ei de toi makarioi to einai aireton esti kath' hauto, agathon tei physei on kai hedu, paraplesion de kai to tou philou estin, kai ho philos ton aireton an eie. Wenn also dem Glücklichen die ständige Anwesung in sich selbst begehrenswert ist, dem waltenden Aufgehen gemäß gut und angenehm, und Ähnliches für die ständige Anwesung des Freundes gilt, dann ist wohl auch der Freund begehrenswert.
Aristoteles
Nikomachische Ethik IX. ix. 1170b 14-17
Das Miteinandersein im Man ist ganz und gar nicht ein abgeschlossenes, gleichgültiges Nebeneinander, sondern ein gespanntes, zweideutiges Aufeinander-aufpassen, ein heimliches Sich-gegenseitig-abhören. Unter der Maske des Füreinander spielt ein Gegeneinander.
Martin Heidegger
Sein und Zeit S. 175
Das Obensein ist nur möglich durch das ständige Obenbleiben in der Weise der ständigen Überhöhung.
Martin Heidegger
Parmenides Gesamtausgabe Bd. 54 S. 66
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5. a) Aristotelische Freundschaft
Zwischen dem Zitat aus der Nikomachischen Ethik und dem aus Sein und Zeit verläuft ein ungeheurer Spannungsbogen - zwischen der Freundschaft und dem bloßen Miteinandersein - der uns in diesem und dem darauf folgenden Kapitel beschäftigen wird. Aristoteles spricht - wohl in einer Vorlesung - auf besonnene, lebenserfahrene Weise zu den athenischen Bürgern vom Wert und den Vorzügen der Freundschaft für die praktische Lebensführung in der polis. Zweieinhalbtausend Jahre später schreibt Heidegger von der Zweideutigkeit des Mitseins im selben Modus, nämlich dem der durchschnittlichen Alltäglichkeit. Was ist inzwischen passiert? Hat sich die Möglichkeit von Freundschaft unter 'modernen Bedingungen' erschwert und im Lauf eines historischen Wandels in ihr Gegenteil verkehrt? Oder haben wir es bei Aristoteles und Heidegger mit zwei vollkommen entgegengesetzten Persönlichkeiten zu tun, der einen, die souverän-urban ihre städtische Lebensführung bewältigt, der anderen, die mißtrauisch ihre Mitmenschen aus einem provinziellen, bäuerlichen Abstand betrachtet? Könnte nicht auch ein Klassenbewußtsein eine gewisse Rolle spielen: einerseits der edle Aristoteles, Tutor von Alexander; andererseits der kleinbürgerlich-bäuerliche Heidegger, der - mit einem Minderwertigkeitskomplex belastet - in der Welt rasant, zu rasant hochgekommen war? Welcher von beiden ist der Wahrheit des Wesens der abendländischen Freundschaft unter männlich Seienden näher? Macht die historische Kluft, die zwischen Aristoteles und Heidegger liegt, es unmöglich und hermeneutisch unangebracht, Vergleiche anzustellen? Lebten sie schließlich nicht unter gänzlich unterschiedlichen 'historisch-gesellschaftlichen Verhältnissen'? Oder sind die bisherigen Überlegungen schlicht zu platt psychologistisch und deshalb philosophisch abwegig?
Wie, wenn das Miteinandersein der männlich Seienden im Abendland, das hier zwei Denker in verschiedenen historischen Zeiten anspricht, doch eine geschichtliche Epoche bildete - eine Epoche der polis -, die dadurch vereinheitlicht wird, daß die Möglichkeit von Freundschaft aus dem selben Wesensgrund, nämlich dem des Werseins, gegeben ist, das wiederum dem Sein als ständiger Anwesung ent-spricht, ihm zugehört? Dann wäre es abwegig, sich den Kopf über sich unterscheidende historische Zeiten (soziologisch) zu zerbrechen, da sie sich eben nur historisch unterscheiden würden, nicht aber im Hinblick auf ihr Geschicktsein aus demselben Wesensgrund der geschichtlichen Männlichkeit - das ohne die Seinsgeschichte des abendländisch-metaphysischen Denkens nicht zu denken wäre. Dann wäre es auch mehr als fehl am Platz, die unterschiedlichen 'Persönlichkeiten' und sozialen Hintergründe der beiden Denker psychologisch-hermeneutisch miteinbeziehen zu wollen, da sie dann nur auf verschiedene Weise in einer naiven Sprache von (verschiedenen Aspekten von) dem Selben redeten, wenn auch vom Selben in verschiedenen Epochen seiner Schickung, am Anfang und Ende des ersten Anfangs. Hier interessiert uns nämlich nur das (phallisch-ständige) Selbe, das sich in einer ganzen geschichtlichen Epoche maßgeblich Durchhaltende, das mit der einfachen Geschichte des abendländischen Denkens innigst, wenn auch im Verborgensten, verbunden ist.
Nach Aristoteles ist demjenigen, dem die ständige Anwesung in der Lichtung von sich aus wünschenswert ist, d.h. der der Offenheit der Seiendheit des Seienden gehört, auch die Freundschaft wünschens- bzw. begehrenswert. Derjenige, der in der Lichtung des Seins als seinem Zuhause existiert, d.h. ständ-ig unter dem ständigen Aufgehen des Seienden anwest, wünscht sich auch die ständige Anwesung seiner ähnlich ständ-igen Freunde als Mitseiende. Und umgekehrt: Derjenige, der in der Lichtung des Sichaufgehens als ein Unbehauster existiert, d.h. dem die Ständigkeit der Anwesung von Seiendem irgendwie abhanden gekommen ist bzw. den sie überfordert, befindet sich als Unbehauster auch in der Ständigkeit verlangenden Freundschaft unter männlich Seienden. Der Unbehauste ist derjenige, der dem von-sich-aufgehenden Walten in der Weise entspricht, daß er ihr entsagt, selbst nicht zustande kommt und womöglich ihr - mit seiner letzten Kraft - widerspricht, d.h. indem er das ständige Anwesen, d.h. die Notwendigkeit, unten den Seienden einen festen Stand einzunehmen, gegen den Strich in Worte faßt und sein Hiersein im Da damit verbringt, seine Unbehaustheit trotz aller Unfähigkeit und inneren Widerstands zur Sprache kommen zu lassen. Dieser Unbehauste hat das Haus des Seins als Gehäuse der ständigen Vorgestelltheit verlassen und findet sich deshalb schwer mit dem Freund als einem Seienden, d.h. einem ständ-ig anwesenden Werseienden zurecht.
Das Griechische einai mit "ständigem Anwesen" oder "ständiger Anwesung" zu übersetzen, bedarf einer Rechtfertigung, damit es dem Leser nicht als nichtssagend, gestelzt, verschroben oder als Heideggernachplapperei vorkommt. Die Rede von der "ständigen Anwesung" des Freundes heißt freilich nicht, daß der Freund immer da, irgendwie immer vorhanden bzw. in der Nähe, noch daß die Freundschaft von Dauer ist. An dieser Stelle in der Nikomachischen Ethik geht es Aristoteles um den glücklichen männlich Seienden und warum dieser glückliche männlich Seiende Freunde braucht, um glücklich zu sein, d.h. in der Vollendung des Lebens in der Polis zu stehen. Das Glück besteht nach Aristoteles im Sein, genauer, in der Wahrnehmung (aisthesis) des Seins der tauglichen Seienden. Die Tauglichkeit bzw. das Gute besteht darin, in der Mitte der Kategorien zu stehen und dort einen ständigen Stand zu haben. Das Seiende als solches ist kraft des Wasseins und des Daßseins, die es zu einem Ständigen machen. Kraft des Wasseins kommt das Seiende als solches zu stehen, wird im Was beständigt, d.h. ständig, etwas. Die Ständigkeit des Seienden, die es erst als Folge zu einem in den Ekstasen der Zeit ausdauernden Seienden macht, ist dem Menschen - Aristoteles zufolge - kraft der ihn als Menschen auszeichnenden noesis zugänglich, offenständig. Das Leben des Glücklichen ist glücklich, weil er das gute, beständigte Anwesende als solches wahrzunehmen vermag. Unter den guten Seienden gibt es auch tugendhafte männlich Seiende, deren Verhalten angenehm ist wahrzunehmen, da sie sich in der Mitte der Kategorien halten - jeweils weder zu wenig noch zu viel hinsichtlich der zehn Kategorien - und so ein Vorbild des eigenen Guten bieten. Die Aristotelische Ethik ist ja eine Haltungsethik, die darin besteht, jeweils angesichts der jeweiligen Situation die Mitte zu treffen und damit eine kategoriale Seinsständigkeit zu erreichen und zu halten. Der glückliche, tugendhafte Mann sieht im guten Freund den Spiegel seiner eigenen Tugend, was glücklich macht, genauso wie die Selbstwahrnehmung der eigenen Tugend. Tugend ist hier keine moralische Klassifikation, sondern bezeichnet das feste, zuverlässige, maßhaltende Sein des männlich Seienden inmitten des Lebens in der Polis. Zudem aber wird dem Glücklichen die Erfahrung des guten Seienden dadurch erweitert und bereichert, daß er mit anderen guten, maßhaltenden männlich Seienden reden kann, denn auch diese nehmen das gute Seiende wahr und können solche Erfahrungen mitteilen.
Es geht Aristoteles also um die Erfahrung des Seienden in seinem Sein, d.h. in den Grenzen des Anblicks, die es erst als Seiendes, d.h. kategorial ständ-ig, erscheinen lassen - und folglich als in der Zeit beständig. Wie jedes andere Seiende west auch der Freund - so Aristoteles - ständig an, d.h. in wahrnehmbaren kategorialen Grenzen als ein Seiendes. Als ein gutes, in zuverlässigen Haltungen stehendes Seiendes gehört er zum Begehrenswerten, das der Mann gern haben (huparchein) möchte, um sein Leben, d.h. seinen Aufenthalt mitten unter den ständig aufgehenden Seienden, zu bereichern und seine Interessen zu fördern. Halten wir dies vorläufig fest: i) der Freund ist ein Seiendes, das als ein solches wahrgenommen werden kann, ii) der Freund ist dadurch ausgezeichnet unter den begegnenden Seienden, daß er selbst auch der Offenheit des Seins des Seienden ausgesetzt ist und sie deshalb teilt, iii) der Freund und seine Erfahrung der Offenheit des Seins sind durch die Rede, das Miteinanderreden, das Mitteilen - problemlos, wie es scheint - zugänglich. Am Anfang des Kapitels über die Freundschaft in der Nikomachischen Ethik schreibt Aristoteles sogar, daß es eine natürliche Neigung der Menschen für und zueinander zu geben scheint, eine natürliche Zuneigung, und daß die Städte durch die Freundschaft - und erst in zweiter Linie durch die Gerechtigkeit (dikaiosyne) - zusammengehalten zu werden scheinen (VIII. i. 3-4 1155a 22-24). Wir hingegen werden es uns mit der Begegnung unter männlich Seienden nicht so leicht machen, als könnte sie 'der Physis gemäß', gleichsam aus einer natürlichen kommunikativen Neigung heraus, aufgehen, denn die Männlichkeit selbst ist nicht einfachhin gegeben, sondern stellt eine Herausforderung dar, der Ständigkeit des Seins so zu entsprechen, daß der männlich Seiende unter den Seienden in standfesten Haltungen zum Stehen kommt. So betrachtet ist der Stand der männlich Seienden im Sein immer schon gefährdet und bedarf deshalb der Verteidigung und des damit zusammenhangenden Mißtrauens.