kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


5. Agonistisches Aneinandergeraten

g) Hegels Kampf um die Anerkennung


Version 2.1 July 1996
e-mail: artefact@t-online.de



Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


Copyright (c) 1985-1996 by Michael Eldred, all rights reserved. This text may be used and shared in accordance with the fair-use provisions of U.S. copyright law, and it may be archived and redistributed in electronic form, provided that the author is notified and no fee is charged for access. Archiving, redistribution, or republication of this text on other terms, in any medium, requires the consent of the author.

    5. g) Hegels Kampf um die Anerkennung

  1. Hegel beschreibt die Bewegung des Anerkennens zweier Selbstbewußtseine in einer berühmten Passage der Phänomenologie des Geistes. Das Selbstbewußtsein ist eine besondere neuzeitliche Gestalt des metaphysischen Menschenwesens. Um die reine Gewißheit von sich selber als fürsich-seiendes Selbstbewußtsein zu gewinnen, gehen beide zunächst auf den Tod des je Anderen:

  2. Da indessen die abstrakte Negation des Anderen im Tod den Überlebenden als Selbstbewußtsein wieder negiert, muß der Prozeß des Anerkennens in das Herr-Knechtschafts-Verhältnis münden, wodurch sich das eine Selbstbewußtsein dem Anderen unterordnet, um sein natürliches Leben zu bewahren. Nur so kann das Selbstbewußtsein als anerkanntes sein, wenngleich sich diese Anerkennung als "ein einseitiges und ungleiches Anerkennen" (ebd. S.152) entpuppt, dessen Einseitigkeit die Dialektik in der Phänomenologie des Geistes weiter vorantreibt. Hier wollen wir zuerst zwei Momente in der von Hegel in ihrer Reinheit gedachten dialektischen Bewegung des gegenseitigen Anerkennens zweier Selbstbewußtseine herausgreifen und festhalten: Erstens, daß sie schon im wesentlichen Ansatz agonistisch strukturiert ist ("es tritt ein Individuum einem Individuum gegenüber auf. So unmittelbar auftretend, sind sie füreinander in der Weise gemeiner Gegenstände" ebd. S.148), und zweitens, daß die Agonistik, wenn diese nicht in der Zerstörung des Anderen endet, doch eine vertikale Einordnung der Selbstbewußtseine ergibt. Diese agonistische Vertikalität zeichnet eben das Sein der männlich Werseienden aus, d.h. das Hegelsche Selbstbewußtsein ist eine Gestalt des Werseins, obschon Hegel selbst dies nicht erkennt, sondern die Aufeinandertreffenden sogar als "Gegenstände" faßt. Drittens aber - und fundamentaler - ist das fürsichseiende Selbstbewußtsein nur, indem es sich wehrhaft gegen ein anderes bewährt. Hegelsches Fürsichsein läßt sich mit Ständigkeit durch die Selbstgewißheit übersetzen. Die Ständigkeit des Selbstbewußtseins wird dadurch bewährt, daß es sich der Agonistik aussetzt und die Gewißheit seiner selbst gewinnt. Diese fürsichseiende Ständigkeit läßt das Selbstbewußtsein sowohl Raum einnehmen als auch ausdauernd einen Stand halten. Die fürsichseienden Selbstbewußtseine sind wesensnotwendig ant-agonistisch, sofern es um ihr raumeinnehmendes, ausdauerndes Fürsichsein geht. Fürsich ist das Selbstbewußtsein in der abwehrenden Abgrenzung gegenüber dem anderen, im Kampf wird das Fürsichsein geschmiedet, die ständigen Grenzen des Werseins herausgearbeitet. Das Sein ist deshalb kein unschuldiger allgemeiner Titel, sondern bedeutet in bezug auf das Sein der männlich Seienden Kampf.

  3. Unter den seinsgegebenen Bedingungen der polis zu existieren, bringt es mit sich, daß der Tod in der Agonistik der Werseienden zwar verdrängt, aber zugleich eben in dieser Verdrängung aufgehoben wird. Nur in der Bewährungsprobe als Für-sich-seiende zwischen Staaten, im Krieg, kommt das wesenhaft tödlich Agonistische am Wersein wesensgemäß zum Erscheinen; im modernen bürgerlichen Leben hingegen wird es unter dem staatlichen Gewaltmonopol 'aufgehoben' d.h. eliminiert (verboten) als auch konserviert (als Verbrechen) als auch auf eine 'höhere' Ebene gehoben (als rechtsmäßig strafbare Tat). Indessen: wir denken an dieser Stelle vor jedem Begriff der (bürgerlichen) Gesellschaft und des Staates. Außerdem wird hier keine logische Dialektik des Selbstbewußtseins durchdacht. Im 'unschuldigen', d.h. den Tod verdrängenden, Alltag treffen männlich Seiende aufeinander als Anerkennung verlangende, agonistische Werwesen, sie verwirklichen bloß die Wahrheit des Werseins, das selber verborgen bleibt und nur aus der Verborgenheit sein Schicksal an die männlich Seienden schickt. Als Eigennamenträger wollen die männlich Seienden vom Anderen ernst genommen werden, um sich als Wer zu bestätigen. "Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem und dadurch, daß es für ein Anderes an und für sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes."[2] Auf eine ursprünglichere Ebene übersetzt: Wersein ist Mitwersein. Die männlich Seienden sind wesensnotwendig aufeinander angewiesen, wenn sie als Wer, als männlich Seiende, wesen sollen. Nicht nur ist der männlich Seiende nur als Mitseiender in der Mitwelt, d.h. ein 'politisches Wesen', sondern er ist nur als hervorgegangen aus dem Kampf um die Anerkennung, in dem er sein Sein dem Anderen abringt. Sein Werstand muß in den Augen des Anderen widergespiegelt werden, sonst ist der männlich Seiende als solcher nicht. Die Widerspiegelung ist notwendig, um nicht etwas, sondern Wer zu sein. Genauso gut könnte man sagen: der Ruf des Wer muß einen Widerhall finden, sonst ist der männlich Seiende kein männlich Seiendes. Die Bewährungsprobe als Wer im Kampf der Anerkennung ist allerdings gewissen Bedingungen unterworfen; nicht jedes Aufeinandertreffen kann den Wer bestätigen, d.h. sein lassen.



      Anmerkungen 5. g)


    1. Hegel Werke 3:148/9. Back

    2. ebd. S.145 Back

    3. Back

    4. Back

      artefact