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Eine nicht einfache Wiederholung des neutralisierenden Gestus der Metaphysik
wird sich also in dem zeigen, wie Heidegger Antigone in seinem Versuch,
die Metaphysik auf ein 'Anfängliches' zurückzudrehen, überträgt.
Heidegger kommt zweimal auf die Antigone von Sophokles zu sprechen: in
seiner Vorlesung Einführung in die Metaphysik von 1935 und
in der Freiburger Hölderlinvorlesung von 1942. Es geht ihm in beiden
um die Erhellung des 'ursprünglichen Wesenszusammenhangs des dichterischen
und denkerischen Sagens', wie er ihn bei den frühen griechischen Denkern
verwirklicht fand, und dabei um eine Drehung aus dem später einseitig
gedachten Bezug von Denken und Sein in eine dichtend-denkende Grunderfahrung
des Seins. "Das wesenhaft Zu-Dichtende ist das, was sich im Seienden als
Seiendem niemals finden läßt, was vielmehr, vom findbaren Seienden
aus gesehen, nur er-funden werden kann. Aber dieses dichtende Er-finden
ist nicht das Er-finden eines Seienden, sondern es ist ein reinstes Finden
eines reinsten Suchens, das sich nicht an das Seiende hält. Das Dichten
ist ein sagendes Finden des Seins.".[1]
Diese dichtend-denkende Grunderfahrung des Seins bei den frühen griechischen
Dichter-Denkern hat sich selbst durch Genrewechsel, mithin Übersetzungen,
hindurch geformt - durch die Übersetzung des gesprochenen Wortes in
das Genre der Schrift, die Übersetzung des Mythos in das Genre der
Tragödie. Heidegger verfolgt jedoch keine Übersetzungsgeschichte
des mytho-lógos - weder nach vorne als eine Geschichte der
Aufklärung, noch zurück als eine der Aufklärungskritik -,
sondern besteht auf dem ursprünglichen, gesammelten, epochalen Moment,
an dem die frühen Dichter und Denker in verschiedenen Genres dasselbe
sagten -
Denn das Wesen des Seins ist für die Griechen die physis
- das von sich aus aufgehende Leuchten, das durch nichts anderes vermittelt,
sondern selbst die Mitte ist. Diese Mitte ist das anfänglich Bleibende
und alles Umsichsammelnde - jenes, worin alles Seiende seine Stätte
hat und als das Seiende heimisch ist.[2]
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Wie steht es dort - in der Tragödie und ihrem Spannungsfeld, das von
Bindungen und Einschnitten getragen ist: der Bindung des Menschen an das
Geschlecht, seiner Bindung an die Polis, der Schnittstelle zwischen Leben
und Tod, der Schnittstelle zwischen dem Menschen und dem Göttlichen
- mit einer Nähe zum Sein, einer jedoch niemals einfachen Nähe?
Mit dem (Nach)glanz des Seins in der Sprache der Dichtung, der das Mehr
an Sinn über jedes bloß Ausgesagte hinaus verbürgt? Wie
artikuliert sich in ihr jene gleichsam häutchenähnliche, jedoch
grundlegende Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden, dieses Hin und
Her ihres wechselseitigen Offenseins, die feine aber entscheidende Spanne
einer Differenz, in die ein offenes Staunen, ein Aufmerken gestellt ist
- eben jenes sagende Finden des Seins? Allein, gibt es diese Leichtigkeit
innerhalb des schweren Zuschnitts der Tragödie? In der Tragödie
Antigone, die von einem schweren Druck zu zeugen scheint, einem Druck,
der auf dem Sagen liegt und es über alles Sagbare hinaus treibt, dem
Druck numinoser Macht, der Macht eines Wortes über alle Worte hinaus
- einem Druck, den Antigone als das Geheiß "ungeschriebener Gesetze"
(ágrapta nómima) vernimmt.
Nicht Zeus hat mir dies verkünden lassen/ noch die Mitbewohnerin
bei den unteren Göttern, Dike,/ die beide dieses Gesetz unter den
Menschen bestimmt haben,/ und ich glaubte auch nicht, daß so stark
seien deine/ Erlasse, daß die ungeschriebenen und gültigen/
Gesetze der Götter (ágrapta kasphale theon nómima)
ein Sterblicher übertreten könnte./ Denn nun nicht jetzt und
gestern, sondern irgendwie immer/ lebt das, und keiner weiß, wann
es erschien. (450-457)
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Heidegger übersetzt diesen Druck in die Bindung des Menschen
an das Sein und Antigone wird für ihn diese Bindung sagen:
Antigone übernimmt als das Schickliche, was ihr zugeschickt ist
aus dem, was über den oberen Göttern (Zeus) und den unteren Göttern
(díke) west. Das sind auch nicht die Toten, das aber ist
auch nicht die Blutsverbundenheit zum Bruder. Was Antigone bestimmt, ist
jenes, das erst der Auszeichnung der Toten und dem Vorrang des Blutes den
Grund und die Notwendigkeit gibt. Was das ist, läßt Antigone,
und d.h. zugleich die Dichtung, ohne Namen. ... Die dem Menschen und nur
ihm eigene Zugehörigkeit zum Tod und zum Blut ist selbst erst bestimmt
durch den Bezug des Menschen zum Sein selbst. ... Wir müssen, damit
wir im Bereich der griechischen Wahrheit der Antigone-Tragödie bleiben,
auch noch über Totenkult und Blutsverwandtschaft hinausdenken und
das Wort der Antigone so festhalten, wie es gesagt ist. Dann erkennen wir,
daß sie, griechisch gedacht, das Sein selbst nennt.[3]
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Es geht somit um das Wesen dieser Bindung, dieser einfachen Bindung, die
jedoch am schwersten zu denken ist, wie Heidegger immer wieder betont.
Eine Einfachheit, die diffizil ist, in dem Maße sie sich nur über
einen Abstand zum metaphysischen Denken erschließt, sich wohl erschließt
über das, was dieses der Operation der ontologischen Differenz verdankt,
aber zugleich sich erschließt gegen das metaphysische Denken, in
der Weise, wie es selbst die Radikalität dieser Differenz verkennt.
Ihre diffizile Einfachheit wird auf der einen Seite einem schlichten "Angehen"
des Seins geschuldet sein, einem nahen "Angehen" des Seins, das gleichzeitig
von einer Ferne, einer fundamentalen Entfernung des Seins zeugt. Denn das
Sein ist das Transzendente schlechthin. Es ist epékeina tes ousías,
was alle Bindung an das Seiende und seine Seiendheit als Idee übersteigt,
scheinbar wie auch das metaphysische Denken jede einfache Verbundenheit
mit der Welt löst und sich auf ein Transzendentes (aus)richtet. Epékeina
tes ousías - mit dieser Formel hat Platon im Staat den transzendenten
Ort der "Idee des Guten" charakterisiert, die in ihrem Vermögen, ihrer
Kraft und Gewalt (dynamis) über alles Wirkliche (epékeina
tes ousías) hinausragt und maßgebend ist für dieses. [4]
"Gewaltige" Wirkweise eines Transzendenten, das Platons Metaphysik als
Idee auslegt, als das (ver)bindende Vorbild und die verbindliche Maßgabe
für das Seiende im Ganzen. Richtet die Metaphysik Platons so die Spanne
von lógos und Sein auf das Maß der Idee aus, ist auf
diese Spanne wieder zurückzukommen, jedoch auf sie als einer (maßlosen)
Differenz zwischen Sein und Seiendem. Denkt die Metaphysik aus diesem Abstand
- Heidegger verweist an anderer Stelle auf den chorismós bei
Platon -, so sind sowohl der chorismós als auch epékeina
tes ousías[5]
- die metaphysischen, Platonischen Figuren für diesen Abstand und
die Trennung, aber auch für die Bindung des Seienden an die Idee als
Vorbild - auf jenes 'anfängliche' "Angehen" des Seins zu wenden und
danach zu fragen, was jene (Ver)Bindung 'ursprünglich' heißt,
was es 'anfänglich' bedeutet, in ein "Angehen" des Seins gestellt
zu sein, wie es Heidegger rückdrehend formuliert. Angehen in
der Bedeutung sowohl eines Angehens des Seins als beginnen, aufkeimen,
aufsprießen (physis), eines Angehens von Sein als anbelangen,
betreffen, kümmern, Bezug haben, als auch eines Angehens des Seins
in der Bedeutung von in Angriff nehmen, in die Wege leiten.
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Heidegger wird dieses "Angehen" in seiner Einführung in die Metaphysik
mit Hilfe von Antigone, genauer des Chorlieds aus Antigone, gegen die Metaphysik
zu wenden versuchen, was selbst im Zuge seiner gegenwendigen Auslegung
des Satzes von Parmenides: "tò gàr autò noein estín
te kaì einai" steht, den er gegen den Strich der Tradition übersetzt
mit: "Zusammengehörig sind Vernehmung wechselweise und Sein."[6]
Entgegen der traditionellen Grundvoraussetzung ihrer Getrenntheit und die
Folge ihrer Identifizierung, welche besagt, Denken und Sein seien dasselbe,
sucht Heidegger ihre ursprüngliche Einheit als physis und lógos
als gegenstrebig zusammengehörig zu fassen. Zum Sein als physis
gehört Erscheinen, in die Unverborgenheit treten, zur Unverborgenheit
gehört aber auch Vernehmen (noein) des Erscheinens des Seins,
Vernehmen, das den Menschen als denjenigen, den das Sein angeht und das
er angeht, auszeichnet - der Mensch ist als Vernehmender in das sich eröffnende
Seinsgeschehen gestellt, das er dann in die Wege leitet, in Angriff nimmt.
Sein waltet, aber weil es waltet und sofern es waltet und erscheint,
geschieht notwendig mit Erscheinung auch Vernehmung. Soll aber nun am Geschehnis
dieser Erscheinung und Vernehmung der Mensch beteiligt sein, dann muß
der Mensch allerdings selbst sein, zum Sein gehören.[7]
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Um eben diese bei Parmenides ausgesprochene gegenstrebige Einheit von Denken
und Sein, aus der eine Bestimmung des Wesens des Menschen aus dem Wesen
des Seins erfolgt, geht es in seiner philosophischen Übersetzung des
Chorlieds aus Antigone: "Vielgestaltig ist das Ungeheure (deiná),
und nichts ist ungeheurer (deinóteron)/ als der Mensch (anthrópou)
..." (332/33), in dem der Mensch als derjenige geschildert wird, der durch
seine gewaltige Kunst des Erfindens (mechanóen téchnas)
in der Welt seinen sicheren Stand bezieht und einzig am Tod scheitert,
der Mensch als jenes gewaltige Wesen, das weit über sich hinausgreifen
kann durch das Vermögen seiner téchne, aber dabei in
der Gefahr steht, maßlos zu werden, zu hoch hinauszugreifen und tief
zu stürzen. Dieses Chorlied also, das selbst allgemein vom Menschen
spricht - es verwendet anthrópou, der Mensch, und anér,
der Mann/der Mensch -, soll den Menschen angehen, das Wesen des
Menschen aussagen. Heidegger stellt seine Übersetzung in die durch
das Wort deinón eröffnete Spannweite, die einmal das
Gewaltige, Gewaltsame des Menschen in seinem Handeln, seinem Können
in bezug auf das Seiende meint und zum anderen das Gewaltige, Überwältigende
eines Geschehens, des Seinsgeschehens, das den Menschen aus seinem Vermögen,
seinem Können herausreißt und scheitern läßt. Deinón
konfrontiert den Menschen mit einem epékeina tes ousías,
einem Darüberhinaus, das gleichsam inmitten des Seienden immer schon
aufgetan ist, mit einem Riß des Überwältigenden, Gewaltigen
(deinón) des Seins in das Seiende, mit einem unvordenklichen
Aufspringen des Seins, das der Mensch nicht zu bewältigen vermag.
Druck, Not einer Spannung, in die der Mensch gestellt ist, der Spannung
mithin zwischen téchne, dem Gewalttätigen (deinón)
des Menschen als Könnenden, Vermögenden und díke,
dem Überwältigenden (deinón) des Seins.
So stehen das deinón als das Überwältigende
(díke) und das deinón als das Gewalt-tätige
(téchne) einander gegenüber, allerdings nicht wie zwei
vorhandene Dinge. Dieses Gegenüber besteht vielmehr darin, daß
die téchne aufbricht gegen die díke, die ihrerseits
als Fug über alle téchne verfügt. Das wechselweise
Gegenüber ist.[8]
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Das epékeina tes ousías ist nicht auf das Maß
der Idee ausgerichtet, sondern ist als "Fug" des Seins (physis)
in seiner ursprünglichen Gesammeltheit lógos, ist die
gesammelte Fügung dessen, was den Menschen angeht.
Das Überwältigende ist in all seinen Bereichen und Mächten
hinsichtlich seiner Mächtigkeit der Fug. Das Sein, die physis,
ist als Walten ursprüngliche Gesammeltheit: lógos, ist
fügender Fug: díke.[9]
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Geht dies den Menschen an, geht es den Mann an, geht es die Antigone an?
Augenfällig übersetzt Heidegger in seiner Übertragung
des Chorlieds Antigone nicht, augenfällig erscheint Frau nicht, wenn
es um die Sache des wechselweisen Gegenüberstehens von téchne
und díke geht. Offenbar geht deinón als das
Überwältigende, wenn es im Zusammenhang mit dem Gewalttätigen
von téchne steht, Frau nichts an. Auch das Chorlied selbst
nennt Antigone nicht. Spricht es mehr von Kreon und seinem tragischen Scheitern,
oder spricht es auch von Antigone und ihrem Drama? Läuft beider Handeln
auf dasselbe hinaus, auf ein Geschick, das den Menschen betrifft, oder
verläuft das dramein Antigone anders, zeigt es einen anderen
Zug des Menschlichen? Wie vernimmt Antigone das Walten der ursprünglichen
Gesammeltheit des Seins, das Geheiß der ágrapta nómima?
Geht es Antigone auf die gleiche Weise an wie den Menschen, oder kommt
hier die Antigone ins Spiel in einem weiblichen dramein, das anders
sich abspielt als das des Menschen, des Männlichen? Was geht sie an,
wenn sie sich um den Anspruch "ungeschriebener Gesetze" kümmert? Denn
es ist zunächst die Sache Antigones, wenn sie sich ihres Rechts annimmt:
Nicht Zeus hat mir dies verkünden lassen/ noch die Mitbewohnerin
bei den unteren Göttern, Dike,/ die beide dieses Gesetz unter den
Menschen bestimmt haben,/ und ich glaubte auch nicht, daß so stark
seien deine/ Erlasse, daß die ungeschriebenen und gültigen/Gesetze
der Götter (ágrapta kasphale theon nómima) ein
Sterblicher übertreten könnte./ Denn nun nicht jetzt und gestern,
sondern irgendwie immer/ lebt das, und keiner weiß, wann es erschien.
(450-457)
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Es geht immer noch um das Wesen der diffizilen Seinsverbundenheit der metaphysischen
Seinsvergessenheit entgegen, um eine (An)denkbarkeit des Seins, welche
zugleich seine Undenklichkeit (das Überwältigende als solches)
gegen den verschließenden Zug der Metaphysik, das Sein als etwas
zu denken, betont, es geht um ein Angehen des Seins als genitivus objectivus
und subjectivus, um ein Angehen des Seins, "... weil das Überwältigende
als ein solches, um waltend zu erscheinen, die Stätte der Offenheit
für es braucht."[10]
Heideggers Blick dreht sich hier auf die Stätte der Offenheit selbst,
wobei entgegen der Metaphysik und ihres auf die Anwesenheit des Seienden
ausgerichteten Blicks, die Offenheit als solche thematisiert wird. Es braucht
die Offenheit, damit etwas als etwas bestehen kann, es braucht dafür
das Öffnen eines Überwältigenden (deinón),
ein Aufklaffen, einen Exzeß - epékeina tes ousías.
Aber auch, damit dies geschieht, damit die immer wieder erneute Eröffnung
der Stätte der Offenheit überhaupt statthat, braucht es die Bewegung
des Räumens als eines Freimachens, eines Rückzugs, eines
Entfernens. In einer später eingefügten Parenthese kommt Heidegger
ziemlich am Anfang der Einführung in die Metaphysik auf die
Funktion von chóra zu sprechen, das bei Platon im Timaios
verwendete Wort für Raum, auf die Funktion von chóra
als einer raumgebenden Operation. "Könnte chóra nicht
bedeuten: das Sichabsondernde von jedem Besonderen, das Ausweichende, das
auf solche Weise gerade anderes zuläßt und ihm 'Platz macht'?"[11]
Heidegger schließt an dieser Stelle die Parenthese über die
Räumung, über chóra bei Platon, dessen Ausführungen
dazu durchaus als eine frühe Spur zu entziffern sind, die Stätte
der Offenheit als solche in der Metaphysik zu denken. Platon bezeichnet
sie als eine unzugängliche und schwierig zu denkende "Gattung", die
dem philosophischen Gedanken und seine Ausrichtung auf das Erscheinende,
nicht zu integrieren sei, deren Operation des Räumens-für-ein-anderes
es aber bedarf, damit das Erscheinende überhaupt eine Statt hat.[12]
Die Stätte der Offenheit also braucht die Operation eines Sichabsonderns,
eines Ausweichens, es bedarf eines Zugs der Entfernung. Steht das Handeln
Antigones im Zusammenhang mit dieser Operation, steht ihre Tat des Bestattens
des Toten für eine Räumung der Stätte des Offenen, damit
die Stätte der Offenheit statthat? Was bedeutet die Tat des Bestattens,
das Wegschaffen des Toten für die Stätte der Polis? Wie ist das
Handeln Antigones als Schwester, das dem Recht des Blutes, der verwandtschaftlichen
Bindungen folgt und sich der menschlichen/männlichen Bindung an die
Polis entgegensetzt, philosophisch zu übersetzen? Was bedeutet die
Funktion von chóra, die Operation des Räumens-für-ein-anderes,
damit etwas Platz hat, für die Metaphysik und ihre Ausrichtung auf
die Anwesenheit, wenn man versucht, diese zu drehen der Anwesenheit entgegen
auf ein Entfernen zu? Heidegger wird diesen Gedanken nicht aufnehmen in
bezug auf Antigone, er wird nicht differenzieren zwischen einer männlichen
und einer weiblichen Operation, wenn er Antigone allgemein in die Bindung
des Menschen an das Sein überträgt.
Was Antigone bestimmt, ist jenes, das erst der Auszeichnung der Toten
und dem Vorrang des Blutes den Grund und die Notwendigkeit gibt. Was das
ist, läßt Antigone, und d.h. zugleich die Dichtung ohne Namen.
... Die dem Menschen und nur ihm eigene Zugehörigkeit zum Tod und
zum Blut ist selbst erst bestimmt durch den Bezug des Menschen zum Sein
selbst.[13]
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Heidegger neutralisiert das, was Antigone bestimmt, was sie angeht - das
Geheiß der ágrapta nómima - von einer Bindung
an das Blut, an die Toten her. Er neutralisiert das dramein Antigones,
d.h. ihr Handeln als Schwester gegenüber dem Bruder, ihre Tat des
Bestattens des Toten. Wie Heidegger überhaupt jene innerhalb der Philosophie
präferierte Figur der Schwester unübersetzt läßt,
obwohl Schwester die neuzeitliche Philosophie auf eine eigene Weise angezogen
hat - man denke an Hegel, Kierkegaard und Hölderlin. Heidegger hebt
das Thema des Inzests und seine 'ursprüngliche' Bindung auf. Es ist
ein Gestus, der zu wiederholen scheint, der den Gestus der Metaphysik in
seiner aufhebenden Konsequenz aufnimmt, wenn er Antigones Bindung an eine
arché - die arché des Bluts, der Verwandtschaft
- durch die Wendung auf das Sein als den mithin namenlosen Grund und Notwendigkeit
dieser ausgezeichneten und vorrangigen Bindungen an-archisiert. Doch über
eine einfache Wiederholung hinaus geht es Heidegger um die Wirkung einer
Suspendierung jeder möglichen Auslegung des Sinns der ágrapta
nómima, der ungeschriebenen Gesetze, eines Aussetzens von Sinn,
um auf die Offenheit des Seienden als solche zu drehen. Damit auf die Offenheit,
die es braucht und die Antigone durch ihr Handeln (ein)räumt, in einer
mithin weiblichen Operation - was Heidegger in dieser Weise nicht eigens
bedenkt.
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Begleitet die Sache Antigones die Heideggersche Drehung aus der Metaphysik
der Anwesenheit, ist sie einem Entzug außerhalb des lógos,
des lichtenden Worts, verpflichtet, den sie als eben diese weibliche Operation
vollzieht? Wenn Heidegger die zentrale metaphysische Bindung von lógos
und Sein wiederholt, er jedoch die Metaphysik in ihrer apokalyptischen
Struktur zu drehen sucht, wird er auf eine epikalyptische Struktur stoßen
- die Struktur des Verbergens, Verhüllens, Verdeckens des Seins -,
was in zentraler Nähe zu dem steht, wie er die Geschichte der Metaphysik
mit der Vergessenheit des Seins zu konfrontieren sucht. Aber epikálypsis
ist auch die Sache der Frau, ist auch die Sache Antigones.[14]
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Es stellt sich die Frage, auf welche Weise Antigone mit der diffizilen
Seinsverbundenheit zu tun hat, der traditionellen Metaphysik entgegen,
einer Seinsverbundenheit mithin, die über ein Entfernen, einen Entzug
des Seins verläuft. Steht Antigone, das dramein Antigones in
Verbindung damit, die sie durch ihre Geste des Bestattens als ein Entfernen,
als ein Verbergen bekundet? Entspricht die Tat des Bestattens dem Sichverbergen
des Seins? Geht Antigone in dieser Weise das Sichverbergen des Seins an,
dem sie mit ihrer Tat nachkommt? Wenn es für die Stätte der Offenheit
der Räumung bedarf, dann kommt das Begraben, das Errichten einer Stätte
der Verborgenheit diesem entgegen und entspricht ihm dadurch, daß
es dazu verhilft, das Immer-schon-diesseits der Verbergung zu markieren,
die Stätte der Offenheit von alétheia zu räumen,
in der die Metaphysik ihre Bindung von lógos und Sein übernimmt.
Indem Antigone auf diese Weise das Sichverbergen des Seins angeht, gibt
sie diesem durch die Stätte des Grabs eine Statt, schafft einen Ort
des Entzugs - so dem Vergessen entzogen.[15]
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