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7. c) Zwiefalt des Seins: Männlichkeit und Weiblichkeit
Heidegger will jedoch, wie bereits bemerkt, etwas anderes behaupten. Die Selbstheit sei ursprünglicher als das Ichsein und Dusein. Damit ist die Dimension der Intimität mit dir als eine gleichursprüngliche geleugnet und unter die des Seins des Seienden schlechthin subsumiert. Die Transzendenz von Welt, die ontologische Differenz soll schon geschehen sein, bevor wir uns begegnen, und zwar so, daß wir uns erst in der ontologischen Differenz begegnen. Nur so kann die Selbstheit unser Sein als ich und du "erst ermöglichen". Daß das Sein sich in zwei gleichursprüngliche Dimensionen falten, sich ursprünglich so zwiefältigen könnte, läßt Heidegger nicht gelten, sondern hält an einer Neutralität des Daseins und damit an einer ungefalteten Einheit des Seins fest. Trotz der Aristotelischen pollachos legetai to on, zieht Heidegger diese Möglichkeit einer ursprünglichen Faltung des Seins nicht in Betracht, sondern weist sie schnell von der Hand. Das Gleiche gilt nun auch für die Geschlechtlichkeit: das Sein walte der Geschlechtlichkeit gegenüber ursprünglich "neutral". Am Ursprung walte das Sein in seiner Neutralität. Wo die Differenz von Sein und Seiendem erst auseinandergeht, da seien die Geschlechter unterschiedslos, weil als Seiendes, nämlich als Dasein schlechthin gleich. Heideggers "erst recht etwa gegen die 'Geschlechtlichkeit'" suggeriert, daß sie noch weniger ursprünglich sei als das Ichsein und Dusein. Aber es suggeriert auch noch, daß sie irgendwie aus dem Ich- und Dusein abzuleiten wäre als eine Folge a posteriori. Wenn also hier eine Seinsdimension dazwischen als gleichursprünglich mit dem Sein des Seienden geltend gemacht wird, dann liegt es nah, die Geschlechtlichkeit, wenn überhaupt, um ihre Ursprünglichkeit über den Umweg des Ich- und Duseins streiten zu lassen. Die Geschlechtlichkeit muß einen ontologischen Status, d.h. einen (nichtstehenden) 'Stand' in der Lichtung der Wahrheit des Seyns, erringen über den bloß ontischen Unterschied von sich unterscheidenden Körpern hinaus, wenn sie Heideggers "erst recht" in Frage stellen will. D.h. die Geschlechtlichkeit ist keine Frage des Unterschieds zwischen Männern und Frauen, sondern eine des Unterschieds zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit als Dimensionen des Seyns.
Was aber beinhaltet der ontische Unterschied der Geschlechter? Der Geschlechtsunterschied besteht darin, daß es Mann und Frau gibt, verschiedenartig Seiende. Indem Heidegger eine Anthropologie und eine Biologie abwehren will, hütet er sich davor, vom Menschen zu reden und a fortiori von Mann und Frau. Das Dasein, das ursprünglich in einer Transzendenz zur Welt weg ist, sei weder das eine noch das andere der beiden Geschlechter. Die beiden Geschlechter als ontisch differenziert haben für Heidegger keine ontologische Bedeutung, womit die ganzen metaphysischen Festschreibungen der Geschlechter, d.h. in erster Linie: der Frau, im Verlauf der abendländischen Geschichte mit einem befreienden Schlag außer Kraft gesetzt werden. Aus diesem Grund ist es irreführend von einer "Geschlechterontologie" zu reden, wie ich das in einem früheren Buch getan habe. Gleichwohl aber sei hier noch am Versuch festgehalten, den Titeln 'Männlichkeit' und 'Weiblichkeit' eine Bedeutung im Lichte des Seins - nämlich als Weisen des Seins - zu verleihen. Dieses Festhalten ist schon längst in der vorliegenden Abhandlung dadurch erfolgt, daß die Männlichkeit als Wersein ausgelegt worden ist. Das männlich Seiende wurde in die Nähe einer Ständigkeit gebracht, d.h. Männlichkeit wurde als eine Ständigkeit des Werseins interpretiert, und diese Ständigkeit wurde als ein bestimmtes Sich-aufrecht-halten im Mitsein (der Polis) ausgelegt. Die ontologische Eigenständigkeit des Werseins wurde herausgearbeitet in der Abhebung von den traditionellen Kategorien des Wasseins und des Daßseins. Als wir dazu kamen, den Umgang der männlich Seienden miteinander in den Blick zu nehmen, hat sich das Wersein allmählich gewandelt von einer wehrhaften, ständigen Seinsweise in die Möglichkeit einer Begegnung zwischen mir und dir. Es muß hier nicht noch einmal betont werden, daß die männlich Seienden, von denen hier die Rede ist, nicht ontisch als Männer zu nehmen sind, sondern als männlich Seiende im Sinne von ständig Werseienden, d.h. als Platzhalter des Werseins. Von Männern in einem empirischen oder biologischen Sinn ist hier gar nicht die Rede gewesen, sondern nur von anvisierten ontologischen Dimensionen, von Seinsweisen. Erst von der Männlichkeit her, d.h. vom Sein her, kann das männlich Seiende in seinem Sein verstanden werden, nicht umgekehrt. Und der männlich Seiende bzw. das männliche Wesen ist keineswegs mit dem Mann gleichzusetzen.
In der Freundschaft dazwischen - und nicht nur dort - geschieht der Einfall von dir als dir. Dieser Einfall macht die Kluft, die zwischen dem Wersein und dem Wassein besteht, besonders deutlich, indem zwei gleichursprüngliche transzendente Dimensionen entstehen: eine dritte Dimension des ständig Seienden als solchen und eine zweite Restdimension, kaum wesend in der Ritze des Seyns. Aufgrund der inzwischen erfolgten Entfaltung des Werseins kann deshalb die 'Männlichkeit' charakterisiert werden als die Neigung des Werseins zum Wassein im Besorgen von innerweltlich Seiendem. 'Weiblichkeit' hingegen kann jetzt genannt werden als die unscheinbare Dimension dazwischen, in der Begegnung stattzufinden vermag. Weiblichkeit ist somit die ursprüngliche, nicht zum Stand zu bringende Dimension des Mitseins. Damit erlangt sie einen ontologisch-transzendentalen Rang als Seinsdimension statt als ein Satz von menschlichen Charaktereigenschaften oder Verhaltensweisen oder Haltungen oder aber als ein biologisches Merkmal zu gelten. Die Weiblichkeit ist ein "Rätsel" geblieben - wie z.B. Freud sie anspricht -, nicht etwa weil die Frau ein mysteriöses Wesen, sondern weil die unscheinbare Dimension dazwischen durch die Metaphysik ihrem Wesen nach verdeckt geblieben ist, denn es war das geschichtliche Geschick der Metaphysik, das Seiende als solches in seiner Ständigkeit zu denken. Diese Ständigkeit wurde dann aber auch auf die menschliche Seinsweise übertragen. Die hier gedachte 'Weiblichkeit' hat zugegebenermaßen mit der ontisch gegebenen Frau streng genommen wenig zu tun, obschon es im Lichte historischer Erfahrungen nicht völlig abwegig sein dürfte, die Frau mit der zwischenmenschlichen Dimension eng zu verknüpfen, zumal die Frau in der bürgerlichen Epoche für die intime Privatsphäre primär zuständig gewesen ist. Aber dieser vielleicht einleuchtende historische Zusammenhang ist streng genommen hier völlig ohne Belang. Wichtig ist nur, die ansichhaltende Dimension dazwischen einmal zur Sprache zu bringen.
Insbesondere aber heißt der Titel 'Weiblichkeit', daß männlich Seiende als intime Freunde 'weiblich' sind, was Befremden auslösen mag - oder auch nicht. Die männlich Seienden sind durch die unscheinbare Faltung des Seyns selbst markiert, indem sie der Anstimmung durch den Anderen ausgesetzt und dafür empfänglich sind. Am Ende also sind - ins Unreine gesprochen - Männer Frauen und Frauen Männer? Jawohl, und damit ist es gerechtfertigt, von einer Neutralität zu sprechen. Eine bloß ontische Unterscheidung - hier zwischen den beiden Geschlechtern - kann kein ontologisches Gewicht tragen, selbst wenn sie den Anlaß für endlose sozialwissenschaftliche Studien der verschiedensten Art liefern kann. Deshalb geht es hier auch nicht darum, für eine Ausgewogenheit von 'männlichen' und 'weiblichen' Teilen der Persönlichkeit oder dergleichen zu plädieren. Das Rätsel, das Männer durch die Zeitalter hindurch an der Frau entdeckt haben, ist wohl das Rätsel des Mitseins dazwischen selbst, das sich nirgends festmachen läßt, das sich entzieht, sich auflöst, sobald man versucht, es in Begriffen zu fassen. Weil die Frau historisch dem Bereich der Intimität - in erster Linie durch die gesellschaftliche Rolle der Mutterschaft - zugewiesen worden ist, ist der Titel 'Weiblichkeit' wohl nicht ganz irreführend. (Das Thema Mutterschaft soll aber hier nicht weiter erörtert werden.) Das Rätsel der Weiblichkeit ist das Rätsel der Metaphysik selbst, die nur das Seiende als solches im Blick hat und haben konnte. Du fällst aber dazwischen durch die Maschen des Was-, So-, Daß- und Wahrseins hindurch. Du bist kaum.