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7. d) Ontologische Begründung der Geschlechtlichkeit in der Existenz
Die nun ausgeführte Entfaltung des Wesens des Werseins kann wohl nicht mehr als eine bloß 'ontische Beschreibung' mißverstanden werden. Die existenziale Entfaltung des Wesens der Männlichkeit als Wersein ist dadurch bedingt, daß ohne sie eine Wesensbestimmung der Männlichkeit in der Luft als bloße Wesenseigenschaft oder Definition oder sogar empirische Beschreibung gewisser Verhaltensweisen hängt, d.h. ohne eine Fundierung in der Existenz als Seinsweise des Daseins selbst bleibt. Die Männlichkeit wurde z.B. oft als Aktivität oder Aggressivität charakterisiert, ohne daß der existenziale Gehalt dieser Charakterisierung ausgelegt und geprüft wurde. Diese Charakteristika lassen sich deshalb z.B. als bloß biologische oder als verschwommene metaphysische Essenzialien bzw. Prinzipien verstehen. Die Aggressivität, als biologische Konstante verstanden, läßt es zu, daß das Wesen des männlich Seienden vom Animalischen her gedacht wird. Die verschwommenen Essenzialien werden ebenso verschwommen in (zumeist: psychologischen) Theorien der Männlichkeit verwendet. Die ausdrückliche Wesensentfaltung des Werseins in der Wer-Agonistik dient dazu, solche Auslegungsmöglichkeiten einer als freischwebende Essenz vorgestellten Männlichkeit abzuweisen. Die phänomenologische Wesensschau der Agonistik im alltäglichen Miteinandersein, wo die männlich Seienden ihre Existenz ek-sistieren, soll den Termini Aktivität und Aggressivität einen nicht beliebigen und insbesondere einen nicht-biologischen Gehalt geben, der unter dem Zeichen des Werseins von der Ständigkeit der Anwesung her - oder vielmehr auf sie zu - gedacht ist. Daß das Phänomen der Freundschaft unter agonistischen Bedingungen möglich ist, kann nicht mehr als Gegenargument angeführt werden, wo sie gerade zur Agonistik als ihre ergänzende, unwesentliche Kehrseite - nämlich, als die Möglichkeit der Entwaffnung und somit der Unständigkeit der We(h)rhaften - gehört. Aber diese Entwaffnung weist zugleich auf eine andere Dimension hin, die die Lichtung der Polis in eine andere Richtung durchmißt. Die Möglichkeit, als du zu wesen, kommt von einer ursprünglichen Faltung des Seins her. Das Wersein in der Faltung dazwischen entzieht sich den gängigen metaphysischen Kategorien, die das Seiende als ein solches fassen. Gleichwohl aber ist die Dimension dazwischen, in der ich und du sein können, in der Existenz fundiert.
Auch die heute gängige Vorgehensweise, die Männlichkeit und die Weiblichkeit vom Sozialen und Kulturellen her- etwa als 'Diskurse' - zu fassen, muß sich im Kreise drehen, weil sie nur die Faktizität des sozial-kulturellen Diskurses hinnehmen und diese dann an ethisch-kritischen Maßstäben messen kann. Dabei bleibt das Woher des Maßstabs unhinterfragt, und die Kritik verkommt zu einem Diskurs auf moralisierender Grundlage. Es geht den Sozialwissenschaften gar nicht in den Sinn, die Frage nach Seinsweisen zu stellen und ernstzunehmen.
Der explizite Blick auf die männliche Existenz selbst soll dazu verhelfen, die existenzial-existenziellen Hintergründe etwa des technischen Subjekts oder des Subjekts des Wissens und der Vernunft zu erhellen, so daß das Subjekt als allgemeines Thema philosophischer 'Diskurse' nicht mehr merkwürdig blutleer und anonym bleibt. Der wesenhafte Narzißmus des Subjekts soll hier zur Sprache kommen, was nur dadurch geschehen kann, daß das Subjekt in seiner alltäglichen Existenz phänomenal ausgeleuchtet und namhaft genannt wird. Die Wendung des Blickes zurück auf den existierende männlich Seienden selbst legt es nahe, daß in der Bemühung um eine Wesensbestimmung des Menschen, die Geschlechtlichkeit nicht nur nicht außer acht gelassen werden kann, sondern auf eine ursprüngliche Faltung hinweist. Die Geschlechtlichkeit heißt hier nicht (mehr) die Zweiteilung der Menschengattung in zwei Geschlechter, sondern die Faltung des Seins in Wassein und Wersein, die die Titel Sachlichkeit und dazwischen oder 'Männlichkeit' und 'Weiblichkeit' tragen darf, wobei die Anführungszeichen eine Distanzierung von den traditionellen metaphysischen Entwürfen einer Festlegung geschlechtlicher Wesensmerkmale andeuten sollen. Weder Mann noch Frau existieren, nur das Dasein existiert, und Heidegger hat insofern Recht, wenn er auf die Neutralität des Daseins insistiert. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, die traditionellen Titel in eine ontologische Bedeutung zu übertragen, die eine Faltung des Seyns selbst sichtbar machen kann.
Erst der Versuch, die Geschlechtlichkeit als existierte Existenz ausdrücklich auszulegen, und d.h., wie es sich herausgestellt hat, die geschlechtliche Existenz aus der Welt als Mitsein zu denken, kann von sich her und an ihr selbst zeigen und hat gezeigt, inwiefern die Daseinsanalytik vor der Geschlechtlichkeit ansetzen kann. Die hier ausgeführte Phänomenologie des männlichen Seins als Wersein gibt der Geschlechterneutralität eine andere Bedeutung als die von Heidegger anvisierte, da die Faltung des Seins in Zwei die Zweiheit bzw. die Zwiefältigkeit auf eine andere Ebene hebt. Die Daseinsanalytik kann zwar ohne weiteres als geschlechterneutral gelesen werden, aber die Geschlechtlichkeit rettet sich insofern in das Seinsdenken hinein, als sie sich - ohne gewaltsame Verzerrungen - mit einer Doppelung der Transzendenz bzw. der ontologischen Differenz deckt, die bisher nicht gedacht worden ist. Es bleibt hier zunächst dahingestellt, inwiefern dieser Neuentwurf der Geschlechtlichkeit als ontologisch-transzendental zu einer andersartigen Destruktion metaphysischer Diskurse führt. Die Geschlechtlichkeit darf nicht lediglich als eine Ausformung der Leiblichkeit genommen werden, d.h. die Frage danach, ob die Leiblichkeit zur fundamental-ontologischen Daseinsanalytik wesenhaft gehört ist nicht identisch mit der Frage, ob die Geschlechtlichkeit dazu gehört, denn die Bedeutsamkeit von Geschlechtlichkeit für das In-der-Welt-sein läßt sich - wie in dieser Darstellung gezeigt - nicht an der Leiblichkeit festmachen. Die grundsätzliche Frage lautet letztendlich: Ist die Offenheit des Daseins für das Sein mit einer Zwiefalt durchsetzt, die wir berechtigterweise mit den Titeln 'Männlichkeit' und 'Weiblichkeit' belegen dürfen? Wir haben diese Frage affirmativ beantwortet, wenn auch mit Vorsicht. Wenn Freud eine grundsätzliche Bisexualität als Fundament seiner psychoanalytischen Theorie postuliert, wobei er sie als Wesensmerkmal eines Seienden versteht, d.h. als etwas, das das Wesen des Menschen ausmacht, dann zeigt sich, daß diese Bisexualität sich in eine zwiespältige Offenheit des Daseins fürs Sein übersetzen läßt. Nicht nur ist das Dasein zur Welt hin transzendent erstreckt, verstreut, sondern ich bin zur dir hin erstreckt, wobei du als du mir niemals als Seiendes erschlossen bist.