Phänomenologie heißt:
lernen zu sehen, was du schon siehst,
zu verstehen, was du schon verstehst,
und zu wissen, was du niemals wissen wirst.
0. AbstractDie Männlichkeit ist nicht bloß ein Sammelbegriff für all das, was den Mann betrifft, sondern ist eine Weise, als Wer in der Welt zu existieren, woran sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen können. Die Existenzweise hängt wesentlich mit der metaphysischen Denktradition und ihrer stillschweigenden Erfahrung des Seins selbst als ständiger Anwesenheit zusammen. Der männliche Wer ist eine widerspiegelnde Entsprechung zu diesem bis heute immer noch ungeklärten impliziten Verständnis des Seins. So etwas wie eine weibliche Existenzweise kann erst durch eine Infragestellung der geschichtlich verengenden Erfahrung des Seins und dem entsprechenden stillschweigenden geschichtlichen Seinsentwurf des männlich-phallischen Wer in den Blick kommen.1. Männlichkeit als eine Weise, Wer zu seinWir fragen nach der Männlichkeit, was freilich nichts Männliches ist, noch etwas, was bloß den Mann betrifft. Die Endung '-keit' bei 'Männlichkeit' deutet auf einen Unterschied zwischen dem, was normalerweise und alltäglich unter 'männlich' verstanden wird, und einer Seinsweise, die das Wie eines Sichzeigens in der Welt betrifft. Auch ist, was unter 'männlich' verstanden wird, in die Geschichte eingebettet und mit dem verknüpft, was Thema philosophischen Denkens wurde.Das griechische Wort für 'Männlichkeit' heißt wörtlich a)ndrei/a, was mit 'virtus' ins Lateinische übersetzt wurde und auch allgemeiner die Vortrefflichkeit überhaupt, Griechisch a)reth// besagt. Auf Griechisch heißt 'Mann' a)nh/r, auf Lateinisch 'vir', was insbesondere den Mann "von festem Charakter, von Mut, Kraft, Tapferkeit, usw." (Georges) bezeichnet. Im Denken von Platon ist die a)ndrei/a eine der vier Hauptvortrefflichkeiten und wird normalerweise mit 'Tapferkeit' ins Deutsche übertragen. Ein männlicher Mann ist also tapfer, aber er kann auch weibisch sein, d.h. feige. Umgekehrt kann auch eine Frau tapfer sein, also männlich. Was lernen wir daraus? Erstens, daß 'männlich' gerade nicht einfach das, was den Mann betrifft, heißt. Zweitens, daß, was unter 'männlich' verstanden wird, sowohl historisch bedingt ist, als auch gegenüber Männern und Frauen verschiebbar. Insofern fragen wir nicht danach, wie Männer sind soziohistorisch oder sonstwie — und dementsprechend auch nicht wie Frauen sind —, sondern nach dem männlich Seienden, d.h. danach, was es heißt, männlich in der Welt zu sein. Es ist also eine Frage nach einer Seinsweise und somit eine philosophische, d.h. ontologische, das Sein betreffende Frage, vom Griechischen to\ o)/n für 'das Seiende'. Wie gerade gesehen, hat das philosophische Denken zumindest beiläufig diese männliche Seinsweise in der Welt z.B. als 'tapfer' identifiziert. Damit hat bereits Platon ein Wesensmerkmal der Männlichkeit ausgesprochen, nämlich, die Tapferkeit. Um die Männlichkeit zu identifizieren, bedarf es also einer Identität mit einer Differenz, hier, der Tapferkeit. Tapferkeit ist eine Art und Weise sich in der Welt zu zeigen, nämlich, eine standhafte, wehrhafte Weise, die weder vor der Gefahr von Außen zurückweicht, noch der eigenen Furchtsamkeit nachgibt. Die Tapferkeit als eine der vier Hauptvortrefflichkeiten hat Platon in seinem Entwurf der menschlichen yuxh/, oder Seele, eingebaut. Die Mannhaftigkeit gehört also wesentlich zu einer vortrefflichen menschlichen Seele. Die Psyche wiederum wird vorgestellt als dem menschlichen Körper innewohnend und ist [der Sitz bzw. ]das Prinzip der Selbstbewegung des menschlichen Lebens. Griechisch erfahren, ist alles Leben — ob nun pflanzlich, tierisch oder menschlich — psychisch, d.h. durch ein Prinzip des Sich-selbst-bewegen-könnens wesentlich bestimmt. Die Besonderheit des menschlichen Lebens ist, daß seine Bewegtheit durch den vernünftigen Teil der Psyche regiert ist. Das eigentliche Menschsein ist also das Vernünftige, der Mensch ist lateinisch gesprochen das animal rationale. Diese Wesensbestimmung des Menschen hat sich mit Abwandlungen durch die ganze westliche Geschichte durchgehalten, auch wenn sie sich relativiert oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt hat wie z.B. bei Nietzsche oder in der Psychoanalyse. Eine solche Wesensbestimmung ist nicht bloß historisch, sondern geschichtlich im Sinne eines Geschicks, das bestimmt, wie wir uns und die Welt überhaupt verstehen. 2. Der Unterschied zwischen Was und WerWichtig ist hier zu bemerken, daß diese altehrwürdige Bestimmung des Menschseins den Menschen als eine Art Was behandelt, d.h. sie antwortet auf die Frage, Was ist der Mensch? Diese Frageweise und Fragerichtung entspricht der Art des Fragens in der Metaphysik überhaupt, die von Anfang an stets gefragt hat, ti/ e)stin...; d.h. Was ist...?, also, in der dritten Person singular. So sprechen wir auch im Deutschen in der Philosophie oder den Wissenschaften ohne weiteres von 'der Mensch' und geben ohne weiteres Was-Antworten auf die Frage, 'Was ist der Mensch?'. Diese Vorliebe für Was-Fragen und Was-Antworten ist nicht beliebig und auch nicht folgenlos. So ist es nicht ohne weiteres möglich, Was-Aussagen zur Wesensbestimmung des Menschen in Wesensaussagen etwa darüber, Wer du bist oder Wer wir sind, zu übersetzen. Es handelt sich hier also nicht um eine bloß grammatikalische Angelegenheit.Was heißt es, Wer zu sein? Und wie unterscheidet es sich davon, Was zu sein? Das läßt sich gar nicht so leicht beantworten, und zwar wegen der besagten Fixierung in der Philosophie und dann auch in den modernen Wissenschaften auf Was-Fragen und Was-Antworten. Schon Platon und Aristoteles geben metaphysische Was-Antworten auf die Frage, was das Seiende als solches sei. Was ein Seiendes jeweils ist, wird durch sein Wesen bestimmt. Für Platon ist dieses Wesen durch die i)de/a bestimmt, für Aristoteles durch den ei)=doj und das ge/noj. Die beiden Wesensbegriffe i)de/a und ei)=doj kommen vom griechischen Verb i)dei=n, 'sehen'. I)de/a und ei)=doj sind also der Anblick oder die Ansicht, der bzw. die ein Seiendes von sich bietet und zeigt. Ge/noj oder Gattung hingegen verweist auf die Herkunft eines Seienden — nicht in einem zeitlichen Sinn, sondern im Sinne dessen, was das Seiende in seinem Wesen 'immer schon war', das Aristotelische to\ ti/ h)=n ei)=nai. Der ei)=doj oder die Ansicht heißt auf Lateinisch 'species'. Demnach wird das Wesen eines Seienden durch die Gattung und die differentia specifica oder spezifische Differenz definiert, z.B. der Mensch ist definiert durch die Gattung 'animal' oder 'Lebewesen', und die spezifische Differenz 'rational' oder 'vernunftbegabt'. Seine definierende Ansicht [oder 'Gesicht' ]ist die der Vernunft. Der Mensch als ein Seiendes wird also wesenhaft umgrenzt als das vernünftige Tier, er bietet den Anblick des Vernünftigen. Diese bestimmende Umgrenzung läßt das Seiende sich zeigen als das, was es ist. 3. Was heißt es, Wer zu sein?Nun hilft uns dies aber nicht zu sagen, wer das männlich Seiende ist[, im Unterschied zu dem, was das männlich Seiende ist]. [Traditionell wurde die Vernunft als Wesensgabe des männlich Seienden häufig dem Mann zugeschrieben, während der Frau diese Wesensgabe abgesprochen wurde. Von der Frau wurde von Seiten des Mannes behauptet, sie sei 'unvernünftig', was aber nicht hieß, sie sei außerhalb der Vernunft überhaupt, sondern daß sie weniger von diesem Wesensattribut des Menschen besitze und sich statt dessen von ihren Gefühlen beherrschen lasse. Das aber hieß ein Weniger an Menschsein, ein Mangel an Wesen. Denn seit Platon ist die Vernunft als die herrschende Instanz in der menschlichen Psyche bestimmt worden, eine Instanz, die unter anderem die Gefühle in Schach halten soll. Diese Aberkennung der Vernunft war auch historisch eine Art und Weise, die Frau dadurch aus den gesellschaftlichen Machtverhältnissen auszuschließen und sie zu beherrschen, daß mann ihr weniger an Sein zusprach. Solche metaphysischen Wesenbestimmungen von Mann und Frau haben auch erhebliche historische Auswirkungen darauf gehabt, wie z.B. Frauen erzogen worden sind. Hier jedoch geht es nicht um angebliche Wesenszuschreibungen von Mann oder Frau, sondern um die Frage, wer das männlich Seiende ist, d.h. darum, was es heißt, als ein männlich Seiendes zu existieren, männlich anzuwesen. ]Für diese Fragestellung müssen wir uns von den traditionellen Antworten und der traditionellen metaphysischen Vorgehensweise verabschieden, um klarer zu sehen. Denn das Männliche ist eine Art und Weise, sich in der Welt zu zeigen, und muß dort auch gesehen werden können.Die deutsche Sprache selbst gibt uns für diese Frage einen Fingerzeig mit der Aussage 'Er ist Wer'. Was aber sagt sie überhaupt aus? Wer zu sein, heißt, sich als eine wichtige Erscheinung in der Welt zu präsentieren und als solche von anderen auch so eingeschätzt zu werden. Die Welt selbst ist eine offene Lichtung, die wir Menschen miteinander teilen. In dieser Lichtung der Welt, die wesentlich zeitlich durch An- und Abwesung gezeichnet ist, zeigt sich Seiendes als das, was es ist, und zeigen wir uns gegenseitig als der oder die, wer wir jeweils sind. Dies schließt natürlich ein, daß ein Seiendes sich zeigt als das, was es nicht ist, und daß wir Menschen uns ebenso zeigen als jemand, der wir nicht sind. Phänomene können auch täuschen und verzerren, aber sie sind trotzdem Phänomene, nämlich Phänomene, die mit einem Mangel behaftet sind. Wir zeigen uns deutlich, verzerrt oder täuschend durch die Ansichten, die wir von uns präsentieren, mit denen wir uns identifizieren. Ansichten darf hier ruhig auch in der doppelten Bedeutung von 'Anblick' oder 'Meinung' verstanden werden. Wenn du eine Meinung von dir in der Lichtung des Miteinanders präsentierst, dann zeigst du dich als wer du bist selbst dann, wenn du dich gerade hinter einer Meinung verbirgst, die eigentlich nicht die eigene ist. Dieses Als ist ganz wesentlich, denn du identifizierst dich immer mit etwas, was du eben nicht bist[, z.B. du identifizierst dich mit einer bestimmten Religion oder politischen Richtung oder einem bestimmten Beruf]. Identität setzt immer Differenz voraus und ist immer eine Zusammengehörigkeit von etwas oder jemandem mit einem Anderen. Alle Ansichten einschließlich Verhaltensweisen, die du von dir selber präsentierst, ob freiwillig oder nicht, zeigen und definieren dich als der, wer du bist. Die Anderen haben ein bestimmtes Bild von dir, und du hast auch ein bestimmtes Selbst-Bild von dir, das deine Selbst-Identität definiert und umgrenzt. Auch du hast bestimmte Bilder oder Anblicke von dem, wer die anderen jeweils sind. Solche präsentierten, definierenden Ansichten von dem, wer ein Wer ist, sind sehr vielfältig. Eine Wer-Ansicht ist der Eigenname, der zum Kern der Identität als Wer gehört. Eine andere ist, wie man sich kleidet und also zeigt. Und überhaupt sind die eigenen Verhaltensweisen Anblicke, die man den Anderen und sich selbst präsentiert. Wer du bist und wer ich bin ist immer eine ganze Vielfalt von Ansichten, ein ganzes Repertoire von Rollen und Masken, wodurch wir uns jeweils zeigen als der, wer wir sind. Das Wort 'präsentieren' in diesem Zusammenhang ist auch nicht unschuldig oder belanglos. Im 'präsentieren' liegt auch Präsenz, Anwesenheit, d.h. eine zeitliche Bestimmung. Das Sichzeigen den Anderen und sich selbst gegenüber ist ein Sichpräsentieren und Auftreten in der Lichtung der Welt und somit auch eine Anwesung. Die Lichtung ist eine der An- und Abwesung und zwar durchaus im zeitlichen Sinn von Bewegung. Durch die Selbstpräsentation in der Zeitlichtung des Miteinanders zeigst du dich nicht nur, sondern du erfährst auch eine Widerspiegelung von den anderen, die unwillkürlich ein- und abschätzen, wie deine Selbstpräsentation wirkt, und dies auch zurückspiegeln, entweder bestätigend oder ablehnend. Wer du bist, ist immer ein Sichidentifizieren mit einem Widerschein der Welt. Sich als Wer in der Welt zu zeigen, ist immer ein Spiel des sich gegenseitig Schätzens, das alle möglichen Schattierungen von Niedrig- bis Hochschätzen, von Unter- bis Überschätzen annimmt. Auch du selber schätzt deine eigenen Selbstpräsentationen in der Welt ein, und zwar vermittelt durch den Widerschein von der Welt. Das Wertschätzspiel in der Welt schätzt ein, wer jemand jeweils ist im Hinblick auf seinen Status in der Welt, d.h. auf seinen Wer-Stand. Das gegenseitige Einschätzen sowie das Sicheinschätzen können durchaus auch ein Verschätzen sein. Höher in der Welt als Wer ein- und wertgeschätzt zu werden, heißt, als Wer seiender zu sein, d.h. hervorragender in der Lichtung anzuwesen. 4. Der männliche WerJetzt sind wir in der Lage zu sagen, was Männlichkeit als eine Weise des Werseins ist. Das männlich Seiende ist Wer in dem Sinn, einen festen Werstand in der Welt durch die aufbauende Wertschätzung der präsentierten Anblicke von sich selbst durch die Anderen zu genießen. Eine hohe Wertschätzung der eigenen Wer-Anblicke durch die anderen verleiht einem auch Macht, Einfluß. Männlich Wer zu sein in diesem Sinne liefert keineswegs ein Wesensmerkmal, um Männer von Frauen zu unterscheiden. Sowohl Männer als auch Frauen können in diesem wesenhaften Sinne männlich Seiende sein. Wer in der Lichtung der Mitwelt in seinem Wer-Status hochgeschätzt wird und so hervorragt, ist männlich. Die Szenen für den Auftritt als Wer sind unendlich vielfältig, und die Einschätzung des jeweiligen Wer fallen in den verschiedenen Arenen der Welt sehr unterschiedlich aus. [Z.B. wird ein Professor, der von seinen Studenten und in der akademischen Gemeinschaft hochgeschätzt und verehrt ist, bei einem Fußballspiel keinen sonderlich hohen Wer-Status widergespiegelt bekommen. ]Einen festen, und in diesem Sinn phallischen Stand als Wer in der Lichtung der Mitwelt zu genießen, hat wiederum auf metaphysischen Schleichwegen mit dem Sonderstatus der a)ndrei/a bzw. der Mannhaftigkeit bei den Griechen in Platons Entwurf der ausgezeichneten, vortrefflichen Haltungen des Menschen zu tun, denn die Mannhaftigkeit heißt eben, einen standhaften, wehrhaften Stand in der Mitwelt zu zeigen und zu halten, und zwar gegen die Angriffe der Anderen. Das ist eine Frage der Stand-Kräfte des wehrhaften Mannes, der wegen seiner Standhaftigkeit auch hochgeschätzt [und verehrt ]wird. [Und überhaupt wird die Tapferkeit durch die ganze Geschichte als eine mannhafte Qualität sehr geschätzt. Seinen Mann zu stehen, ist eine Weise, als Wer hochgeschätzt zu werden. ]Wehrhafte Kräfte sind teils physisch wie die eines Kriegers oder aber psychisch wie z.B. die eines guten Redners, der in einer Versammlung verbalen Attacken geschickt und überzeugend Paroli bieten kann. Weiter gefaßt jedoch sind Kräfte als menschliche Fähigkeiten und Vermögen jedweder Art zu verstehen. Ein fähiger Wer hat die Kraft, etwas in der Welt zu bewegen. Die Ausübung einer Fähigkeit ist das Am-Werk-sein einer Kraft, so die wörtliche Übersetzung des Griechischen: e)ne/rgeia, d.h. der Energie. Wenn du in irgendeiner Hinsicht eine Fähigkeit besitzest, wird ihre Ausübung in irgendeinem Kreis des Miteinanders wertgeschätzt, und so erlangst du einen Stand als Wer in diesem Kreis. [Du wirst anerkannt und wertgeschätzt, und ]diese Wertschätzung kann eventuell auch in Geld eingeschätzt werden und als Belohnung ausgezahlt. Deine Arbeit welcher Art auch immer ist das Ins-Werk-setzen deiner individuellen Fähigkeiten und Kräfte, und dies wird in der Wirtschaft eben auch in Geldwert honoriert, d.h. das Geld ist eine verdinglichte Weise des Ein- und Wertschätzens, wodurch der Einzelne durchaus auch die Bestätigung seiner Selbstidentität und seines Wer-Status erlangen und genießen kann. [Geld als verdinglichter Wert spielt auch mit ein in das Wertschätzspiel unter den Menschen. ] Persönliche Kräfte und Vermögen in Bewegung zu setzen, ist die Verwirklichung eines Potentials. Potential auf Griechisch heißt du/namij und dies ist ein Synonym von 'Macht'. Eine Kraft ist somit ein Potential und eine Macht. Auf Englisch ist dies leichter zu sehen, weil man auf Englisch von 'personal powers and abilities' spricht. Wenn es nun um das Auftreten und Sichzeigen als Wer in der Mitwelt geht, dann ist dies in erster Linie ein Vorzeigen der eigenen Kräfte und Fähigkeiten, die von anderen wertgeschätzt werden sollen. Solche individuellen Kräfte und Fähigkeiten können auch im Wettbewerb gegen andere eingesetzt werden, aber dies muß nicht immer der Fall sein. Auf jeden Fall jedoch ist das Spiel der Kräfte und Fähigkeiten in der Mitwelt, wie gerade erläutert, ein Machtspiel in weitesten Sinn. Zudem bedeutet das Wertschätzen der individuellen Kräfte nicht nur die Befestigung eines Wer-Status, sondern von diesem wertgeschätzten Wer-Status aus auch die Erweiterung der individuellen Einflußsphäre und somit eine Vergrößerung der persönlichen Macht. [Einen hohen Wer-Status zu genießen, bedeutet, daß 'Türen' für dich 'aufgehen', wie es so schön heißt. Das aber ist eine Ausübung von Macht im weitesten Sinn. ] Das männlich Seiende ist derjenige Wer, der einen festen Wer-Stand in der Mitwelt genießt und entsprechend auch eine persönliche Macht in einem gewissen Kreis auszuüben vermag, der groß oder klein sein kann. Alles hängt davon ab, wie hoch oder niedrig persönliche Kräfte, Fähigkeiten, Vermögen der verschiedensten Art eingeschätzt werden. In verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten kann die Wertschätzung der unterschiedlichen Fähigkeiten völlig unterschiedlich ausfallen, was aber bleibt als das Selbe, ist das Wert-Schätz-Spiel in irgendeiner Form. Männlich Wer zu sein, heißt, einen Erfolg im Wertschätzspiel der eigenen persönlichen Fähigkeiten zu erringen und somit als ein Gewinner im Machtspiel anzuwesen. [Ein solches Wert-Schätz-Spiel ist freilich weder subjektiv noch objektiv, weil es außerhalb der Subjekt-Objekt-Spaltung der neuzeitlichen Metaphysik überhaupt angesiedelt ist. ]Alles Seiende einschließlich aller Werseienden in der Welt sind immer schon ins Wert-Schätz-Spiel einbezogen, d.h. bewertet. Die sogenannte 'Wertfreiheit' ist ein künstliches Abstrahieren vom ursprünglichen Wert-Schätz-Spiel der Welt. 5. Was heißt Weiblichkeit?Eine Frau aber ist stets behindert.
Träge und geschmeidig zugleich.hat sie gegen sich die Weichheit des Fleisches sowie ihre Abhängigkeit vom Gesetz. Ihr Wille flattert wie der Schleier ihrer Haube, den ein Band festhält, in alle Winde — immer gibt es ein Begehren, das sie lockt, und eine Konvention, die sie zurückhält. Gustave Flaubert Madame Bovary 2. Teil Kap. 3 Wenn es so steht mit meiner Auslegung der Männlichkeit als einer Weise, in der Welt als wertgeschätzter Wer anzuwesen, dann drängt sich die Frage auf, wie dementsprechend die Weiblichkeit als Anwesungsweise zu deuten ist. Eine Klärung der Weiblichkeit wirft wiederum weiteres Licht auf die Männlichkeit zurück. Was könnte ein weibliches Wersein überhaupt heißen[, und welche Seinsregion bewohnt überhaupt die Weiblichkeit als Seinsweise, d.h. als An- und Abwesungsweise]? Läßt sich die Weiblichkeit überhaupt in der gleichen Weise ins Offene bringen, wie das männliche Wesen, das als Wer eine exponierte Weise ist, sich in der Mitwelt anblickhaft zu zeigen? Oder liegt die weibliche Anwesungsweise darin, der wesenhaften Verbergung und Entzug im Herzen der Weltlichtung zu entsprechen? Wir haben gesehen, daß der männliche Wer vorzüglich einen standhaften, fest umrissenen, hervor-ragenden Anblick von sich in der Lichtung der Mitwelt bietet, wobei vor allem seine willentlichen Fähigkeiten und Vermögen zum Vorschein und zum Scheinen kommen. Seine Seinsweise ist in diesem Sinn eine ständige, fest umrissene, phallische Anwesung. Ständige Anwesenheit aber charakterisiert stillschweigend von Anfang an das metaphysische Sein des Seienden. Das männlich-ständige Wersein ist somit die Widerspiegelung im Menschsein selbst dieser metaphysischen Erfahrung des Seins von Platon bis Nietzsche. Bei Nietzsche etwa gipfelt die ständige Anwesenheit in der metaphysischen Wesensbestimmung des Seins alles Seienden als Wille zur Macht. Da nun die Weiblichkeit mit der Männlichkeit gepaart ist, muß sie erst mal eine Negation der Männlichkeit darstellen. Eine solche Negation kann eine bloße Privation, ein bloßer Mangel an Sein sein. So wäre die Weiblichkeit durch einen Mangel an Ständigkeit der Anwesung gekennzeichnet. Der weibliche Wer würde sich nicht so standhaft, wehrhaft, kraftvoll in der Lichtung der Mitwelt mit seinen Ansichten zeigen bzw. er würde nicht so wertgeschätzt werden, sondern eher unscheinbar anwesen oder sich überhaupt in die Abwesenheit zurückziehen und sich auch verborgen halten. Dies entspricht durchaus auch historischen Erfahrungen, wonach der Mann seinen hervorragenden Platz in der Öffentlichkeit innehatte, während die Frau für den verborgenen häuslichen Bereich zuständig war. Solche patriarchalen Zustände lassen sich auch heute überall leicht auffinden, aber solche historisch-empirischen Feststellungen sagen gar nichts über eine weibliche Weise als Wer an- und abzuwesen, denn dies ist eine philosophische, ontologische Frage. Gibt es einen Weg, die Weiblichkeit als Anwesungsweise so in den Blick zu bekommen, daß sie sich nicht bloß als Privation und Mangel gegenüber der Männlichkeit zeigt? Es gibt ihn in der Tat, womit der weibliche Wer leise zum Vorschein kommen kann, allerdings ohne daß der weibliche Wer mit der Frau identifiziert werden darf. Als Seinsweise muß die Weiblichkeit eine Weise des Anwesens sein, wobei solches Anwesen auch Weisen des Abwesens einschließlich der schlechthinnigen Verborgenheit umfaßt. Weiblichkeit als Seinsweise muß durch eine Unständigkeit der Anwesung bestimmt sein, denn sie stellt eine Negation der Männlichkeit als ständiger Anwesung dar. Dieses Un- ist zwar eine Negation, hat aber phänomenal etwas Positives an sich und ist nicht Nichts. Metaphysisch erfahren wird die Ständigkeit durch die wohldefinierten Umrisse des Anblicks, d.h. der i)de/a und des ei)=doj, bestimmt. Der männliche Wer zeigt sich widerspiegelnd durch seinen wertgeschätzten Anblick als mannhaft, standhaft. Er hat etwas zu sagen und womöglich zu befehlen, und genießt um so mehr ein Wersein, je höher er in irgendwelchen Befehlshierarchien steht. Umgekehrt kann also die Weiblichkeit nicht durch einen ideenhaften Anblick und ein Sichpräsentieren dieses Anblicks in der Mitwelt bestimmt sein, sondern durch ein Sichzurücknehmen zugunsten eines Anwesenlassens gegenüber dem Sichanwesen, das die Anwesungsweise als männlicher Wer charakterisiert. 6. Weiblichkeit als AnwesenlassenSolches Anwesenlassen kann das Anwesenlassen eines Anwesenden, d.h. eines Seienden, sein, oder es kann das Anwesenlassen des Anwesens als solchen sein. Beim Letzteren west kein fest umrissener Anblick, kein Seiendes an, sondern die zeitliche Offenheit der Weltlichtung als solcher, und zwar in einer bestimmten Stimmung einer bestimmten Weltlage, die auch den Wer an-stimmt und so be-stimmt. Insofern ist das Anwesenlassen immer auch ein Anstimmenlassen. Solche Empfänglichkeit für die gestimmte Be-Stimmung durch die Gestimmtheit kann man mit Vorsicht 'weiblich' nennen, auch wenn sie keineswegs 'Frauensache' ist. Solche Be-Stimmung ist keine Verursachung durch Ursache-Wirkung-Ketten, die womöglich auch wissenschaftlich erforscht und berechnet werden könnten. In der Gestimmtheit geht jeweils das Ganze des Anwesens an, wobei auch das Anwesen der Abwesenheit mit hineinspielt, wie z.B. in der Stimmung einer Sehnsucht-nach... oder einer Trauer-über... Die Stimmung als solche bringt auch nichts fest Umrissenes und als ständig Anwesendes vor Augen und kann sogar eine empfängliche Stimmung für den Entzug der undurchdringlichen Verborgenheit jenseits alles Verstehens sein.Eine solche Empfänglichkeit für das sichentziehende Offene der Welt selbst, d.h. für das Anwesen als solches, färbt ab, d.h. be-stimmt auch die Begegnungen mit anderen in der Welt. Der weibliche Wer bzw. der Wer, sofern er als weiblich anwest, ist nicht um das Sichzeigen und die Selbstpräsentation des eigenen, möglichst fähigen Werprofils bemüht, sondern empfänglich für die Art und Weise, wie der Andere bei ihm anwest und so angeht. Solche Empfänglichkeit ist auch eine Sensibilität für die Anwesenheit des Anderen in den feinsten Nuancen und erfordert ein Sichzurücknehmen vom Willen, sich selbst mit seinen eigenen Fähigkeiten und Vermögen zu zeigen. Der Andere wird mehr gespürt als gesehen, er präsentiert keinen eidetischen Anblick von sich, sondern stimmt an durch die Art seines Anwesens, die sehr flüchtig und unscheinbar sein kann. Eine weibliche Offenheit für das leise, unscheinbare Anwesen des Anderen ist nicht mehr metaphysisch, denn die Metaphysik ist stets von der fest umrissenen Idee und der zugrundeliegenden Substanz bzw. dem Subjekt oder dem u(pokei/menon ausgegangen, dessen Prädikate in der dritten Person ausgesprochen wurden und werden. Bei der Weiblichkeit des Wer geschieht ein Umschwenken von dem Was-Verhältnis zwischen der ersten und der dritten Person zu dem Wer-Verhältnis zwischen der ersten und der zweiten Person, d.h. unter uns. Dieses Verhältnis ist die Begegnung zwischen Ich-und-Du, die in der Metaphysik nicht als solche zur Sprache kommen konnte, weil die Metaphysik stets auf substanzielle, ständig anwesende Wesensmerkmale des Seienden in seinem Sein fixiert war. Auch die Gegenbewegungen zu einer solch metaphysischen Wesensbestimmung kamen nicht über bloße Negationen hinaus, denn sie machten jeweils nur die Negation eines Wesensmerkmals wie z.B. der Vernunft stark, ohne das stillschweigend vorausgesetzte Vorverständnis des Seins selbst als ständiger Anwesung überhaupt gesehen, geschweige denn in Frage gestellt zu haben. Freilich ging es in diesem Vortrag weder um eine Kritik der Männlichkeit noch darum, sich für die Weiblichkeit als alternative Seinsweise des Wer stark zu machen. Die Weiblichkeit sollte hier nicht gegen die phallisch-ständige Männlichkeit ausgespielt werden. Vielmehr sollte klarer — oder überhaupt — gesehen werden, wie Männlichkeit sowie Weiblichkeit zutiefst mit der philosophisch-metaphysischen Denktradition zu tun haben, und nicht bloß historische oder soziologische Phänomene sind. Diese metaphysischen Denkweisen sind unweigerlich Weisen, wie die Welt sich auch heute zeigt, und wie wir sie so auch unweigerlich stillschweigend verstehen. Vor allem sollte ans Licht gekommen sein, daß die Möglichkeiten der menschlichen Existenz sich nicht im männlichen Wersein erschöpfen. Denn diese standhafte, kräftige, selbstpräsentierende Existenzweise zeigt sich als ausgesprochen einseitig und bedarf daher der Ergänzung durch eine Offenheit und Empfänglichkeit für die Welt auch in ihrer sichentziehenden Verbergung, wodurch sich der männliche Wer zurücknimmt. |
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