kaum ständig noch
Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein
Michael Eldred
artefact text and translation
Cologne, Germany
1. Die Bedenklichkeit von männlich und weiblich
b. Wer ist Mensch?
Version 2.1 July 1996
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Männlich oder weiblich ist die erste Unterscheidung, die Sie machen, wenn Sie mit einem anderen menschlichen Wesen zusammentreffen, und Sie sind gewöhnt, diese Unterscheidung mit unbedenklicher Sicherheit zu machen.
Sigmund Freud[1]
Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels
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1. b) Wer ist Mensch?
- Wir stellen die Frage: Wer ist Mensch? Wonach fragt die Frage? Läßt sie sich sinnvollerweise überhaupt stellen? Wie unterscheidet sich die gestellte Frage von der Frage: Was ist ein Mensch? oder: Wer ist der Mensch? "Was ist...?" (ti estin...;), die Leitfrage der Metaphysik, fragt nach dem Was-sein, nach dem Wesen, nach dem, wie das in-Frage-Stehende - hier der Mensch - west. "Was ist ein Mensch?", oder genauer: "Was ist das Menschsein?" fragt nach der Eigenart des Wesens des Menschen: Wie west der Mensch als Mensch an? Wie west der männlich Seiende? Wesen weibliche Wesen überhaupt an? Gibt es einen Unterschied zwischen Wesen und Anwesen, beide verbal gedacht? Diese Fragen setzen voraus, daß wir schon wissen, worauf sich das Wort 'Mensch' bezieht, d.h. daß wir schon im voraus wissen, was ein Mensch ist. Es gilt nun darüber nachzusinnen und zu bestimmen, wie der schon als Mensch bekannte Mensch west und anwest. Es handelt sich deshalb nicht auf Kantische Art darum, ein Menschenwesen ausgehend von den Fragen nach dem Wissen, der Handlung und der Hoffnung zu entwerfen, sondern den Menschen selbst, das Sein, das Anwesen des Menschen selbst zu problematisieren.
- Die Frage: Wer ist Mensch? scheint vielleicht umgekehrt vorauszusetzen, daß das Menschsein, d.h. die Wesensart oder die Weise der Anwesenheit des Menschen schon durchdacht worden ist, und daß es jetzt lediglich darum ginge zu bestimmen, wer oder was, d.h. welche (Lebe)Wesen, von der Definition des Menschseins erfaßt werden. Das wäre eine Aufgabe der Klassifizierung. Doch wie unterscheidet sich das Wer vom Was genauer? Ist es gleichgültig, ob danach gefragt wird: "Wer erfüllt die 'Definition' des Menschseins?" oder stattdessen: "Was erfüllt die 'Definition' des Menschseins?" Die letztere Form der Fragestellung scheint 'neutraler', offener zu sein, da sie sich umschreiben läßt als: "Welches Seiende erfüllt die Definition des Menschseins?", während die erste Form irgendwie schon ausgemacht hat, wer Mensch ist und nun nur zusätzlich fragt: "Welche Menschen erfüllen die Wesensdefinition des Menschseins?". Es scheint, daß das Nachsinnen so vorgehen könnte, daß zunächst nach dem Menschsein schlechthin gefragt wird und dann als zweites, welche 'empirischen' oder welche 'Sorten' von Menschen (z.B. Frauen) sich in dieses Wesen, in die wesenhafte Art der Anwesenheit, fügen, ihm voll und ganz entsprechen.
- So zu fragen wäre jedoch abwegig, da es sich hier überhaupt nicht um die Subsumtion der Empirie unter Wesensdefinitionen handelt, sondern um die Bestimmung bzw. die Infragestellung des Wesens selbst. Es interessiert hier nicht, ob besondere Klassen von Menschen wie z.B. Frauen ihrer Wesensbestimmung entsprechen oder nicht (z.B. ob sie vernünftig sind oder nicht, eine Vorgehensweise, die im aufklärerischen Diskurs der Neuzeit sehr beliebt war). Die Frage: "Wer ist Mensch?" muß vorsichtigerweise als: "Wie west der Mensch?", d.h. 'verbal' gestellt werden, und nur in diesem Zusammenhang wird nach dem Wer des Menschen gefragt.
- Dem Wörterbuch nach gibt es nichts leichteres, als zwischen Wer und Was zu unterscheiden: Wer fragt nach einem Menschen, während Was nach nichtmenschlich Seiendem fragt. Diese Wörterbuch-Definition befriedigt auch den phänomenalen Sachverhalt, daß Seiendes sich immer schon für das In-der-Welt-sein in menschenmäßiges (Heidegger würde sagen: daseinsmäßiges) und nichtmenschenmäßiges Seiendes unterschieden hat. Nach Kap. 1 steht nun auch fest, daß zudem das menschlich Seiende für das alltägliche In-der-Welt-sein sich in 'männliches' und 'weibliches' Seiendes unterscheidet, das Menschengeschlecht ist gespalten, genau genommen, entzweit. Zur Frage "Wer ist Mensch?" könnte man sehr leicht mit Recht lapidar und im Bewußtsein der Gleichberechtigung antworten: Mann und Frau sind Menschen. Diese Antwort entspräche dem Leitfaden unseres Fragens. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, da es nicht unser Anliegen ist, den Status von Mann oder Frau als Menschen strittig zu machen. Die knappe Antwort bringt indes unser Fragen vorläufig abrupt zu Ende, sie ist erledigt, ohne erst einmal in Gang gekommen zu sein. Philosophieren könnte man so etwas nicht nennen.
- Das Denken muß demnach weitere Fragen stellen, wenn nicht mit einem so mageren Ergebnis schon abgeschlossen werden sollte. Wir fragen also weiter: Wie west der Mann als Mann und wie west die Frau als Frau? Das sind gleich zwei Fragen, die die wesensgleiche Antwort haben könnten, wenn es ein einheitliches Menschenwesen gäbe. Andererseits hat nicht die Tradition bereits eine Unterscheidung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit überliefert, die auch heute noch die jeweiligen Existenzweisen von Frau und Mann binden bzw. einengen? Reicht das Als in der Frage nach dem Mann als Mann und nach der Frau als Frau in eine Tiefe, die zum Nachdenken herausfordert? Weist dieses Als in eine ontologische Dimension, eine Dimension des Seins? Da hier die Frage, ob Frauen wesenhaft anders als Männer existieren, nicht interessiert, d.h. nicht in die Nähe der Seinsfrage bringt, sind die Wendungen 'Mann als Mann' und 'Frau als Frau' irreführende Wendungen. Das 'Wesen-als...' muß auf andere Weise angegangen werden, wobei das männliche Wesen hier den Vorrang haben sollte.
- Dieser Vorrang ist insofern gerechtfertigt, als die abendländische Kultur als 'patriarchal' bezeichnet wird. Wenn aber die abendländische Geschichte wesenhaft mit dem Ereignis sowohl wie mit der Geschichte der Metaphysik verwoben ist, und zwar so sehr, daß jene in dieser auf unscheinbare und einfache Weise gründet, dann muß der Sinn von Patriarchat in der Metaphysik selbst gesucht werden. Die Männlichkeit wird sich als ein metaphysisches Schicksal ausweisen. Trotz der vielen Gesten des postmodernen feministischen Diskurses, bereits jenseits der Metaphysik zu sein, läßt sich leicht zeigen, daß er tief und fraglos in der Metaphysik noch steckt, da der Sinn der Frage nach der Männlichkeit und Weiblichkeit als Seinsweise am Horizont des Feminismus bis heute gar nicht erschienen ist. Stattdessen wird daran festgehalten, daß die Weiblichkeit bei der Frau selbst zu entdecken ist, und daß die Frauen in einer 'patriarchalen' Kultur stets unterdrückt worden sind. Damit seien Frauen im abendländischen Patriarchat nicht als 'volle Menschen' anerkannt worden. Deshalb bemüht sich der Feminismus darum, 'weibliche' 'Eigenschaften', wie z.B. die Fürsorge für andere aufzuwerten, damit in der westlichen Kultur und Gesellschaft 'weibliche' Werte verankert und die Gesellschaft 'menschlicher' werden soll, da 'androgyner'.
- Spätestens seit Nietzsche wissen wir, daß das Wesen des Nihilismus darin liegt, daß die obersten Werte entwertet werden. Nietzsche schlägt eine Umwertung aller Werte vor. Spätestens seit Heidegger wissen wir jedoch, daß die versuchte Setzung neuer Werte zum Wesen des Nihilismus gehört und ihm keineswegs entkommt. Der Wille zur Macht, der die Werte setzen soll, ist selber metaphysisch ausgebrannt. Es bedarf der Hinwendung zum Sein selbst, um den Nihilismus zu verwinden. Diese Hinwendung hat der Feminismus jedoch bisher nicht vollzogen, da ihm der kleine Unterschied zwischen Sein und Seiendem nie aufgegangen ist, so daß er bisher überhaupt nicht nach der Männlichkeit und Weiblichkeit als Seinsweisen gefragt hat.
- Bevor die Weiblichkeit in der abendländischen Zivilisation überhaupt anders geortet werden könnte, so daß womöglich auch Frauen anders existieren könnten, müßte gezeigt werden, inwiefern und wie die Metaphysik die Weiblichkeit unterdrückt. Dies wird nicht dadurch geleistet, daß frau sämtliche Stellen in metaphysischen Texten über die Frau und die Weiblichkeit heraussucht, um die Abwertung des Weiblichen zu beweisen, sondern erst dadurch, daß phänomenologisch aufgezeigt wird, daß die Metaphysik ihrem Wesen nach so etwas wie Weiblichkeit nicht nur unterdrücken mußte, sondern nicht einmal sehen und bedenken konnte.
- Deshalb wird hier zunächst einmal vorausgesetzt, daß für die Metaphysik nur männliche Wesen Menschen gewesen sind, d.h. daß für sie in gewisser Weise das Menschsein mit der Männlichkeit gleichzusetzen ist (was aber keineswegs bedeutet, daß nur Männer als Menschen im vollen Sinn metaphysisch anerkannt worden sind). Der Sinn der Männlichkeit, ihre Herkunft vom Sein her, muß erfragt werden, um herauszufinden, wer Mensch ist. Dabei darf die Männlichkeit nicht mit traditionellen sogenannten 'männlichen' Charaktereigenschaften noch gar mit typisch 'männlichen' Existenzweisen gleichgesetzt werden. Die Männlichkeit (sowie die Weiblichkeit) sind immer schon igendwie in einem Vorverständnis verstanden. Wenn die Männlichkeit sich als eine Seinsweise ausweisen sollte, muß ihre Herkunft vom Sein her aufgezeigt werden. Der Sinn von Männlichkeit muß etwas mit dem Sinn von Sein zu tun haben. Es wird damit eine gewisse Übersetzungsarbeit unternommen, um zunächst die Männlichkeit in ihren Herkunftsort beim Sein selbst zu übertragen. Da der Sinn von Sein innerhalb der Metaphysik niemals erfragt wurde noch erfragt werden konnte, geschieht hier mit der Frage nach der Männlichkeit als Wersein ein Rückstieg hinter die Metaphysik in ihren anfänglicheren Ursprung.
Anmerkungen 1. b)
Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse XXXIII. Vorlesung Die Weiblichkeit GW Bd.XV S.120/121. Back
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