kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


6. Die Freundschaft: kaum dazwischen

a) Wege aus sich selbst


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    6. a) Wege aus sich selbst

  1. Platons erster Versuch, in einem Dialog das Wesen der Freundschaft zu bestimmen, ist fehlgeschlagen. Nachdem Sokrates durch verschiedene 'Definitionen' der Freundschaft hindurchgegangen ist, kommt er zum Schluß, daß keine einer genaueren Betrachtung standhält. Die als Motto vorangestellte Passage stammt aus dem Schluß des frühen Dialogs Lysis und bildete einen Ausgangspunkt für den späteren Versuch des Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, die Freundschaft zu durchdenken. Sowohl Platon als auch Aristoteles gehen davon aus, daß der Freund ein Seiendes unter anderen Seienden ist. Wir beschäftigen uns hier nicht eingehend mit diesen metaphysischen Grundtexten zur Freundschaft, auch wenn in einem gewissen Sinn doch auf Platon und Aristoteles notgedrungen rekurriert wird, nämlich auf die schon am Anfang zitierte Wesensbestimmung des Menschen als to zoion logon echon. Unterdessen ist der Denkweg zu einer doppelten Wesensbestimmung des männlich Seienden gelangt als to zoion onoma echon sowie als to onoma zoion echon (Kap. 2). Der Werseiende trägt seinen Eigennamen und wird zugleich von ihm getragen, wenn nicht geradezu belastet, niedergedrückt und überwältigt. Diese Wesensbestimmung des männlichen Seins als Eigennamenträgerschaft und Gerufensein soll hier weiterhin als Leitfaden dienen. Zuerst jedoch ein Umweg.

  2. Es wurde im Kap. 2 erwähnt, daß der männlich Seiende sein Wersein auch im Modus eines Selbstgesprächs existiert, in dem er unter anderem darum bemüht ist, festzustellen, Wer er ist. Das Selbstgespräch ist eine maßgebliche Weise, wie der Werseiende sich zu sich in seiner eigenen Existenz verhält, es ist sein maßgebliches Selbstverhältnis, aber nicht so, daß der männlich Seiende als Selbstbewußtsein seine Welt zuerst entwirft, sondern so, daß sein Schon-in-der-Welt-sein durch dieses Selbstverhältnis des Selbstgesprächs charakterisiert, d.h. geprägt und wesenhaft bestimmt ist, und zwar deshalb, weil er seinem eigenen Sein in der Lichtung ausgesetzt ist. Nicht bezieht sich der männlich Seiende in seinem Selbstgespräch auf sich als Selbstpunkt, vielmehr beschäftigt er sich mit seinem Sein als Wer, d.h. in dem Selbstgespräch stellt er jeweils fest, wer er ist und wie in seinem Verhalten er sich in der Welt aufrecht hält. Der männlich Seiende steht in einem sprachlich-verstehenden Verhältnis zum Sein des Seienden, zur Welt und so durch diese Selbsttranszendenz hindurch zum Sein seiner selbst. Das Selbst- oder Wergespräch gehört zu seinem Selbstverständnis und ist streng genommen die Herausarbeitung seiner selbst als eines Seienden. Der männlich Seiende versteht seine eigene Existenz immer schon auf irgendeine Weise und hat insofern ein Seinsverständnis von sich selbst. Dieses Selbstverständnis artikuliert sich zunächst in der - zumeist unausgesprochenen - Rede des Selbstgesprächs. Die Sprache und die Möglichkeit des Redens, auch des Mit-sich-redens, sind keineswegs Eigentum des männlich Seienden als eines einzelnen Subjekts, auch wenn er die Sprache 'gut beherrscht', vielmehr ist er als männlich Seiendes von der Sprache wesenhaft auf vielfältige Weise in Besitz genommen und ihr ausgeliefert. Die Sprache ist die Dimension seiner Eigennamenträgerschaft und seines Selbstgesprächs und letztlich die Dimension, in der er überhaupt ist.

  3. Die Selbstverständlichkeit der Selbstrede soll nicht davon ablenken, daß der männlich Seiende als solcher nur in der Sprache ist, er ist für sich selbst nur im Selbstgespräch. Sein Sein als Wer findet nicht außerhalb der Sprache statt, sei es auch, daß er eine große sprachlose Tat vollbringt oder chronisch schweigt, denn Selbstverständnis ist Sprachverständnis, und dieses artikuliert sich als Selbstgespräch. Der Werseiende wird in der Sprache gehalten, die ihn zugleich überragt, er ist selber eine Sprachschöpfung. Deswegen kann die griechische Wesensbestimmung für den männlich Seienden umgekehrt und ungeschrieben werden: der männlich Seiende west als ho logos zoion echon, als die ein Lebendes habende Rede, d.h. als das Lebende, das von der Sprache in Besitz genommen und darin aufgehoben und damit ins Sein gerufen ist. Die Einsicht darin, daß der männlich Seiende (Mensch) nicht das Subjekt, d.h. das Zugrundeliegende, der Sprache ist, sondern daß er der Sprache und ihrem Spiel als dem Element seines Wesens innewohnt und sie zu hüten hat, ist ein Hauptmerkmal des Seinsdenkens und widerspricht jeder Auffassung von Sprache als Mittel - etwa als Kommunikationsmittel -, das einem Subjekt zur Verfügung steht. Das Wesensverständnis des Menschen als vernunftbegabt, d.h. als to zoion logon echon, eine Begabung, die den männlich Seienden zu einem Einblickenden ins Sein des Seienden und dadurch zum Herrscher des Seienden macht, gehört als Wesensmerkmal zum metaphysischen Zeitalter.

  4. Im Hinblick auf unsere Frage nach dem Wer und der Möglichkeit der Freundschaft als Modus des Mitseins bedeutet dies, daß das männliche Wesen, seinem Wesen entsprechend, auf die Möglichkeit des Redens angewiesen ist, wenn er sein Wersein existieren soll. Das agonistisch-überhebende Vermessen des Aufeinandertreffens ist autistisch im streng gedachten Sinn: es ist rein auf das Selbst (gr.: autos) bezogen und zielt in erster Linie darauf, den Anderen vertikal in bezug auf sich selbst einzuordnen. Wenn nun in der Darstellung die Bestimmung des Werseienden als eigennamentragend auf die Möglichkeit des Redens erweitert wird, erweitert sich zugleich der Horizont, in dem männlich Seiende miteinander zu tun haben können und müssen: Die Mitwelt ist Sprachwelt, der Werseiende west nicht bloß als monadisches Individuum, das sich gelegentlich auf einen agonistischen Vergleich einläßt, noch dient die Sprache nur als Medium des Werstandskräftemessens, er ist darüber hinaus und immer schon auf die Sprache angewiesen und ihre Möglichkeit, sich darin mit-zu-teilen und den Anderen anzusprechen. Dies soll nicht besagen, daß der männlich Seiende seiner Natur gemäß ein 'geselliges Tier' sei, das zudem wegen seiner Fähigkeit zu reden, diese als Werkzeug einzusetzen vermöchte, um eine bessere Verbindung herzustellen. Noch soll es besagen, daß der männlich Seiende klugerweise (d.h. kraft seiner Vernunft) die Sprache als Kommunikationsmittel erfunden und entwickelt hat, um durch die Möglichkeit des Sichverständigenkönnens besser zu überleben. Die doppelte Aristotelische Wesensbestimmung des Menschen[1] als zoion logon echon und zoion politikon soll vielmehr hier ihre nichtssagende Selbstverständlichkeit verlieren, um das Sprache-haben und das Mitsein als fragwürdige Wesensmerkmale zu durchdenken.



      Anmerkungen 6. a)


    1. Vgl. z.B. Aristoteles Pol. I. 1253a10-15. Back

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