Replik auf Rolf Löchels Rezension zu 
Phänomenologie der Männlichkeit

Michael Eldred

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Offener Brief an die Herausgeber von literaturkritik.de

 Version 1.0: 31. Mai 1999
Version 1.1: 17. Juni 1999


 
Replik auf Rolf Löchels Rezension zu 
Phänomenologie der Männlichkeit
 
    Mit Interesse habe ich die Rezension von Rolf LöchelRezension von Rolf Löchel zu meinem neuen Buch "Phänomenologie der Männlichkeit" in literaturkritik.de Nr. 4 - April 1999 gelesen. Und wenn ich feststelle, daß dieser Denkversuch gründlich mißverstanden worden ist, bin ich wohl nicht in schlechter Gesellschaft. Wer eine Rezension mit dem Titel "Weiblichkeit - das Andere des Ontischen" versieht, zeigt, daß er den Ansatz - leider - übersprungen hat oder vielmehr, daß er in seinem Denken gar nicht gesprungen ist, sondern alles in meinem Versuch, den Phänomenen von Männlichkeit und Weiblichkeit von einer anderen Richtung her anzugehen, lediglich unter alte Klischees und Vorurteile nach dem Motto 'das klingt wie...' untergebracht hat. Denn wenn Rolf Löchel schreibt: "Sie [die Weiblichkeit] ist wiederum nur das bloß Andere des 'Eigentlichen', 'Primären', des Ontischen, des 'Männlichen' eben" hat er die Männlichkeit mit dem Ontischen, die Weiblichkeit andererseits mit der ontologischen Dimension identifiziert. Die ganze Denkanstrengung in meiner Abhandlung zielt jedoch darauf, sowohl die Männlichkeit als auch die Weiblichkeit von der ontologischen Differenz her aufzuzeigen, d.h. beide sind ontologische Dimensionen und können nicht zwischen dem Ontischen und dem Ontologischen aufgeteilt werden.

    Vielmehr bemüht sich die Abhandlung darum, eine Faltung im Ontologischen sicht- und spürbar zu machen - eine Faltung im Sein selbst. Nirgends in meinem Buch wird behauptet, das Männliche als "das Ontische" sei das "Eigentliche", "Primäre" gegenüber einem "bloß Anderen" der Weiblichkeit. Vielmehr handelt es vom Vorrang der Ständigkeit im Denken der metaphysischen Tradition, einem Vorrang, der heute erst und nur von außerhalb der Metaphysik  hinterfragt werden kann. Löchel dreht das herum und behauptet, Althergebrachtes werde nur noch einmal affirmiert. Im Editorial schließt sich Christine Kanz an: "Die Studie zementiert eher alte Geschlechterstereotype...", obwohl mein Buch sehr deutlich macht, daß es nicht um Geschlechter, sondern um Geschlechtlichkeit geht, und daß die Geschlechtlichkeit - nun in ihrer Herkunft vom Sein aufgezeigt - auf eine Weise fragwürdig gemacht wird, die keine gender studies leisten können. Geschlechtlichkeit betrifft eben die allertiefsten, unscheinbarsten Vorurteile unseres abendländischen Denkens selbst und kann nur dann angegangen werden, wenn diese Herkunft ausgelegt wird. Das Sein selbst ist die Frage.

    Rolf Löchel hat recht, wenn er bemerkt, mein "eigenwilliger Entwurf" sei "vollkommen außerhalb jedes geführten gender-Diskurses" situiert und "stellt wohl kaum einen fruchtbaren Ansatz im Rahmen der gender-Diskurse dar." Ich wollte zu den Phänomenen selbst und sie als Weisen des In-der-Welt-seins aufdecken. Das erfordert ein Sprengen des eingebürgerten Denkrahmens. Leser und Leserinnen, die in der gender-Literatur bewandert sind, werden zweifelsohne merken, daß die gender studies niemals die Frage nach der Männlichkeit und der Weiblichkeit auf fundamentalontologische Weise aufkommen lassen. Eine solche Fragestellung kann am Horizont von gender studies als "Kulturwissenschaften" nie erscheinen. Nur Lesern, die gender studies als philosophisch unzureichend empfinden, werden sich die Mühe machen, einen ganz anderen Ansatz durchzudenken, der tiefer ansetzt.

    Durchdenken heißt nicht, daß man Ähnlichkeiten mit anderen Autoren feststellt und das entsprechende Phänomen dort bequem und ohne Anstrengung unterbringt ("Phallus? - Das ist Lacan!" oder "Der Andere? Ach, das ist Levinas!"). Interessierte Leser können meine ausführliche Kritik an Lévinas in meinem Aufsatz Worldsharing and Encounter: Heidegger and Lévinas nachschlagen.

    Es ist schade, daß die Schelte gegen den sog. "Heidegger-Jargon" in Deutschland immer noch kein Ende nimmt, denn von einem großen Denker und Lehrer wie Heidegger könnte man lernen. Rolf Löchel schließt sich zeitgeistgemäß dieser Schelte an. Es würde manchen deutschen Lesern durchaus gut tun, mit Sein und Zeit "aufzuwachsen", wie der Rezensent ironischerweise empfiehlt. Dann hätte mein Versuch vielleicht bessere Chancen, daß ihm die besondere Eindringlichkeit des Verstehens zuteil würde, die er verlangt.


    PS: Offener Brief an Rolf Löchel

     
    Köln, 17. Juni 1999 

    Sehr geehrter Herr Löchel, 

    Vielen Dank für Ihre Mitteilung vom 15. Juni 1999, die die Aussagen in Ihrer Rezension im Wesentlichen wiederholt. 
    Erfreulicherweise lesen nicht alle Leser meines Buches in den beschränkten Bahnen der Cultural Studies wie Sie (vgl. z.B. Rafael Capurros Rezension Rafael Capurros Rezension oder die Rezension in "Büchermarkt" im Deutschlandfunk). Was Ihre Zeitschrift groß auf ihre Fahnen schreibt als fortschrittliche Theoriebildung, nämlich die sog. Kulturwissenschaften, ist - mit Verlaub - ein nicht sehr origineller Abklatsch aus dem im provinziellen Deutschland stets tonangebenden Amerika. 

    Der Vorwurf von "heideggerianisierendem Jargon" ist billig und reiht sich klischeehaft in die Tradition der Schelte seitens der Frankfurter Schule ein, die nunmehr mit ihrem "Kritischen Denken" mehrere Nachkriegsgenerationen in Deutschland für anderes Denken verdorben hat. Es wird so weit kommen, daß der in seinem die Metaphysik verwindenden Ansatz inzwischen völlig vergessene Heidegger aus den USA nach Deutschland als Neuentdeckung reimportiert werden muß. Da ich - aus dem Angelsächsischen herkommend - nicht so belastet bin, kann ich über den Ausverkauf der Stärken des deutschen Denkens und die Botmäßigkeit gegenüber dem Amerikanischen als dem Besseren  nur den Kopf schütteln. Aus der Angst, mit rechtskonservativen Heideggerianern in Verbindung gebracht zu werden, hat man das Heideggersche Denken im Ganzen und in seiner eigentlichen Tiefe als "no-go zone" deklariert und damit eine massive Selbstverleugnung, ja Selbstverstümmelung des Deutschen praktiziert. Der harmlosere Gadamer - oder gar ein Habermas - muß als Platzhalter für das deutsche Denken im 20. Jahrhundert herhalten. 

    Ihr Vorwurf, meine Darstellung gebe "althergebrachte Geschlechterstereotypen" wieder, könnte nur zutreffen, wenn sie Zuschreibungen zu den Geschlechtern vornähme. Es ist Ihnen wohl entgangen, daß die Darstellung mit großer Sorgfalt etwa zwischen "Männern" und "männlich Seienden" (kein Heidegger-Terminus übrigens) unterscheidet, so daß keine Festlegung auf Stereotypen vorliegen kann. Wie wiederholt in aller Deutlichkeit dargelegt, handelt die Abhandlung von Seinsweisen und nicht von den Seienden, Männern und Frauen. 

    Freilich denkt meine Abhandlung "Althergebrachtes" hinsichtlich der Phänomenalität der Geschlechter, aber sie denkt es von seinem (ontologischen) Ursprung (der Ständigkeit) her, der nichts Geschlechtliches ist. Genauso wie die ontologische Differenz bis heute nicht verstanden und zu einem aufschließenden (hermeneutischen) Schlüssel geworden ist, muß auch meine Abhandlung besonnenerer und wendigerer Geister harren. Ihr kulturwissenschaftlicher Ansatz hingegen ist nicht in der Lage, sich vom Ontischen der geschlechtlichen Gegebenheiten zu befreien, - selbst wenn man/frau die empirische Materie sowie die Diskurse über diese 'zu Tode' erforscht. Was Sie als "Zementierung" in meinem Versuch brandmarken, ist in Wahrheit der einzige Weg, um aus der Sackgasse der feministischen Diskurse herauszukommen. 

    Wie anhand Ihrer Rezension offensichtlich, ist Ihnen die ontologische Differenz ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Erst diese jedoch rechtfertigt meine "Inanspruchnahme besonderer Tiefe", wie Sie schreiben. Ihre Vorgehensweise, einfach klingende Sätze zu zitieren, um sie dann als Trivialitäten und Banalitäten hinzustellen - eine Methode übrigens die auf jeden beliebigen Text der philosophischen Tradition angewendet werden kann -, zeigt, daß Ihnen verborgen geblieben ist, aus welcher Dimension heraus hier gedacht wird. Die Aufgabe des Denkens ist es jedoch, genau das, was uns zunächst verborgen ist, aufzudecken. 

    Danke für Ihre Zeit. 

    Mit freundlichen Grüßen 
    Michael Eldred 


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