kraft meiner Subjektivität gemacht wirst, ein Antagonismus, der jedoch zumeist durch einen sprachlosen Rückzug vertuscht wird. Wo eine unliebsame 'Wahrheit' bzw. Frage auf eine existenzsichernde, d.h. seinsstiftende 'Unwahrheit' trifft, verstehen wir uns nicht mehr und müssen uns zu einem neuen gemeinsamen, das Mißtrauen überwindenden Verständnis durchringen, wenn die Beziehung nicht zu Bruch gehen soll. Das Verständnis zwischen dir und mir ist grundsätzlich brüchig, da deine Andersheit nie assimilierbar ist, sondern immer wieder mein Da empfindlich verfärbt in die eine Richtung oder die andere. Da die agonistische Begegnungsweise als Aneinandergeraten die alltägliche Regel bildet, erschwert sich die Möglichkeit einer Auseinandersetzung im Sich-mitteilen, die bald zu einem verwerfenden Auseinandergeraten gerät. Das agonistische Wesen des Seins als Wer legt die Möglichkeit des Sich-wehrens gegen die Möglichkeit der Infragestellung in der sichberührenden, sichreibenden Auseinandersetzung nah.
Anmerkungen 6. g)
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