Epikálypsis - Antigone * Schwester  
Astrid Nettling  

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Version 1.0: January 1993
Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unsern Staub. Niemand.
(Paul Celan)
 Mein Gott wieviel Blau verschwendest du
damit wir dich nicht sehen!
(Odysseas Elytis, Maria Nepheli)
*
  1. Daß Heidegger die Spur des Geschlechtlichen in seinen Schriften nicht aufgenommen hat - das läßt sich auf eine einfache Weise bemerken. Er nimmt sie nicht auf über den Körper, über das Sexuelle, über das Begehren oder über das Genießen - sein Denken wird nicht den Bindungen des Eros nachgehen, noch der Bindungslosigkeit des Ekzesses, der Entgrenzung, des dionysischen Rausches. Das ist nicht seine Sache. Auf eine einfache Weise scheint Heidegger den Gestus der Metaphysik zu wiederholen und ihre Weise, die Spur des Geschlechtlichen nicht zu übersetzen, es nicht in ihr Gebiet zu übertragen, wenn sie in einer Bewegung der Neutralisierung alle Bindungen aufhebt, um eine einzige zu etablieren - die von lógos und Sein. Heideggers Denken wird sich in die Spannweite dieser einzigen Bindung stellen, sie jedoch nicht einfach wiederholen, sondern das Wesen dieser Bindung so bedenken, daß es einen Abstand von der Metaphysik ermöglicht und zugleich einen anderen Spielraum eröffnet. Einen Abstand von der Metaphysik und dem, was er ihre Seinsvergessenheit nennt, die schon in der griechischen Philosophie beginnt und sich in dem zeigt, daß sie wohl aus der Differenzspanne von Seiendem und Sein denkt, aber diese Spanne selbst nicht bedenkt. Wenn Heideggers Denken diese Differenzspanne wiederholt, sie dreht, dann, um die Metaphysik selbst auf die Seinsvergessenheit als ihr Wesen hinzudrehen und um zugleich damit Spielraum für jenes scheinbar Einfache zu gewinnen, Spielraum des Staunens angesichts des einfachen Gegebenseins des Seienden in seiner Offenheit, einen Spielraum der einfachen Bindung von Sein und Seiendem. Heidegger wird dieses Einfache allerdings oft schwer sagen - schwer in der Weise des Gestus 'anfänglichen' Denkens, des Pathos des An-Denkens der Bindung, der religio (von religare zurückbinden) an das Sein, des hohen Tons der Dichtung, der griechischen Tragödien. Heidegger wird an diese Tradition der Griechen anknüpfen - zum Beispiel mit Antigone. 

  2.  
  3. Daß Heidegger Frau nicht aufnimmt, das läßt sich freilich auch bemerken. Es ist dies etwa der Fall, wenn er einen fremden Text auslegt, das Werk eines anderen in sein Denken übersetzt. Frau wird umgangen in Heideggers Übersetzung der Antigone des Sophokles, obgleich die Antigone im Text umgeht, mit ihr umgegangen wird.[1] Das Umgehen besagt, daß Heidegger Frau nicht aufnimmt, daß er nicht übersetzt, was es heißt, daß ein weiblicher Name dort kursiert. Wiederholt Heidegger damit einfach eine traditionelle Umgangsweise, den Namen der Frau wie ein Epitheton oder eine Metapher zu behandeln, deren konkrete Bedeutung in der Übersetzung, dem Sprung in die 'übertragene' Bedeutung in ein Allgemeines aufgehoben/fallengelassen wird? Heidegger wird jedenfalls Antigone nicht so übersetzen, daß sie als Frau erscheint, sondern seine Übersetzung wird die Bedeutung von Antigone in die der religio des Menschen an das Sein führen. Seine Übersetzung sucht dieses rückbindende Band zu knüpfen, eine Gebundenheit, aus der - so Heidegger - das dichtende Wort des Sophokles ursprünglich schöpfte. 

  4.  
  5. Heidegger wird also nicht übersetzen, daß Antigone Frau ist, sobald er allgemein von dem Bezug des Menschen zum Sein spricht. Wenn dies nicht einem einfachen Akt des 'Aufhebens' von Frau in das allgemeine Wesen des Menschen geschuldet ist, zeigt das Umgehen womöglich eine gewisse Übersetzungsschwierigkeit des philosophischen Textes an, eine Schwierigkeit des Transfers von Antigone als Frau in das Genre des philosophischen Textes, d.h. deutet auf eine Problematik der Operation der ontologischen Differenz selbst? Ist dann Frau stärker der Wirkung der Differenz ausgesetzt, die auseinanderträgt, die zerstreut, gerade dann, wenn Frau unübersetzt bleibt, stärker der Differenz ausgesetzt als dem lógos des in einen Horizont der Anwesenheit Gestellten? Verweist das Umgehen Heideggers auf diesen Effekt des sich Zerstreuenden außerhalb des lógos, auf die Wirkung einer Zerstreuung, die nicht sammelt, sondern eine Differenz zu allen Anwesenheits-Horizonten markiert? Das Umgehen wird sich mithin in den Weg des Übersetzens, des Übertragens einzeichnen, es wird sich zeigen, wie in seiner Spanne der Name der Frau aufgenommen/fallengelassen wird - wiewohl Frau möglicherweise außerhalb bleibt und sich nicht aufnehmen läßt in diese Spanne. Das Nichtaufnehmen von Frau steht somit in einem nicht einfachen Zusammenhang zu dem, was eingangs als der Gestus der metaphysischen Neutralisierung bezeichnet wurde, über den Bereich des Seienden hinaus nach dem Seienden als solchem zu fragen, d.h. aus der ontologischen Differenz von Sein und Seiendem zu fragen, in einem nicht einfachen Zusammenhang auch zu dem, wie Heidegger die Frage der ontologischen Differenz selbst dem metaphysischen Denken entgegendreht. Im Unterschied dazu würde in diesem Fall die Neutralisierung - die Suspendierung des Horizonts der onto-logischen Einstellung des Seienden - weiter betrieben und nicht aufgehoben werden. Dann würde als ein Nebeneffekt zu dem, wie Heidegger Antigone in die religio des Menschen an das Sein übersetzt - das Öffnen des Horizonthaften überhaupt -, das Umgehen von Frau, also das, was sich nicht übersetzt, in die Nähe des differierenden Effekts der Differenz zu bringen sein - jedoch ohne daß dies von Heidegger eigens bedacht wird. 

    Fußnoten 

     
    1. Frau wird auch umgangen etwa in der Übersetzung der Gedichte Trakls, ebenso die Textstellen, wo sie bei Nietzsche erscheint und die von Heidegger kommentiert werden. zurück

    2.  

      Copyright (c) 1993 by Astrid Nettling, all rights reserved. This text may be used and shared in accordance with the fair-use provisions of U.S. and international copyright law, and it may be archived and redistributed in electronic form, provided that the author is notified and no fee is charged for access. Archiving, redistribution, or republication of this text on other terms, in any medium, requires the consent of the author.
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