kaum ständig noch
Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein
by
Michael Eldred
artefact text and translation
Cologne, Germany
2. Männlichkeit als Wersein
b) Die Eigengenanntheit
Version 2.1 July 1996
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... und hier wurde mir zum erstenmal bewußt, daß es auf den Namen allein ankam, daß er allein trug und neben ihm alles Übrige verblaßte.
Elias Canetti
Die gerettete Zunge
Ich schaute in das Fenster und sah, zum erstenmal, mein erstes Buch. Da lagen mehrere Exemplare nebeneinander. Ich vergewisserte mich. Ja - mein Name, der war richtig gedruckt. Ach, hat mich das erleichtert!
Ernst Herhaus
Kapitulation
Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels
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2. b) Die Eigengenanntheit
- Wenn nach dem Wesen des männlich Seienden als Wer gefragt wird, muß man sich davor hüten, daß nicht sogleich zuviel gefragt und gefordert wird, womit das Einfache an dieser Frage gleich zu Anfang übersehen wird. Der Satz "Ich bin Wer" wird unter Beachtung der Bestimmung des Seins als Ständigkeit der Anwesung umformuliert als "Der männlich Seiende west als Wer in einer Ständigkeit an" (und wird auch von den Anderen als Wer erschlossen). Was heißt es hier, als Wer ständig anzuwesen? Oder zunächst: Wie versteht sich der männlich Seiende als Wer? Wer zu sein, heißt in erster Linie, einen Namen zu haben. Genauso wie "Ich bin Wer" ein schillernd-zweideutiger Satz ist, ist auch die Wendung "einen Namen haben" zweideutig. Diese Wendung wird zunächst in einer neutral-'trockenen' Bedeutung, d.h. im wörtlichen Sinn genommen: Der männlich Seiende als Wer west als genannter an, er trägt einen eigenen Namen als Eigennamen: einen eigensten logos oder onoma. Seine Anwesenheit in der Welt ist durch Eigennamenträgerschaft gekennzeichnet.
- Auch die mögliche Namenlosigkeit oder Anonymität des männlich Seienden stellt hier keinen Gegensatz dar: die Anonymität muß als privativer Modus des Werseins aufgefaßt werden und erhält ihre Bedeutung nur aus der Namensträgerschaft, wie das a-Privativum auch besagt. Das erste fundamentale Strukturmerkmal des Werseins erweist sich also als die Eigennamenträgerschaft oder als die Eigengenanntheit. Dieses Existenzial umfaßt sowohl positive als auch defiziente Modi des Eigengenanntseins.
- Das die Welt erschließende, männliche Dasein ist keine zusammenhanglose Reihe von Erlebnissen und Sensationen, sondern eine sich durch die Erlebnismannigfaltigkeit durchhaltende Form, kurzum: ein Ich. So lautet die subjektive Wesensbestimmung des Menschen, wie sie z.B. von Descartes und Kant gedacht wurde, und die die maßgebliche ontologische Bestimmung des neuzeitlichen Wesens des Menschen als Subjekt und vor allem als Erkenntnissubjekt konstituiert. Das Wissen, das Eindringen in die Objektivität der Welt steht für das neuzeitliche Denken im Vordergrund. Doch dieses wissende (männliche?) Ich ist immer schon zugleich als Wer entworfen, es trägt einen Namen und west daher als eigengenanntes Ich oder Selbst. Männlich zu sein, oder: als männlich Seiender zu wesen, heißt zuerst, als genannter Wer da zu sein, d.h. anzuwesen und selbst in der Lichtung der Wahrheit des Seins als Wer zu erscheinen. Wesen und Anwesen sind nicht gleichbedeutend; auf das An- in der Anwesung kommt es beim männlichen Dasein an, ein An-, das auf Ständigkeit hinweist. Der männlich Seiende muß in der Lichtung ankommen, dort Raum einnehmen und ausdauernd diesen Raum besetzen. Dieses Raum-Einnehmen und Raum-Besetzen muß mitweltlich gedacht werden. Nur als Wer kommt der männlich Seiende an ins ständige An des Anwesens und ist. Das männlich ichhafte Dasein, d.h. sofern es unter der Form des Ich existiert, ist sogleich mehr als 'Bewußtseinsmitte' und mehr als ein x-beliebiges Ich; es west immer als ein bestimmter Jemand. Diese Jemandheit wird erst durch ein bestimmtes Zeichen, ein bestimmtes Wort, einen Namen, einen Eigennamen ins Sein gerufen, d.h. das Sein ruft das männliche Dasein als eigengenanntes Ich (und allgemeiner als Selbst) an, es schickt ihm von Anfang an sein Wersein als Eigennamenswort. Der Eigenname als Zeichen der ersten Besitznahme der Lichtung und des ersten In-Besitz-genommen-werdens durch die Lichtung unterscheidet den männlich Seienden von allen anderen und hebt ihn als besonderen, einzelnen heraus. Längst bevor die Eltern ihr Kind eigens genannt haben, ist es schon für das eigengenannte Wersein vorbestimmt. 'Längst bevor' bedeutet hier nicht 'seit unvordenklichen Zeiten', sondern 'immer schon' als notwendiges Strukturmerkmal der männlichen Seinsweise. Das einzelne Dasein wird durch seinen Eigennamen in die Sprache und damit in die Ek-sistenz in der Lichtung gerufen. Der Eigenname ist der ursprüngliche Ruf in das Dasein vor jedwedem Ruf, den der männlich Seiende im Miteinandersein erwerben könnte. Als der ursprüngliche Ruf in die Sprache ist der Eigenname zugleich in gewisser Weise der erster Ruf ins Sein überhaupt, denn der Einzelne ist einzelner herausstehender Existierender erst kraft des eigenen Namens.
- Hier wird ausdrücklich kein erklärender Grund, wie z.B. patriarchale Erblinie oder Herkunftsbezeichnung, für die Nennung des männlichen Daseins angegeben, noch weniger wird hier ein Anruf durch einen Gott, der den Einzelnen ruft, angedeutet. Das Phänomen wird vielmehr zunächst in seiner reinen, aussageschwachen Faktizität aufgenommen: die einzelne Existenz steht immer schon als einzelne in der Dimension der Eigengenanntheit. Daß das Thema männlich Seiender in der Hinsicht seiner Eigennamenträgerschaft 'angeschnitten' wird, bringt es mit sich, daß sich das Denken hier nicht mit dem Problem des Subjekts der Erkenntnis - und damit mit dem Ich - befaßt, sondern vielmehr mit einem anderen, eher wahrheitspolitischen Ansatz (es wird im Folgenden um die Wahrheit der Polis und um die Polis als Ort der Wahrheit des Mitseins gehen), in dem das Sein des männlich Seienden bzw. der männlich Seiende als Seiender, Anwesender zunächst zum Vorschein kommt.
- Die Ichhaftigkeit des Wer ist für unser Fragen hier zweitrangig, die Eigennamenträgerschaft kommt vor der spezifisch modernen Form der männlichen Wesung und gilt u.a. für die ganze metaphysische Seinsgeschichte. Der Entwurf oder besser: die Geworfenheit des männlich Seienden als Wer ist keineswegs an die neuzeitliche Subjektivität wesenhaft gebunden, sondern eher an die Metaphysik überhaupt und ihre Leitfrage nach dem Sein des Seienden. Die einfache Bestimmung der Eigennamenträgerschaft zeichnet noch ursprünglicher das Da des männlichen Daseins aus, so daß selbst das fundamentalontologisch gedachte ekstatisch-entwerfende Innestehen in der Lichtung des Da[1] als männliches schon die Wesensmerkmale des Wer trägt. Das Da des männlichen Daseins ist gezeichnet, eigens genannt, logifiziert; der männlich Seiende ist ontologisch-ursprünglich in seinen Wer, und d.h. zunächst: in seine Eigengenanntheit, geworfen. Es ist dies ein Grundgeschehen des Daseins im Menschen vom Sein her. Dies bleibt freilich zunächst eine etwas stumpfe Aussage, und die Reichweite derselben ist nicht erkennbar, solange die konkrete Auslegung des männlichen Daseins als Wer und ihre Eingebettetheit in der Wahrheit des Seins nicht erfolgt ist.
Anmerkungen 2. b)
Siehe z.B. Martin Heidegger Zollikoner Seminare: Protokolle - Gespräche - Briefe herausgegeben von Medard Boss, Frankfurt a.M. 1987 S.236. Back
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