kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


6. Die Freundschaft: kaum dazwischen

f) Freundschaft in der Begegnung mit dir dazwischen


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    6. f) Freundschaft in der Begegnung mit dir dazwischen

  1. Es soll hier nicht um eine Lehre über die Freundschaft gehen, sondern darum, wie die Werseienden miteinander zu tun haben können (was auch ihr Nichtkönnen mit einbezieht), d.h. es geht um die Freundschaft als eine Weise (im doppelten Sinn: als Modus und Gesang) des Seins selbst. Es soll bedacht werden, daß der Freund kein schlechthin und selbstverständlich Seiendes, sondern wie ich auch, ein Werseiender ist. Im gleichen Maß, wie das 'ich bin' mit dem Sein nicht ohne weiteres gleichzusetzen bzw. unter es zu subsumieren ist, läßt sich auch nicht das 'du bist' selbstverständlich unter Seiendes subsumieren - eine Einsicht, die zum tragenden Grund der dialogischen Philosophie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde, worauf ich hier jedoch nicht näher eingehen möchte.[1] Wenn die erste Person schon vom Phänomen des Werseins her erläutert worden ist, dann muß mit dem gleichen oder noch stärkeren Recht die zweite Person auch so betrachtet werden, denn der Kern des Werseins ist die Eigennamenträgerschaft, ein Phänomen und Seinsmerkmal, das sich nur vom Gerufensein und folglich letztlich nur von der zweiten Person her verstehen läßt. Dabei wird sich jedoch das Wersein selbst verwandeln, und zwar endgültig aus der Dimension des Seins des Seienden in der dritten Person heraus. Gleichgültig dagegen, wie sehr der Werseiende sich um seinen Stand als Wer ontisch kümmern muß, bleibt sein ontologischer Ursprung außerhalb des Werseienden selbst, und zwar in der Dimension, die es ermöglicht, daß er gerufen bzw. beim Namen genannt wird. Die erste und die zweite Person gehören zusammen, und zwar im Phänomen des Ansprechens und des Angesprochenwerdens, das ursprünglich zum Mit-da-sein gehört. Solches Ansprechen und Angesprochenwerden sind nur in der Eigengenanntheit möglich. Nicht nur muß ich mich dem Anderen als Anderem in und mit der Sprache mitzuteilen versuchen, sondern ich muß ihn mit seinem Eigennamen anreden, um ihn in seinem Wersein anzusprechen, denn er ist als du einzig, eine Einzigkeit, die allein im Eigennamen unzweideutig angesprochen wird. Mit dem Ansprechen verläßt das Miteinander-zu-tun-haben die Gegend der bloßen Bespiegelung in der Zusammenkunft und wird zu dem, was Buber und andere die Begegnung nennen. Erst in der Begegnung begegnet der Andere in seiner Andersheit. Das Rufen mit den jeweiligen Eigennamen ist der eigentliche Akt des Du-sagens, da erst und nur damit ist der Andere als unverwechselbarer du gemeint. Nur die vokative Form ist streng genommen in der ich-du Dimension angesiedelt, weil alles andere sich allzuleicht in die Dimension des Seienden hinüberziehen läßt.

  2. So geschieht eine Abwandlung des Angangs des Seins ins Vokative, Rufende, Ansprechende, was freilich voraussezt, daß der Werseiende den Anderen als Anderen hören kann sowie umgekehrt. Das Hören-können ist kein sinnlich-akustisches Vermögen und hängt nicht vom leiblichen Organ des Ohrs ab, sondern das Hören-können bezieht sich hier auf das Hören des Seins des Anderen in seinem Anderssein. Ich kann nur vom Anderen angesprochen werden, weil ich den Anderen als ein ansprechendes Mit-da-sein aufzufassen vermag. Somit höre ich die Stille des Seins im Sein des Anderen, und diese Stille wandelt sich im Anspruch des Anderen ins Vokative ab, was nur durch das Teilen des Da als Mit-sein-in-der-Welt möglich ist. Wie aber gestaltet sich die Begegnung weiter?

  3. Wenn ich von mir erzähle, mich darstelle, gebe ich einen Umriß von mir, worüber sich sprachlich weiter verfügen läßt. In der Selbstdarstellung erscheine ich als Werseiender, wo die Betonung auf Seiendem liegt. Seiendes hat beständige, sichtbare, sprachlich erfaßbare Konturen. In der bestätigenden Bespiegelung werden diese Konturen bejahend-schmiegsam widergespiegelt, mich damit in meinem Wersein befestigend. Das gegenseitige Du-sagen als gegenseitiges Aussprechen der jeweiligen Eigennamen dagegen hat etwas ganz und gar Unbeständiges und Unscheinbares, das darüber hinaus mich endgültig aus meinem Fürmichsein herauszureißen und dadurch den Anderen als bloß der-Andere-für-mich zu überwinden vermag. Obwohl der Eigenname selbst beständig ist und als Kern einer Existenz im Lauf ihres Herausstehens in der Unverborgenheit dient, ist die vokative Form des Anredens zart anspruchslos ansprechend. Durch mein Ansprechen wird der Andere erst als du zart ins Sein gerufen, und auch umgekehrt. Dieses Sein hat indessen keine feste Umgrenzung und widerspricht damit dem traditionellen Verständnis dieses Wortes, wonach Sein Beständigkeit der Anwesung bedeutet. Ich und du haben keine Beständigkeit in einem klar umrissenen Anblick, sondern flackern jeweils für einen Augen-Blick auf. In diesem Augen-Blick der Begegnung fällt das Seiende in der dritten Person weg und wird bedeutungslos. Freilich bleiben ich und du am Seienden stets haften, denn wir haben beide in der Welt 'zu tun', aber die Begegnung liegt nicht in dem, was als Seiendes besprochen werden kann. Es schwingt in der Begegnung immer ein weiteres, unfaßbares Moment mit, das von der Rede über Seiendes übertüncht bzw. unterschlagen wird, denn deine Andersheit ist mir zugleich wunderbar und fremd, sie ist eine Aura, die dich umgibt. Man muß nicht wie Buber im Bestreben nach Beständigkeit dieses Moment Gott als "ewiges Du" nennen, sondern man kann das Aufflackern des Zwischen so nehmen, wie es ist: als Augen-Blick des Aufscheinens von ich und du.

  4. Entzüglicher Moment in den Ritzen des Seinsereignisses, der jedoch in seiner Unfaßbarkeit nicht zu leugnen ist. Deshalb ist es auch fraglich, ob man die Begegnung eine Wirklichkeit nennen soll, und ob ich und du existieren, weil Existenz unweigerlich Herausstehen in der Lichtung des Seins und insofern Beharrlichkeit heißt. Ich und du sind aber kaum Seinsweisen, obwohl es unleugbar einen Überstieg, eine Transzendenz von mir zu dir gibt und insofern in diesem Sinn immer noch ein 'Herausstehen', aber vielleicht sollte man dies eher ein Übergehen nennen. Ich bin eigentlich wie du: unbeharrlich (was hier nicht als ontische Qualität verstanden werden sollte). Meine Beharrlichkeit, die ich nichtsdestoweniger auf mich nehmen muß, ist immer eine Leugnung meiner Unseiendheit, um als Beständiger Wer zu sein. Die Beharrlichkeit gehört zur Geworfenheit in die Welt unter Seienden. Ich bin aber eigentlich kaum da, ich bin nur in deinen Augen. Einen Augen-Blick lang, kaum. In deinen Augen bin ich nicht etwas. Denn so wäre ich wie jedes andere Seiende der ersten Kategorie: nicht kaum, sondern seiend-beständig da. Genauso wenig besteht aber auch Anlaß, die Begegnung, den Moment, in dem unsere Augen sich treffen und du du bist und ich ich bin bzw. in dem wir uns gegenseitig zurufen, als einen erfüllten, erbaulichen Moment zu betrachten, denn du kannst mich auch böse anschauen, d.h. dein Da kann mich unerfreulich angehen, und deine Fremdheit kann mich auch bisweilen überwältigen und befremden. Der Augenblick der Begegnung muß nicht Himmel auf Erden und muß nicht Heimat sein, wie z.B. ihn Binswanger gerne entwirft. Die Begegnung kann die Hölle sein, wenn du mich z.B. mit einem vernichtenden Blick anschaust. Und du kannst mir plötzlich fremd vorkommen, wo wir einen Augenblick zuvor miteinander vertraut waren, was mit keiner dritten Person geschehen kann, d.h. die Begegnung kann auch mit einer Stimmung der Fremdheit umwölkt werden. In ihr sind wir kaum, aber immerhin da. Das Zwischen ist kein lokalisierbarer, räumlicher Ort, sondern es ist kaum aber immerhin da, eine infinitesimale Ritze. Wenn schon substantiviert - was sich aber nicht empfiehlt - muß das Zwischen als Kaum-aber-immerhin-da-sein apostrophiert werden. Dazwischen bin ich ich und bist du du. Wir begegnen uns kaum aber immerhin. Unser jeweiliges Sein ist adverbial verkommen, hat an Substanz verloren, hatte genauer nie Substanz gehabt, ist nicht einmal ein Tun. Deshalb ist es wohl auch irreführend, das Zwischen groß zu schreiben bzw. zu substantivieren, da die philosophische Rede - besonders und wohl nicht zufälligerweise im Deutschen - ohnehin eine unausrottbare Tendenz hat, alles, was in ihren Themenbereich gerät, zu substantivieren bzw. zu ontologisieren, d.h. in eine beständige Wirklichkeit zu verwandeln. Wir begegnen uns nur dazwischen, - dazwischen bleibt dabei kleingeschrieben, zieht sich aus der Substantivierung zurück. Statt eine Ständigkeit als Wer auszuweisen, bin ich kaum aber immerhin in der Begegnung, in der ich dich treffe; dazwischen feiern wir womöglich unser kaumsein - immerhin - dazwischen ist ein Ort des Durchgangs, wenn es überhaupt ein Ort ist, es ist ein gestimmtes Durchgehen. Und dennoch würde ich es nicht vermissen wollen, denn da bin ich, denn da bist du. Mit da bin ich mit dir dazwischen. Die Begegnung erfordert eine ständige Rücknahme der sprachlichen Formulierungen, die stets Gefahr laufen, eine Beständigkeit zu suggerieren, die es in dieser Dimension nicht gibt.

  5. In der Begegnung ist der Andere nicht mehr, sondern du bist. Du bist der Andere als Anderer. Im gleichen Maß wie du bist, bin ich, wir erreichen uns in einer eigenartigen Transzendenz, in der ich mein Selbstkreisen und meine Ständigkeitsbemühungen verlassen habe. Bin und bist haben kaum einen Platz in der Sprache, die vornehmlich auf die dritte Person hin ausgelegt ist. In der Sprache kommt Seiendes vor, es stellt sich in Wörtern vor. Du aber entfliehst der Sprache, du führst die Sprache in Verwirrung, du hälst dich an ihren Rändern auf im Unsagbaren. Bei dir wird die Bespiegelung endlich endgültig durchbrochen, der Narzißmus des gläsernen Seins endlich zeit-weilig außer Kraft gesetzt, das Sein des Seienden vorüber-gehend ausgesetzt, aufgelöst, denn bei dir kommt es nicht darauf an, daß ich Seiendes bespreche und so mein Wersein an Seiendes knüpfe, meine Substanz suchend und erfindend. Ich bin nur durch deine Anrede und deinen Anspruch erreichbar, die mit dem, was sich als Seiendes umreißen und darstellen läßt, nichts zu tun hat. Bin ist diesseits des kategorial erfaßbaren Seins des Seienden - nur durch dich. Das Sein des ich bin läßt sich nur rufen, anreden, im gestimmten Anspruch ansprechen, und das nur augenblickhaft und kaum. Die Anrede kann sich gar ohne Worte im Blick des Auges, im Vorbeigehen an meiner Tür ereignen. Die Flüchtigkeit unserer Begegnung tut ihrer Wirklichkeit keinen Abbruch, solange Wirklichkeit nicht mehr als fest umrissene und somit beständige Anwesenheit verstanden wird. Wegen dieser Flüchtigkeit ist es kaum möglich, 'ich bin' und 'du bist' als sprachliche Äußerungen des Seins gelten zu lassen. Ich und du sind kaum möglich. 'Ich bin' und 'du bist' sind keinesfalls Äußerungen des Seins eines Seienden (der dritten Person), und dennoch fallen sowohl ich als auch du unter die Kategorie sui generis des Werseins, die vor allem durch Eigengenanntheit, aber dann auch durch Gerufensein bestimmt ist. Allein, die Kategorie des Werseins ist eine janusköpfige Kategorie, die einerseits ins umrißhafte, beständige Sein weist, andererseits aber sich dem besprechbaren Sein eher entzieht und sich in der stimmungshaften Flüchtigkeit der Begegnung ansiedelt. Deshalb muß der Wer um sein Wersein so besorgt sein, weil er die Beständigkeit eines als dritte Person bestehenden Es niemals zu erreichen vermag. Du möchtest leugnen, daß du kaum da bist, nur durch mich bist du, aber immerhin. Wir rufen uns zu, so sind wir dazwischen, zwischendurch. Kaum-da-sein in der Begegnung ist kein Ausdruck eines minderen Seins, sondern kaum hat insofern Gewicht in seiner Flüchtigkeit, als es in die Existenz ausstrahlt und ihr den Glanz einer unverwechselbaren Stimmung verleiht, der leicht wieder verloren geht, aber auch die Tendenz hat, immer wieder aufzuscheinen, solange ich durch dich zwischendurch vermittelt bin. Du hinterläßt Spuren bei mir, dein Da überschneidet meins und färbt an ihm ab, und zwar so, daß ich mir u.a. einbilden kann, wie es dir geht. Solange du du bist, kann ich dir nicht entgehen; auch in meinen aber vor allem um meine Gedanken bist du als du da. Im Augenblick einer geglückten Begegnung bilde ich mir ein, voll als mein Selbst da zu sein, als wäre ich erst in deinen Augen, in deiner Aura ich selbst, als genösse ich erst bei dir eine "Daseinsfülle" (Binswanger). Aber als ich selbst habe ich mein Selbst vergessen, bin von ihm weg und bin bei dir.

  6. Wegen der Unbeständigkeit und Eingebildetheit der Begegnung dazwischen ist es wohl sogar angebracht, in der Konjuntivform des 'ich wäre' statt des 'ich bin' zu schreiben, da die Indikativform ein festeres Sein aufzeigen will, während ich nicht immer sicher bin, wer ich bin, sondern es mir jeweils in deinen Augen einbilde. Ich sei, ich bin nicht, weil ich nicht sicher bin, weil 'ich bin' nicht sicher ist noch sein kann, genauso wenig wie du sicher sein kannst, daß du bist. Ich und du müssen immer wieder erneuert werden, immer wieder zwischendurch ins Sein gerufen werden, was aber keineswegs einen Mangel darstellt. Ich rufe dich, deshalb 'seiest' du. Du bist nur als ob. Das Seinkönnen von 'ich bin' ist kaum aber auch unendlich, grenzenlos, da stimmungshaft. Wir sind inzwischen nicht unter die Seienden unterzubringen, sondern übersteigen jeden begrenzten Horizont. Ich-sein ist wersein kleingeschreiben, der andere Pol zum beständig seinwollenden Wersein, das sich seine Selbstgewißheit nur als Selbstanblick einbilden kann. Die Cartesische Gewißheit war immer schon ein vergeblicher Versuch, ein festes, auf Wissen gründenden Wersein als die Subjektivität einer dritten Person herzuzaubern, wo es jenes nicht gibt. In der Beziehung zu dir wird es mir klar, daß meine Selbstgewißheit eine bloße Einbildung ins Sein ist, ein Sichvormachen und eine Vertuschung meiner Unseiendheit. Konjunktivisch bin ich, ich sei, wodurch ich meine hervortastende, provisorische, wolkenhafte Weise zu existieren dazwischen zum Ausdruck bringe. Weder eksistent noch insistent bin ich, wenn ich mir nichts vormache und meine Gerufenheit durch dich zulasse.

  7. Irreführend ist es auch letztendlich, die Begegnung im Augenblick zeitlich orten und 'ich bin' und 'du bist' als Unbeständiges im bloßen Gegensatz zur Beständigkeit des Seins abgrenzen zu wollen, weil somit die Nichtseiendheit der Begegnung nur als Negation zum Sein als Beständigkeit der Anwesung bestimmt wäre. Der Augenblick soll nicht zeitlich, sondern stimmungshaft-auratisch verstanden werden. Vielmehr muß versucht werden, eine (wohl sich stets zurücknehmende, sich durchstreichende, eine self-effacing) Sprache zu erfinden, in der ein Außerhalb- oder Neben-der-Zeit spürbar werden könnte. Die Augenblickhaftigheit von ich und du - wenn dies zeitlich verstanden wird - ist genau genommen unzutreffend (da du andererseits immer bei mir bist) wie auch die Verewigung derselben in einer Zeitlosigkeit (da du immer ungreifbar, unfaßbar, flüchtig, schon immer entzogen bist). Weder beständig noch unbeständig sind ich und du; unsere Beständigkeit ist unbeständig, unsere Unbeständigkeit beständig. Die Beständigkeit bzw. Unbeständigkeit dürfen nicht mehr von der Zeit her, sondern müssen auf die Zeit hin verstanden werden. Beständigkeit heißt ursprünglich - vom Sein her - in den Stand der kategorialen Seiendheit gebracht. Erst der Stand in der Seiendheit ergibt die Dauer, nicht umgekehrt. Da die Begegnung dazwischen nichts zu-Stande bringt, sonder eine Aura stimmungshaft ausbreitet, in der ich bin und du bist, ist sie zeitlich weder beständig noch unbeständig, sondern schlichtweg un-ständig. Dazwischen west insofern als eine auratisch-flüchtige Liegenschaft, die im Da schwebt. Du bist mir zugleich bloße Einbildung und höchste Wirklichkeit, Phantasma und fester Anker meiner Existenz. Dieses Weder/noch ist dazwischen, zwischen Sein und Nichts, zwischen Endlichkeit der Zeit und Ewigkeit, unfixierbar, unlokalisierbar, horizontlos. Was dich betrifft, kann die Zeit nicht mehr als Horizont des Seins funktionieren. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob die Sprache unweigerlich an Zeit und Sein, etwa an Verbum und Substantiv gebunden ist. Wenn sich 'du bist' in der Sprache sagen läßt, dann bestimmt nicht in der regulären Grammatik von Verbum und Substantiv. Da du eigentlich nur in der vokativen Form zu erreichen bist, brauche ich eine evozierende Sprache, falls ich bin geschehen soll. Wenn ich dich rufe, ist es immer zugleich augenblickhaft und für immer. Hier gibt es anscheinend kein ausgeschlossenes Drittes, da ich ohne Widerspruch auf einem Zugleich - dem hama, von dem Aristoteles spricht - von Augenblick und Ewigkeit bestehen kann. Nur innerhalb der Zeit gibt es den Widerspruch, und zwar zwischen und unter Seienden. Wo ich und du erscheinen, geht eine andere Dimension außerhalb von, neben Zeit und Sein auf. Weder ewig noch augenblickhaft, sondern zwischendurch, dazwischen da.

  8. Aristoteles schreibt den Satz vom Widerspruch so (Metaphysik, Gamma 3, 1005 b 29f):

  9. Solange ich der identische redende und verstehende Mensch bin, habe ich nicht die Kraft, vertrage es nicht und kann es nicht zulassen, bezüglich deiner anzunehmen, du seiest und seiest nicht, aber sobald ich dazwischen bin, vermag ich diesen Widerspruch zu vertragen, obwohl es meinem Verstand und meiner Fähigkeit, es in Worte zu fassen, entgleitet. Dann bin ich nicht mehr ein und derselbe identische Wer, sondern durch dich infiziert und affiziert, d.h. dir inzwischen ausgeliefert. Mit dir dazwischen bin ich nicht mehr ich selber, obwohl ich bin. Inzwischen haben wir unsere jeweiligen Identitäten aufgegeben, ausgesetzt, wenn nicht aufgehoben, da gibt es keine abgrenzende Trennungslinie mehr zwischen uns, was aber keineswegs auf eine Verschmelzung hinausläuft. Ich vermag es nicht festzustellen, ob du seiest oder nicht seiest, aber ich bilde mir ein, daß du bist. Dazwischen kümmert mich dieser Widerspruch nicht, er geht mich kaum an, sondern an mir vorbei. Bezüglich deiner hilft mir meine Vernunft, mein den-Logos-haben wenig, um ins Klare zu kommen, denn dazwischen ist keine klare Sache. Ich bin außer Stande, dich zu fassen. Hier vermag der Logos, als Rede verstanden, wenig auszurichten, obschon er auf keinen Fall überflüssig geworden ist. Denn unter anderem reden wir freilich miteinander. Unser Gespräch kommt indes zu keinem Endresultat, zu keiner endgültigen Feststellung, sondern streut sich unsammelbar durch die Zeit. Unser Gespräch ist nur unbestimmbares, aber gestimmtes Teilmedium unseres wechselseitigen zwischenhaften Angangs. Der Logos - weder als Rede noch als Vernunft - hat nicht die Kraft, diesen Angang zu sammeln und so zu beherrschen.



      Anmerkungen 6. f)


    1. Für eine umfassende Darstellung der dialogischen Philosophie siehe M. Theunissen Der Andere Berlin 1977. Back

    2. Übersetzung Heidegger Aristoteles, Metaphysik Theta 1-3: Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft GA Bd.33 S.65. Back

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      artefact