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Diverse Writings 29

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Geist Zeit - Hegel & Heidegger:

Zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes(1)

Michael Eldred

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artefact text and translation
Cologne,
Germany

Last modified 04-Nov-2019
Version 1.0 September 2017
First put on site 28-Sep-2017
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Inhaltsverzeichnis

Als e-Broschüre

0. Abstract

1. Die Wegkreuzung

2. Leben des absoluten Geistes oder endliches Dasein?

 3. Das Spiel der Kräfte und das Reich der Gesetze 

  4. Hinter dem Vorhang zur übersinnlichen Welt: Die ursprüngliche Zeit als hermeneutische Entwurfslichtung

5. Die Freiheit des Selbstbewußtseins und das Wersein

6. Das Spiegelspiel der wechselseitigen Wertschätzung der Werseienden

7. Der hermeneutische Entwurf eines Zeitalters durch die Denkenden 

 
 

0. Abstract

Der Aufsatz unternimmt, Heideggers Vorlesung im WS 1930/31 zu Hegels Phänomenologie des Geistes, in der Heidegger eine Auslegung der Anfangskapitel zum Bewußtsein und Selbstbewußtsein darlegt, kompakt nachzuzeichnen. Mit dem Ziel, Heideggers Gegenthese zu Hegels These: das Sein ist das Wesen der Zeit um ein paar Schritte sichtbarer zu machen. Bei dem Thema Selbstbewußtsein wird zudem versucht, die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Selbstbewußtsein als einem letztendlich Wasseienden gegenüber der Heideggerschen Alternative einer Phänomenologie des Werseins herauszuarbeiten. Dabei wird auch ein Schritt über Heidegger hinaus genommen: der Hegelsche Kampf um Anerkennung verwandelt sich in ein Spiegelspiel der gegenseitigen Wertschätzung unter Werseienden. 

English: This paper undertakes to compactly trace Heidegger's lectures in WS 1930/31 on Hegel's Phenomenology of Mind, in which Heidegger presents an interpretation of the initial chapters on consciousness and self-consciousness. The aim is to spell out Heidegger's counter-thesis to Hegel's thesis, being is the essence of time, a little to make it more visible. With regard to self-consciousness, an attempt is also made to work out the essential differences between self-consciousness as ultimately a what vis-à-vis the Heideggerian alternative of a phenomenology of whoness. In doing so, a step is taken beyond Heidegger: the Hegelian struggle for recognition transforms into a mirror-game of reciprocal estimation among whos.  

1. Die Wegkreuzung

In seiner Vorlesung im Wintersemester 1930/31 schickt Heidegger sich an, die entscheidenden anfänglichen Abschnitte von Hegels Phänomenologie des Geistes seinen Zuhörern vorzuführen und auszulegen, damit sie lernen können, was Hegel als das absolute Denken in dieser seiner ersten wichtigen Veröffentlichung von 1807 vor Augen führt.(2)  Heidegger will aber nicht lediglich die Abschnitte von der sinnlichen Gewißheit unter A. Bewußtsein bis hin zum Übergang zum Selbstbewußtsein in Abschnitt B mit einem Ausblick auf den absoluten Geist bzw. die Vernunft in Abschnitt C darlegen, sondern tut dies vor der Folie seines eigenen alternativen Denkens, das zum ersten Mal 1927 mit Sein und Zeit veröffentlicht wurde: 
Die Richtung unseres Weges, der den Hegelischen kreuzen soll, ist angezeigt durch Sein und Zeit, das heißt negativ: Zeit – nicht lo/goj; [...] daß man [...] sich noch nicht einmal klar gemacht und zur Frage gemacht hat, warum denn das o)/n auf den lo/goj bezogen wird und mit welchem Recht. Ist denn das selbstverständlich? [...] Im Hinblick auf den Titel Sein und Zeit könnte man nun von Ontochronie sprechen. Hier steht xro/noj an der Stelle von lo/goj. Aber wurden beide nur ausgewechselt? Nein! Es gilt vielmehr, alles von Grund auf und unter Übernahme der wesentlichen Motive der Frage nach dem Sein neu zu entfalten. Es gilt zu zeigen – um von Hegel aus zu formulieren –, daß nicht der Begriff "die Macht der Zeit" (Enz. §258) ist, sondern die Zeit die Macht des Begriffs; wobei freilich Hegel unter 'Zeit' etwas anderes versteht als wir, im Prinzip nichts anderes als den traditionellen Begriff der Zeit, wie ihn Aristoteles entwickelt. (GA32:143f)(3)
Heideggers Auslegung der Phänomenologie des Geistes ist also im Hintergrund der Auseinandersetzung mit Hegel im Hinblick auf den Sinn vom Sein selbst getragen, wobei lo/goj nicht die formale Logik des positivistisch-analytischen Denkens, sondern den spekulativen lo/goj, d.h. die Vernunft, bedeutet, der bzw. die das absolute Wissen dialektisch durch eine Bewegung des Denkens in Begriffen entfaltet. 'Absolut' heißt hier in erster Linie und vor allem 'nicht relativ', d.h. nicht mehr auf einen Gegenstand dem Bewußtsein gegenüber bezogen und deshalb von einem solchen Gegenstand in seinem letztlich unwissbaren Ansichsein abhängig.(4)  Es ist diese Bedeutung von 'absolut', die man klar vor Augen haben muß, um das berühmte Hegelsche Werk nachvollziehen und damit verstehen zu können. 

Gerade die ersten Abschnitte der Phänomenologie des Geistes zeigen die Erfahrungen des Bewußtseins auf, wie es den Weg von der sinnlichen Gewißheit über die Wahrnehmung, den Verstand und das Selbstbewußtsein bis hin zum Geist begrifflich-dialektisch durchmacht. Ein Weg, auf dem es von aller Relativität gegenüber einem Gegenstand absolviert, 'freigesprochen' wird und nun absoluter Geist geworden aus sich selbst die Welt ontologisch entfaltet. 'Wir', die wir als spekulativ Denkende bereits von Anfang an den Standpunkt des absoluten Wissens angenommen haben, betrachten phänomenologisch die Erfahrungen des Bewußtseins, wie es sich mit dem Gegenstand herumschlägt, um ihn in Wahrheit zu wissen. Wenn das Bewußtsein den Geist bzw. die Vernunft erreicht, hat es selbst den absoluten Standpunkt erreicht, wo es keinem Gegenstand mehr gegenüber steht. Das Ansichsein des Gegenstands hat sich im An-und-für-sich-Sein des Geists selbst aufgelöst. 

Heideggers Vorlesung zeichnet diesen Weg des Bewußtseins in der Phänomenologie im Einzelnen nach, wobei er die oft schwierige Sprache und Begrifflichkeit Hegels in eine phänomenologisch erläuternde übersetzt. Heideggers Alternativprogramm von Zeit statt lo/goj wird an der Wegkreuzung zwar angezeigt, aber bleibt in der Vorlesung selbst unausgeführt. Erst am Ende des Semesters deutet Heidegger erneut sein Alternativprogramm jedoch bloß negativ an, indem er aufzeigt, wie Hegel die Zeit als "eine Erscheinung des Seins in der Sphäre des Geistlosen" (GA32:210), d.h. in der Natur, auffaßt. Denn Hegel denkt die Zeit von der zeitlosen Unendlichkeit des absoluten Geists in seiner sichselbstbewegenden Lebendigkeit her, der lediglich "wenn es sein muß, in die Zeit fallen kann" (GA32:210). So ergibt sich "das einfache Wesen der Zeit, das in dieser Sichselbstgleichheit die gediegene Gestalt des Raums hat" (W3:140).(5)  Heidegger kommentiert: "Die Zeit ist eine Erscheinung des einfachen Wesens des Seins qua Unendlichkeit. Und die Zeit ist nur solchen Wesens wie das Sein, sofern sie 'die gediegene Gestalt des Raumes hat'." (GA32:209) Und Heidegger schärft ein: "Zeit und Raum sind für Hegel von Anfang an – und bleiben es in seiner ganzen Philosophie – primär Probleme der Naturphilosophie; das entspricht ganz der Tradition." (GA32:208) So entfaltet Hegel ähnlich wie in Timaios die Zeit von der "reine[n] achsendrehende[n] Bewegung"(W3:140) der Unendlichkeit her als die ewige Kreisbewegung der himmlischen Körper ausgebreitet im Raum des Sonnensystems, denn diese Kreisbewegung ist nach Platon ein Abbild von der Unendlichkeit, t% tele/% kai\ noht%= z%/% ("dem vollkommenen und von der Vernunft erkennbaren Lebewesen"; Tim. 39d), das Hegel wiederum "die Seele der Welt" (W3:132) nennt. 

Hegels Hinweis auf "das einfache Wesen der Zeit" (W3:140) geschieht im Zusammenhang mit der "Bestimmung des Lebens" (ebd.), dessen "Wesen ist die Unendlichkeit" (ebd.), aber die Zeit ist eine entfremdete Entäußerung des unendlichen Lebens, welches das Selbstbewußtsein begehrt, in der geistlosen Natur. Das begehrende Selbstbewußtsein wiederum als die vermittelnde Mitte zwischen dem Bewußtsein und der Vernunft ist noch dialektisch unterwegs zur Unendlichkeit des Geists. Deshalb kann Heidegger sagen, Hegels "Erwähnung der Zeit ist nichts Geringeres als die Verabschiedung der Zeit als des Weges zum Geist, der das Ewige ist." (GA32:212) So ist die Zeit für Hegel nur eine äußerliche Wegmarke auf dem Weg zum Wesen des Seins als Leben, "die in sich ruhende Unruhe, die Selbständigkeit des Fürsichseins" (ebd.). 

Die Wegkreuzung des spekulativen absoluten Geists mit der ursprünglichen Zeit in Heideggers Vorlesung im WS 1930/31 erweist sich also als sehr punktuell. Er kann offensichtlich im Rahmen der zweistündigen Vorlesung nur Hinweise auf seine alternative Gegenthese "Das Wesen des Seins ist die Zeit" (GA32:209) geben,(6) die "das gerade Gegenteil [ist] von dem, was Hegel in seiner ganzen Philosophie zu erweisen suchte. [...] Das Sein ist das Wesen der Zeit, das Sein nämlich qua Unendlichkeit." (ebd.) Unten in Abschnitt 5. werde ich auf eine weitere Wegkreuzung der Hegelschen und der Heideggerschen Denkwege eingehen, die Heidegger allerdings in seiner Vorlesung nicht einmal erwähnt. 

2. Leben des absoluten Geistes oder endliches Dasein? 

Nun könnte man sagen, daß wir bereits die Ausführung von Heideggers Gegenthese zu Hegel mit Sein und Zeit vorliegen haben. Das stimmt. Aber Sein und Zeit kann höchstens als ein Parallelweg zum spekulativ-dialektischen Denkweg in der Phänomenologie des Geistes ohne Berührung mit ihm angesehen werden. Gibt es eine Stelle auf dem dialektischen Denkweg Hegels, wo die Gegenthese von der Zeit als dem Wesen des Seins diesen Weg zumindest in dem Sinn kreuzt, daß wir die Richtung sehen könnten, in die der alternative Denkweg führt? Und wo wir eventuell sogar ein paar Schritte in diese alternative Richtung gehen könnten? Hier sind wir herausgefordert, einen phänomenologischen Weg anzudeuten, der gerade nicht zum absoluten Geist mit seinem absoluten Seinsbegriff "als sich in sich haltende Selbständigkeit" (GA32:207) führt, sondern zum endlichen Dasein. Die "Selbständigkeit" ist nichts anderes als "Leben – das meint das sich aus sich erzeugende und in seiner Bewegung sich in sich haltende Sein." (ebd.) Diese Charakterisierung des Lebens als Seinsweise entspricht der Aristotelischen Bestimmung der yuxh/ in De Anima als das Wesen des Lebens, denn die yuxh/ beseelt und belebt einen Körper, so daß er "das Prinzip der Bewegung und Ruhe in sich hat" (e)/xontoj a)rxhn\ kinh/sewj kai\ sta/sewj e)n e(aut% De Anima 412b17). Nun aber ist es bei Hegel die "Seele der Welt", die – ähnlich wie bei Platon in Timaios – das Ganze durchdringt und beseelt. 

Bereits hier könnten wir fragen, was diese Hegelsche Bestimmung des Seins als Leben mit der Heideggerschen Bestimmung des Menschenwesens als endlich existierendes Dasein zu tun haben könnte, denn Existenz bei Heidegger ist lediglich ein alternativer Name für das menschliche Leben. In seinen frühen Vorlesungen spricht Heidegger auch nicht vom Dasein, sondern vom Leben. Aber mit dieser Feststellung wären wir schlicht auf einem anderen Denkweg. Deshalb gehe ich weiter zurück zu der Stelle, wo das Bewußtsein die sinnliche Welt der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung verläßt und als Verstand die übersinnliche Welt zum ersten Mal betritt, nachdem es die Erfahrung gemacht hat, daß es die Wahrheit in den sinnlichen Dingen selbst gar nicht finden kann. 

Mit diesem Fort-Schritt zum Verstand gerät auch der Gegenstand sowohl der sinnlichen Gewißheit als auch der Wahrnehmung in Bewegung, denn jenseits des wahrgenommen Dings mit seinen vielen Eigenschaften erblickt der Verstand nun die über- oder eigentlich schlicht unsinnliche Kraft, die die Bewegungen der Gegenstände, d.h. der physischen Körper, gesetzmäßig erklären, und zwar kausal erklären kann. Insofern befreit sich das Bewußtsein als Verstand von der Abhängigkeit vom sinnlichen Gegenstand auf seinem Weg der Absolvenz, d.h. der Loslösung, von der Relativität seines Wissens. 

3. Das Spiel der Kräfte und das Reich der Gesetze 

Die Kraft ist unsinnlich, was traditionell seit Platon als transzendent-übersinnlich bezeichnet wird. Da sie nicht vom sinnlichen Gegenstand abhängig ist, ist sie zudem ein "Unbedingt-Allgemeines" (W3:109), das begriffen werden muß, und insofern eine Vorform des absoluten Begriffs, welcher der absolute Geist selber ist. Das Bewußtsein aber muß erst seine Erfahrungen mit den Phänomenen auf dem Weg zu ihm machen. Hegel setzt die Kraft als ein "Unbedingt-Allgemeines", das wiederum "als Ungegenständliches oder als Inneres der Dinge" (W3:111) gedacht wird, wobei diese Begriffe im Grunde nur ihre unsinnliche – und nicht eine übersinnliche – Natur bezeichnen. Was nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, kann nicht mehr als Gegenstand begriffen werden und muß zudem in einem sinnlich unsichtbaren Inneren verortet werden. Damit bestätigt Hegel nur die Vorurteile des metaphysischen Denkens von alters her. 

Zunächst aber geht es um die Kraft und die Bewegung, einen Phänomenbereich und eine Problematik, die auf die Anfänge der griechischen Philosophie und insbesondere auf die Aristotelische Ontologie der Bewegung zurückgeht. Denn die Kraft heißt griechisch du/namij, und zwar als a)rxh/ metabolh=j , d.h. als ein Ausgang, der über einen Umschlag herrscht bzw. verfügt. Die du/namij äußert sich als Bewegung, d.h. als die ki/nhsij, selbst, und sonst ist sie "zurückgedrängte oder die eigentliche Kraft" (W3:110) als Potential. Damit paraphrasiert Hegel lediglich Aristoteles. Auch Hegels Unterscheidung zwischen "sollizitierenden" und "sollizitierten" Kräften ist deckungsgleich mit der Aristotelischen Unterscheidung zwischen aktiver und passiver du/namij bzw. zwischen Wirkkraft und der Kraft der Materie, eine 'machende' Wirkkraft (du/namij poihtikh/) zu erleiden (pa/sxein). 

Hegel hat aber auch die moderne, wissenschaftlich mathematisierte Aristotelische Ontologie der Bewegung im Auge, die mit den Namen Galileis und Newtons verknüpft ist. So ist das "Spiel der Kräfte" (W3:116) auch konform mit dem dritten Bewegungsgesetz Newtons, d.h. dem Wechselwirkungsprinzip von actio gleich reactio oder im Original: "Actioni contrariam semper et aequalem esse reactionem: sive corporum duorum actiones in se mutuo semper esse aequales et in partes contrarias dirigi." D.h. jede Kraft sollizitiert – erregt – eine gleiche große, aber entgegen gerichtete Kraft. Dieses Spiel der Kräfte wurde zunächst im 16. und 17. Jahrhundert an den Himmelsbewegungen entworfen. Wenn Hegel sein Augenmerk auf die Kraft der "Schwere" (W3:123) mit seinem "Gesetz" (ebd.) richtet, wird deutlich, daß er nichts anderes betrachtet als ein Newtonsches Bewegungsgesetz, wonach "die Größen der unterschiedenen Momente der Bewegung, der verflossenen Zeit und des durchlaufenen Raumes, sich wie Wurzel und Quadrat zueinander verhalten." (ebd.) Die Schwerkraft wird dabei als eine konstante Größe g mathematisiert. Damit ist auch deutlich, daß Hegel insbesondere die Zeit als eine physische, d.h. naturhafte Größe versteht, die zudem auf eine einfache mathematische Größe t in den entsprechenden Bewegungsgesetzen reduziert werden kann. Damit, wie Heidegger schon oben behauptet hat, versteht Hegel unter Zeit "nichts anderes als den traditionellen Begriff der Zeit, wie ihn Aristoteles entwickelt" (GA32:144), nämlich als a)riqmo\j kinh/sewj, als gezählte Zahl der Bewegung. 

Daß der Verstand die Bewegung als ein Spiel der Kräfte erklärt, das durch ein Gesetz geregelt ist, entspricht dem Kantschen Begriff des Verstands als "das Vermögen der Regeln" (GA32:169), das die mannigfaltigen Vorstellungen regelt und so unter eine Einheit für den Verstand bringt. "Ich denke Einheit, oder, wie Kant sagt: Ich denke Substanz, Kausalität, Wechselwirkung usw. Ich denke Kategorien, besser: kategorial." (ebd.) Hegel hat mit dem Verstand die Regeln der Bewegungen physischer Körper im Blick, wenn er das "Spiel der Kräfte" entfaltet. Die Kraft im Inneren der Dinge entzweit sich in Kräfte, die miteinander spielen. Die Dinge aber sind unlebendige Was, und das Spiel der Kräfte ist ein durch das Gesetz geregeltes Spiel der Was-Kräfte und somit unfrei. In der Tat kommt in der Phänomenologie das Phänomen der Freiheit erst mit dem Selbstbewußtsein und dem Begriff in den wissenden Blick. Wie wir weiter unten in Abschnitt 5. sehen werden, erfordert die dialektische Bewegung der Erfahrung vom Bewußtsein zum Selbstbewußtsein und endlich zum Geist den Übergang von Was zu Wer, wobei der Begriff des Wer bzw. Werseins – wohl aber unausweichlich 'an sich' das Phänomen desselben – bei Hegel gar nicht vorkommt. Das Wersein ist erst ausdrücklich als Begriff in Sein und Zeit entfaltet, und zwar in der Abgrenzung gegenüber dem traditionell metaphysischen Begriff des Wasseins bzw. Wesens, das bis heute das philosophische Denken beherrscht – trotz aller Gesten der Abwehr gegen den 'Essentialismus', die hauptsächlich vom nichtphilosophischen positivistischen Denken ausgehen.–. Ich werde also auf ein freies Spiel der (Lebens-)Kräfte erst mit dem Selbstbewußtsein in seiner Werheit zurückkommen. 

4. Hinter dem Vorhang zur übersinnlichen Welt: Die ursprüngliche Zeit als hermeneutische Entwurfslichtung

Eine wesentliche Charakteristik des Verstandes ist, daß seine Erklärungen der Bewegungen durch die Kraft und das gesetzmäßige Spiel der Kräfte letztendlich tautologisch sind. Hegel sagt dieses Tautologische so: 
Es wird also [beim Erklären einer physischen Bewegung wie z.B. die Entladung eines Blitzes; ME] ein Gesetz ausgesprochen, von diesem wird sein an sich Allgemeines, oder der Grund, als die Kraft unterschieden; aber von diesem Unterschiede wird gesagt, daß er keiner, sondern vielmehr der Grund ganz so beschaffen sei wie das Gesetz. [...] d.h. die Kraft ist gerade so beschaffen wie das Gesetz; es wird gesagt, daß beide gar nicht unterschieden seien. Die Unterschiede sind die reine allgemeine Äußerung oder das Gesetz und die reine Kraft; beide haben aber denselben Inhalt, dieselbe Beschaffenheit; der Unterschied als Unterschied des Inhalts, d.h. der Sache, wird also auch wieder zurückgenommen. (W3:125) 
Die Kraft der Elektrizität z.B. bildet den Grund des Gesetzes, daß, "wenn sie sich äußert, entgegengesetzte Elektrizitäten hervortreten" (ebd.), d.h. es gibt eine Bewegung (einen Blitz) von der negativen potentiellen elektrischen Kraft zur positiven potentiellen elektrischen Kraft. Die Kraft also erklärt das Gesetz, das wiederum die Kraft erklärt. Die Bewegung des Erklärens "ist ein Erklären, das nicht nur nichts erklärt, sondern so klar ist, daß es vielmehr nichts sagt, sondern nur dasselbe wiederholt." (W3:126) Die tautologische Bewegung des Erklärens, das einen Unterschied zwischen Kraft und Gesetz setzt, der keiner ist, ist eine Bewegung des Verstands bzw. seines Begriffs selbst und nicht mehr Bewegung der Erscheinung. 
Mit dem Erklären also ist der Wandel und Wechsel, der vorhin außer dem Innern nur an der Erscheinung war, in das Übersinnliche selbst eingedrungen; unser Bewußtsein ist aber aus dem Innern als Gegenstande auf die andere Seite in den Verstand herübergegangen und hat in ihm den Wechsel. (W3:126) 
Die Bewegung wird zu einer des Begriffs, der 
als Begriff des Verstandes dasselbe ist, was das Innere der Dinge, so wird dieser Wechsel als Gesetz des Innern für ihn. Er erfährt also, daß es Gesetz der Erscheinung selbst ist,... (ebd.) 
Als Begriff des Verstands hat das Bewußtsein endlich die äußere Welt der ständig bewegenden Erscheinungen verlassen und ist ins Innere bzw. sinnlich Verborgene, abgewandert. Dabei soll bemerkt werden, daß die Unterscheidung zwischen Außen und Innen mit der zwischen dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen gleichbedeutend ist. Hegel hat somit das traditionelle metaphysische Denkklischee einer Entgegensetzung von einer sinnlichen Welt und einem übersinnlichen, transzendenten Jenseits sowie seine Aktualisierung in der modernen Subjektivitätsmetaphysik als eine Entgegensetzung von Außen und Innen ohne weiteres übernommen. Neutraler und weniger vorurteilshaft wäre diese Unterscheidung als eine zwischen sinnlich und nicht- bzw. unsinnlich – und so den Sinnen, aber nicht dem Geist verborgen – zu machen. Denn beide traditionellen Entgegensetzungen suggerieren ein Räumliches, das phänomenologisch nicht belegbar ist, wie wir weiter unten genauer sehen werden. 
 
Mit dem Übertritt des Begriffs des Verstandes ins Innere hat er seine absolute Bewegungsfreiheit in einer zweiten übersinnlichen, verkehrten Welt erlangt. 
Denn die erste übersinnliche Welt war nur die unmittelbare Erhebung der wahrgenommenen Welt in das allgemeine Element; sie hatte ihr notwendiges Gegenbild an dieser, welche noch für sich das Prinzip des Wechsels und der Veränderung behielt; (W3.128) 
Und deshalb 
... solche Gegensätze von Innerem und Äußerem, von Erscheinung und Übersinnlichem, als von zweierlei Wirklichkeiten, sind hier [in dieser verkehrten Welt] nicht mehr vorhanden. (W3.129) 
Das verstehende Bewußtsein ist in der verkehrten Welt bei sich selbst, hat dabei aber die erste übersinnliche Welt nicht verabschiedet, sondern hat "über [sie] übergegriffen und [hat] sie an sich selbst" (W3:131), so daß sie nicht schlicht negiert, sondern in der zweiten übersinnlichen Welt des absoluten Begriffs aufgehoben wird. So gibt es nicht mehr eine Entgegensetzung zwischen der äußeren Welt der Erscheinung und dem inneren Reich der Gesetze, sondern der absolute Begriff setzt seine eigenen Unterschiede. "Es ist der reine Wechsel oder die Entgegensetzung in sich selbst, der Widerspruch zu denken." (W3:130) Das dialektische sich bewegende Denken ist jetzt in seinem Element "als Unendlichkeit" (W3:131); 
es ist ein Sichselbstgleiches, welches aber der Unterschied an sich ist; oder es ist Gleichnamiges, welches sich von sich selbst abstößt oder sich entzweit. (ebd.)
so daß, was vorher ein äußerer Unterschied war, wie derjenige zwischen "Raum und Zeit" oder "Positives und Negatives" (ebd.) nun ein innerer, unsinnlicher Unterscheid des Begriffs selbst ist, d.h. "ein Unterschied des Gleichnamigen" (ebd.), das sich als das Ich herausstellt: 
Ich, das Gleichnamige, stoße mich von mir selbst ab; aber dies Unterschiedene, Ungleich-Gesetzte ist unmittelbar, indem es unterschieden ist, kein Unterschied für mich. (W3:135) 
Das Ich ist "Selbstbewußtsein" (W3:134) geworden, nachdem die "einfache Unendlichkeit oder der absolute Begriff" sich als "das einfache Wesen des Lebens, die Seele der Welt" gezeigt hat (W3:132). "Mit dem Selbstbewußtsein sind wir also nun in das einheimische Reich der Wahrheit eingetreten" (W3:138), auch wenn das Selbstbewußtsein selbst noch nicht beim absoluten Begriff angelangt ist. Die Seele (yuxh/) ist schon bei Aristoteles als das Prinzip des Lebens gedacht. In seiner Selbstbewegtheit bleibt das Leben "sichselbstgleich" (ebd.). Das beseelte Leben bewegt sich kraft der yuxh/ durch sich selbst (di"au(tou= De Anima 415b13). Nun ist die "Unendlichkeit oder diese absolute Unruhe des reinen Sich–selbst–bewegens," als absoluter Begriff zur "Seele der Welt" geworden. Und: 
Das Erklären des Verstandes macht zunächst nur die Beschreibung dessen, was das Selbstbewußtsein ist. [...] In dem Erklären ist eben darum so viele Selbstbefriedigung, weil das Bewußtsein dabei, [um] es so auszudrücken, in unmittelbarem Selbstgespräche mit sich, nur sich selbst genießt, dabei zwar etwas anderes zu treiben scheint, aber in der Tat sich nur mit sich selbst herumtreibt. (W3:133, 134) 
Deshalb kann Hegel sagen, daß mit dem Wegziehen des Vorhangs vor der übersinnlichen Welt das Selbstbewußtsein nur sich selbst wie in einem Spiegel sieht: 
Dieser Vorhang ist also vor dem Innern weggezogen und das Schauen des Innern in das Innere vorhanden; das Schauen des ununterschiedenen Gleichnamigen, welches sich selbst abstößt, als unterschiedenes Inneres setzt, aber für welches ebenso unmittelbar die Ununterschiedenheit beider ist, das Selbstbewußtsein. Es zeigt sich, daß hinter dem sogenannten Vorhange, welcher das Innere verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahintergehen,... (W3:135) 
"Wir" – das sind wir absolut Wissenden, die wir uns in der unendlichen, absoluten Unruhe des dialektischen Begriffs bewegen, wohin das Bewußtsein selbst hingegen noch unterwegs ist. Aber wo befinden wir uns in dieser übersinnlichen Welt hinter dem Vorhang? 
 
Wie bereits oben gegen Hegel bemerkt, befinden wir uns nirgendwo, eben weil diese übersinnliche Welt gar kein Wo im Raum hat, und zwar deshalb nicht, weil es immer schon ein Irrweg des metaphysischen Denkens war, sich vorzustellen, daß das Verlassen der sinnlichen Welt in irgendeinem Sinn räumlich stattfindet oder stattfinden könnte. Die sinnliche Welt der Wahrnehmung ist nämlich diejenige, die sich den Sinnen in der Gegenwart räumlich präsentiert, gerade weil die Sinne auf die leibhafte Anwesenheit des Wahrzunehmenden im Raum angewiesen sind. Aber die leibhaft-sinnliche Anwesenheit erschöpft die Möglichkeiten der Anwesung für das Selbstbewußtsein keineswegs. Es kann sich Vorhandenes, besser: Vorkommendes, auch unsinnlich vergegenwärtigen, und zwar entweder von der Gegenwart selbst oder von einem der beiden Modi der Abwesenheit her: der Gewesenheit und der Zukunft, denn die Abwesenheit ist selbst eine temporale Weise der Anwesung für das Selbstbewußtsein, das diese temporal dreidimensionale Offenheit bewohnt und erfüllt. Innerhalb ihrer kann sich Seiendes ebenfalls dreidimensional temporal dem Selbstbewußtsein präsentieren, d.h. an- und abwesen, und zwar als etwas. Dieses Als ist das hermeneutische Als, das das Sein des Seienden so oder so entwirft. 
 
Der unendlich unruhige Begriff ist nämlich – pace Hegel – nicht darauf festgelegt, das Seiende als solches endgültig und unwandelbar zu entwerfen, und was er hinter dem vermeintlichen Vorhang findet, ist sein eigener Entwurf, der keineswegs willkürlich gesetzt sein kann, sondern dialektisch – seine eigenen Widersprüche beim Betrachten der Phänomene selbst aufhebend – entfaltet werden muß. Bei Hegel geschieht diese Entfaltung in seinem gesamten System nur als eine geschichtliche Möglichkeit. Das hermeneutische Als aber ist geschichtlich-zeitlich und damit vielfältig. 
 
Damit entpuppt sich die übersinnliche Welt – ob die erste oder die zweite ist jetzt gleichgültig – als die zunächst leere Offenheit der ursprünglichen dreidimensionalen Zeit selbst, die Heidegger vorbringt als eine Alternative zu Hegels Seinsentwurf durch den absoluten Begriff, "daß nicht der Begriff 'die Macht der Zeit' (Enz. §258) ist, sondern die Zeit die Macht des Begriffs" (GA32:144). Das heißt aber, daß der Begriff nicht mehr absolut sein kann, sondern sich gegenüber der offenen Zeitlichtung, welche die 'absoluten' Grenzen der Erfahrung des endlichen Daseins ausmacht, eben hermeneutisch relativieren muß. Er ist darauf angewiesen, als was und als wer sich die Vorkommenden in der Zeitlichtung eines geschichtlichen Zeitalters präsentieren. Diese geschichtliche Zeitlichtung ist phänomenal, d.h. sie zeigt sich als solche, und zwar dem durch seine geschichtlich-zeitlichen Grenzen verendlichten Dasein. Der angeblich absolute Geist ist deshalb eigentlich endlicher Zeit-Geist, Geist eines endlichen, geschichtlichen Zeitalters. 
 
In seiner Vorlesung im WS 1930/31 hat Heidegger jedoch diese seine Alternative eher angedeutet als ausgeführt. Mit diesen Ausführungen habe ich nachgeholfen, um die Heideggersche Alternative gegenüber Hegels absolutem, dialektisch-spekulativem Weltentwurf ein wenig sichtbarer zu machen. 

5. Die Freiheit des Selbstbewußtseins und das Wersein 

Heidegger hat seine Vorlesung am Anfang seiner Auslegung des Abschnitts B Selbstbewußtsein abgebrochen (vgl. GA32:212ff), so daß wir seine Auslegung des Selbstbewußtseins in der Phänomenologie des Geistes nicht haben. Insbesondere können wir nicht prüfen, ob er das Wersein des Daseins in seine Auslegung einbezogen hätte — vermutlich nicht, weil er schon – wie bereits gesagt – in der vorgetragenen Vorlesung seinen alternativen hermeneutischen Entwurf von der ursprünglichen Zeit her mehr angedeutet als vorgeführt hat. 
 

Das Selbstbewußtsein als Übergangsstation des dialektischen Denkwegs aber stellt die vermittelnde Mitte zwischen dem Bewußtsein und dem absoluten Geist dar. Wie die Überschriften zu diesem Abschnitt klarmachen, macht es die Erfahrungen von Selbständigkeit und Unselbständigkeit, Freiheit und Unfreiheit durch. Bevor wir uns diese Erfahrungen anschauen, sollten wir zur Kenntnis nehmen, was Heidegger in seiner Vorlesung zum Übergang vom Bewußtsein zum Selbstbewußtsein sagt, wozu er bemerkt, daß damit das Bewußtsein auf dem Weg ist zu uns als den absolut Wissenden: 
Je mehr das Bewußtsein und das Wissen aus seiner Entfremdung in sich, in das absolute Wissen zurückgeht, um so eigentlicher wird es das, was wir selbst von Anfang an sind, d.h. das absolvent zu sich selbst gekommene absolute Wissen tritt an unsere Stelle, es füllt unsere Stelle nun eigentlich aus, und es gibt dann nichts anderes mehr, das wir von uns aus vertreten könnten und sollten. Wir selbst, die 'Wir', sind zu unserer wahren Selbstheit gebracht. Unsere Rolle vom Anfang der Phänomenologie des Geistes ist ausgespielt,... (GA32:188) 
Als Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein noch unterwegs, Geist zu werden, und damit den Unterschied zwischen sich und dem "Begriff des Geistes", der zunächst nur "für uns vorhanden" (W3:145) ist, aufzuheben. 
[...] da, wo das Selbstbewußtsein sich als Geist begreift [... ,].bewegt sich gleichsam das Werk in der eigenen, ständig aus sich selbst schöpfenden Klarheit und verliert von da an alle zentralen philosophischen Schwierigkeiten, sofern das Wissen jetzt in sich, in seinem absoluten Wesen geklärt, nur noch bei sich selbst ist. (GA32:188f) 
Das ist die Aufgabe, welche die Dialektik des Selbstbewußtseins vor sich hat – stets mit dem Bezug auf das absolute Wissen. "Hegel will gar nicht beweisen, daß unser Bewußtsein zugleich auch Selbstbewußtsein ist," (GA32:192) wie man in Anlehnung an das Cartesische 'cogito me cogitare' oder das Kantsche 'ich denke' der apperceptio meinen könnte. Ein solches Selbstbewußtsein ist genauso relativ, d.h. bezogen auf und abhängig von einer äußeren Welt, wie das Bewußtsein selbst. Sogar Heideggers Schüler Gadamer behauptet in seinem Aufsatz 'Die verkehrte Welt', daß die Vermittlung, "die sich Hegel in der Dialektik des Bewußtseins als Aufgabe gestellt hat, im wesentlichen gelöst [wird dadurch, daß] bewiesen [wird], daß das Bewußtsein Selbstbewußtsein ist" (Gadamer op. cit. S.128). Heidegger hingegen: 
Es handelt sich nicht um das Selbst-bewußt-sein als das reflexiv Wißbare, sondern um das Selbst-bewußt-sein als eine höhere Wirklichkeit gegenüber dem Sein der für das Bewußtsein vorhandenen Gegenstände. (GA32:196) 
Mit anderen Worten: es geht um das Selbstsein des Selbst. Der spekulative Satz, "Das Bewußtsein ist Selbstbewußtsein.", besagt, daß das Wesen des Bewußtseins Selbstbewußtsein ist, wobei wiederum "Wesen, entsprechend dem leitenden Seinsbegriff überhaupt, spekulativ vorbestimmt ist: onto-theo-ego-logisch." (GA32:193) Damit aber wird das Selbstsein vorbestimmt, als Wassein gedacht zu werden – und gerade nicht als Wersein –, genauso wie das Selbst in der neuzeitlichen Metaphysik von Descartes bis Kant überhaupt als Subjekt und Ich entworfen und gedacht wird. Dies stellt eine weitere Wegkreuzung (vgl. Abschnitt 1. oben) des absoluten Geists mit dem endlichen Dasein dar, die Heidegger nicht einmal erwähnt. Ob er sie im Sinn hatte? 
 

Obwohl mit dem Selbstbewußtsein "der Begriff des Geistes für uns vorhanden [ist]" (W3:145), steht ihm der Weg zum Geist noch bevor; es muß noch "begeistet" werden. Hegel nimmt einen Schritt über das Cartesische ego und das Kantsche Ich hinaus, wenn er schreibt, 
Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Erst hierdurch ist es in der Tat; denn erst hierin wird für es die Einheit seiner selbst in seinem Anderssein; Ich, das der Gegenstand seines Begriffs ist, ist in der Tat nicht Gegenstand; (W3:144f) 
Das andere Selbstbewußtsein ist kein Gegenstand, kein Was, und das Selbstbewußtsein kann erst zu sich selbst kommen und "in der Tat" sein, indem es mit einem anderen Selbstbewußtsein konfrontiert ist. "Hiermit ist schon der Begriff des Geistes für uns vorhanden" (ebd.), obwohl noch nicht für das Selbstbewußtsein selbst, das noch seine Erfahrungen mit der Selbständigkeit, der Unselbständigkeit und der Freiheit durchmachen muß, da erst 
der Geist [...] in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e], die Einheit derselben ist; Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist. (W3:145) 
Obwohl das Selbstbewußtsein schon plural geworden ist, hat es noch keine Einheit mit dem anderen Selbstbewußtsein erreicht, damit von einem wahrhaften Wir gesprochen werden könnte. Entsprechend bei Heideggers Ansatz in Sein und Zeit wäre dies die Frage nach dem Mitdasein der werseienden Daseine im Da. Zunächst aber ist es "einfaches Fürsichsein, sichselbstgleich durch das Ausschließen alles anderen aus sich; [...] Aber das Andere ist auch ein Selbstbewußtsein; es tritt ein Individuum einem Individuum gegenüber auf." (W3:147, 148) Die Erfahrung des Selbstbewußtseins fängt damit an, daß es erfährt, daß es erst "an und für sich [ist], indem und dadurch, daß es für ein Anderes an und für sich ist; d. h. es ist nur als ein Anerkanntes". (W3:145) Die Begierde des Selbstbewußtseins, die den Gegenstand nur vernichten kann, macht Platz nun für die Bewegung der Anerkennung durch ein anderes Selbstbewußtsein. Das Selbstbewußtsein kommt zu seinem Selbststand als Selbst nur, indem es von einem anderen Selbstbewußtsein anerkannt wird. Die Bewegung der Anerkennung ist ein Spiegelspiel: "Jedes sieht das Andere dasselbe tun, was es tut; jedes tut selbst, was es an das Andere fordert, und tut darum, was es tut, auch nur insofern, als das Andere dasselbe tut". (W3:146f) 

6. Das Spiegelspiel der wechselseitigen Wertschätzung der Werseienden(7)

Und – obwohl dies weder von Hegel noch von Heidegger ausgesprochen wird – die Bewegung der Anerkennung ist zudem ein Spiegelspiel wechselseitiger Wertschätzung, wobei Wertschätzung hier in ihrer vollen Bedeutungsbreite genommen wird, die von Hochschätzen (Verehren), Wertschätzen, Überschätzen über Einschätzen, Schätzen, Abschätzen bis hin zum Verschätzen, Unterschätzen und Geringschätzen reicht. Wertschätzung steht hier als der geeignete Begriff – eher als Anerkennung –, der die griechische timh/ übersetzt. Sie spielt eine wichtige Rolle im V. Buch über die Gerechtigkeit in der Nikomachischen Ethik, wo sie den Wert bzw. die Wertschätzung sowohl von Dingen (Wasseienden) als auch von Menschen (Werseienden) im Spiegelspiel des Austausches (sunallagh/) bezeichnet. Auch die filotimi/a als Ehrgeiz kommt bei Aristoteles sowie bei Platon in pejorativen Schattierungen häufig vor. 
 
Damit wird – auch wenn m.W. Hegel dies nicht zur Kenntnis nimmt – das Phänomen der timh/ unter dem Namen 'Anerkennung' als ein dialektisch fundierter Begriff in den ersten Teil von Hegels System der Wissenschaft (vgl. GA32:02) aufgenommen. Diese Aufnahme bildet den entscheidenden Impuls insbesondere für die deutsche dialogische Philosophie in verschiedenen Fassungen im Verlauf des 19. bis in das 20. Jahrhundert hinein.(8)  Die Bewegung der Anerkennung bzw. der Wertschätzung bildet bereits eine Alternative zu Theorien der sogenannten Intersubjektivität, die sich im 20. und 21. Jahrhundert 'selbstverständlich' breit gemacht haben, weil die Philosophie inzwischen dem Positivismus verfallen ist und nichts mehr von einem ontologischen Begriff weder der Subjektivität noch der Intersubjektivität weiß, der das Inter- der Intersubjektivität aufklären könnte. Der Mensch wird 'selbstverständlich' als Bewußtseinssubjekt genommen. In Hegels Phänomenologie des Geistes hingegen werden die Phänomene nicht selbstverständlich ungedacht und "begrifflos" aufgegriffen, sondern durch die spekulative Dialektik auf den Begriff gebracht, und der Terminus 'Intersubjektivität' kommt bei Hegel nirgends vor. 
 
Mit der Bewegung der Anerkennung bzw. dem Spiegelspiel der wechselseitigen Wertschätzung wird das Spiel der Kräfte unten den Wasseienden, dessen Gesetz der Verstand herauszufinden trachtet, aufgehoben. Dieser Umstand deutet schon an, daß das Wert-Schätz-Spiel auch als Spiel der Mächte bzw. Machtspiel zu begreifen ist, zumal 'Macht' sowie 'Kraft' beide Übersetzungen von Griechisch du/namij darstellen. Dies wird deutlich, wenn Hegel dazu kommt, den reinen Begriff des Anerkennens "nun zu betrachten, wie sein Prozeß für das Selbstbewußtsein erscheint. Er wird zuerst die Seite der Ungleichheit beider darstellen oder das Heraustreten der Mitte in die Extreme, [...]" (W3:147), womit Hegel den berühmten Kampf um Leben und Tod zwischen zwei Individuen einleitet. 
 
Dieser Kampf aber ist insofern der Begierde des Selbstbewußtseins vergleichbar, als er den Gegenstand bzw. den Anderen vernichtet. Mit dem Tod des Anderen ist es mit dem Spiegelspiel der Anerkennung vorbei, so daß das Selbstbewußtsein die vergewissernde Bestätigung seines eigenen Selbst-Standes wieder verliert. (Hegel betrachtet nicht die Möglichkeit, daß der Ruf des werseienden Selbstbewußtseins und damit sein Selbst-Stand durch seinen Sieg über den Anderen wiederum von dritten Anderen anerkannt und damit bestätigt wird. Es muß ja nicht angenommen werden, daß es lediglich zwei Selbstbewußtseine gibt.) 
 
Wenn das eine Selbstbewußtsein im Ausgang des Kampfes sich dem anderen Selbstbewußtsein unterwirft und so zum Knecht wird gegenüber einem Herrn, wird der Kampf als Machtkampf klar ersichtlich, "indem er die Macht darüber, dies [selbständige] Sein aber die Macht über den Anderen ist, so hat er in diesem [dialektischen] Schlusse diesen Anderen unter sich." (W3:151) 
In diesen beiden Momenten wird für den Herrn sein Anerkanntsein durch ein anderes Bewußtsein; denn dieses setzt sich in ihnen als Unwesentliches, einmal in der Bearbeitung des Dinges, das andere Mal in der Abhängigkeit von einem bestimmten Dasein; [...] Es ist also hierin dies Moment des Anerkennens vorhanden, daß das andere Bewußtsein sich als Fürsichsein aufhebt und hiermit selbst das tut, was das erste gegen es tut. [...] Aber zum eigentlichen Anerkennen fehlt das Moment, daß, was der Herr gegen den Anderen tut, er auch gegen sich selbst, und was der Knecht gegen sich, er auch gegen den Anderen tue. Es ist dadurch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen entstanden. (W3:151, 152) 
Indem Hegel "zuerst die Seite der Ungleichheit beider" darstellt, kommt die Dialektik des Machtkampfes lediglich zu einem einseitigen Anerkennen, in dem der Herr zwar anerkannt wird, aber die Wechselseitigkeit eines Spiegelspiels zwischen den Werseienden fehlt. Dem Herrn ist daher "ganz etwas anderes geworden als ein selbständiges Bewußtsein" (ebd.), denn im Knecht ist kein selbständiges Bewußtsein für ihn geworden, sondern "das unwesentliche Bewußtsein und das unwesentliche Tun desselben." (ebd.) 
 
Der nächste Schritt in der Dialektik ist – überraschenderweise – nicht hin zu einer neuen Gestalt des Spiegelspiels der Anerkennung, in der die Einseitigkeit des Herr-Knecht-Verhältnisses in eine beidseitige Gestalt des Spiegelspiels unter Gleichen aufgehoben wird, vielmehr schließt Hegel: "Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist demnach das knechtische Bewußtsein." (ebd.) Genauso wie es sich zeigte, daß die Wahrheit des Selbstbewußtseins des Herrn nicht die Selbständigkeit ist, sondern ihr verkehrtes Gegenteil, soll es sich ebenso zeigen, daß die Wahrheit des Selbstbewußtseins des Knechts nicht die Unselbständigkeit ist, sondern die Knechtschaft "wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtsein in sich gehen und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren". (ebd.) Das Adjektiv "zurückgedrängt" erinnert an die zurückgedrängte Kraft im Abschnitt über den Verstand (s.o.), welche die eigentliche Gestalt der du/namij gegenüber ihrer Äußerung darstellt. So liegt in der Knechtschaft eine unterdrückte Macht, die sich eigentlich in einem Kampf mit dem Herrn um eine wahre Gestalt der gegenseitigen Anerkennung äußern sollte, aber Hegels Dialektik führt nicht in diese Richtung. 
 
Vielmehr macht bei ihm der Knecht die Erfahrung der "absoluten Macht" und des "reinen Fürsichseins" im "Dienen" (W3:153), in dem er "seine Anhänglichkeit an natürliches Dasein auf[hebt] und [...] dasselbe hinweg[arbeitet]". (ebd.) Die Arbeit aber ist nur die Macht über den Arbeitsgegenstand, der durch die "Geschicklichkeit" (W3:155) des arbeitenden Knechts gebildet bzw. geformt, statt daß der Gegenstand wie in der Begierde vernichtet wird. 
Das in sich zurückgedrängte Bewußtsein [...] wird sich im Formieren als Form der gebildeten Dinge zum Gegenstande, und an dem Herrn schaut es das Fürsichsein zugleich als Bewußtsein an. Aber dem dienenden Bewußtsein als solchem fallen diese beiden Momente – seiner selbst als selbständigen Gegenstandes und dieses Gegenstandes als eines Bewußtseins und hiermit seines eigenen Wesens – auseinander. (W3:155) 
Das dienende Selbstbewußtsein muß noch die Erfahrung machen, daß diese beiden Momente nicht auseinanderfallen, "aber für uns oder an sich [ist] die Form und das Fürsichsein dasselbe". (ebd.) Wir sind dem erfahrenden Selbstbewußtsein schon einen Schritt voraus; es muß seine eigenen Erfahrungen machen. So wird "eine neue Gestalt des Selbstbewußtseins" (W3:156), die über die einzelne Geschicklichkeit des arbeitenden Knechts hinausgeht und so zur allgemeinen Formierung des Gegenstands im Denken wird. "Dem Denken bewegt sich der Gegenstand nicht in Vorstellungen oder Gestalten, sondern in Begriffen, d.h. in einem unterschiedenen Ansichsein, welches unmittelbar für das Bewußtsein kein unterschiedenes von ihm ist." (ebd.) Dies ist die Vorankündigung des Begriffs als absoluten Begriffs, der zum Geist geworden ist. 
Im Denken bin Ich frei, weil ich nicht in einem Anderen bin, sondern schlechthin bei mir selbst bleibe und der Gegenstand, der mir das Wesen ist, in ungetrennter Einheit mein Fürmichsein ist; und meine Bewegung in Begriffen ist eine Bewegung in mir selbst. (ebd.) 
Die Freiheit liegt demnach in der Bewegung des Begriffs, der in der aufhebenden Überwindung des Ansichseins des Gegenstands zum absoluten Begriff geworden ist, und das Wesen der Freiheit liegt im "Ich bin", d.h. im "bin" – und eben nicht im Wir sind. Das andere Selbstbewußtsein ist damit wieder aus dem Blick des erfahrenden Selbstbewußtseins verschwunden, der nun durch uns als Ich auf dem Weg zum absoluten Begriff gelenkt wird. Damit ist auch das Spiegelspiel der gegenseitigen Anerkennung verschwunden. Auf dem weiteren Weg — der einer dialektischen Skizze eher als einer streng ausgearbeiteten Dialektik der Begriffe gleicht — durch den Stoizismus, den Skeptizismus und das unglückliche Bewußtsein zum Geist und zur Vernunft taucht das Anerkennen nur noch im Zusammenhang mit dem Danken des sehnsüchtigen, fühlenden "musikalischen Denkens" (W3:168, 173) des Gemüts gegenüber dem "Unwandelbaren" des übersinnlichen Jenseits auf (vgl. W3:169, 173, 176). 
 
Das musikalische Denken selbst ist die erste von drei Erscheinungsweisen des unglücklichen Bewußtseins. Das unglückliche Bewußtsein überhaupt bleibt zwischen sich als einzelnem Selbstbewußtsein und dem jenseitigen Unwandelbaren entzweit, selbst wenn es zu einer "Gestaltung des Unwandelbaren" (W3:166), d.h. des übersinnlichen Jenseits, kommt, 
denn wenn es [das Jenseits] durch die Gestalt der einzelnen Wirklichkeit ihm einerseits zwar nähergebracht zu sein scheint, so ist es ihm andererseits nunmehr als ein undurchsichtiges sinnliches Eins mit der ganzen Sprödigkeit eines Wirklichen gegenüber; die Hoffnung, mit ihm eins zu werden, muß Hoffnung, d. h. ohne Erfüllung und Gegenwart bleiben; (W3:166f) 
Denn "bis jetzt ist uns nur die Unwandelbarkeit als Unwandelbarkeit des Bewußtseins [gen. subj.]" (W3:166) und noch nicht für das unglückliche Bewußtsein selbst. 
 
So ist die früher, am Ende des Abschnitts A. Bewußtsein, angekündigte "Einheit derselben [verschiedener für sich seiender Selbstbewußtseine] [...]; Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist" (W3:145) eine über die Vermittlung des Denkens im absoluten Begriff vermittelte Einheit, und der Weg bis dahin ist ein Weg des Denkens, der "eine Bewegung in mir selbst" (W3:156) ist. Eine Spielart der gegenseitigen Ankennung als Spiel unter gleichwertigen Selbstbewußtseinen kommt für Hegel nicht in Betracht. Ihre Vermittlung miteinander ist kein endliches Spiel, sondern erst durch das unendliche absolute Wissen ermöglicht. 

7. Der hermeneutische Entwurf eines Zeitalters durch die Denkenden 

Der absolute Begriff begreift, was hinter dem "Vorhang" zu sehen ist, nämlich, wie bereits oben im Abschnitt 4 gezeigt, den eigenen hermeneutischen Seinsentwurf des Selbstbewußtseins, der aber nicht absolut ist. Inzwischen hat sich dieses Selbstbewußtsein durch die Erfahrung des Wert-Schätz-Spiels eher als ein Werseiendes als ein Wasseiendes gezeigt, nach dessen Wassein oder Wesen gefragt werden könnte. Die Frage nach dem Wesen eines Werseienden ist eine nach dem Selbstsein eines Selbst, denn jeder Wer ist ein Werselbst, das erst in einem Spiegelspiel mit der Welt zu Stande kommt, wodurch es seine existenziellen Möglichkeiten durch Wertschätzung erfährt und sich diese Möglichkeiten als zugehörige Facetten bzw. Anblicke seiner Identität als Selbst aneignet. Solches existentielle Zu-Stande-kommen eines Selbst unterscheidet sich grundsätzlich von der Bestimmung des Wesens eines Was, da dieses kein Selbst hat, das durch ein Spiegelspiel mit der Welt (traditionell in der dritten Person) – und vor allem mit anderen Werseienden in der zweiten Person – zu Stande kommt. 
 
Das Wir der Selbstbewußtseine wird nicht erst über ein Miteinanderteilen des absoluten Wissens im Geist konstituiert, wie Hegel es entwickelt, sondern bereits im Wert-Schätz-Spiel, das in der Offenheit der Zeitlichtung stattfindet. Wir als Wir sind erst in der Teilung der Zeitlichtung miteinander. Die selbstbewußten Werseienden erreichen auch keine Selbständigkeit als Selbst im absoluten Wissen, sondern nur relative Selbst-Stände im Spiegelspiel miteinander in der Zeitlichtung. "Das Selbstbewußtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewußtsein." (W3:144) Diese Aussage steht auf dem Weg des Selbstbewußtseins zum absoluten Wissen und wird demnach dialektisch aufgehoben, als würde das Selbstbewußtsein einen absoluten Selbststand als Einzelheit im absoluten Wissen erreichen. 
 
Aber in der Tat taucht beim letzten Schritt des unglücklichen Selbstbewußtseins zur Vernunft die mysteriöse Figur des "Dieners" (W3:175) auf, der "mit seinem Rate" (ebd.) das unwesentliche Bewußtsein mit dem anderen "Extrem des unwandelbaren Bewußtseins" (ebd.) vermittelt. Auffällig ist, wie Hegel stets ungleiche Verhältnisse von Unterordnung unter den Selbstbewußtseinen statt eines – etwa dialogischen – Austausches unter Gleichen ins Spiel bringt. Als Vermittler der beiden Extreme erweist jener sich als "der gegenseitige Diener eines jeden bei dem anderen" (ebd.). Durch diesen "vermittelnden Diener" (W3:177) wird das unglückliche, unwesentliche Selbstbewußtsein, das im "ärmliche[n] Tun" (W3:177) seiner "tierischen Funktionen" (W3:173) verstrickt ist, aufgehoben, und es "ist ihm die Vorstellung der Vernunft geworden, der Gewißheit des Bewußtseins, in seiner Einzelheit absolut an sich oder alle Realität zu sein". (W3:177) Der Diener spiegelt dem unglücklichen Selbstbewußtsein seine Möglichkeit, als einzelnes Selbst hinter den Vorhang zur übersinnlichen Welt zu treten, die ich aber (im Geiste Heideggers) als den hermeneutischen Entwurf eines geschichtlichen Zeitalters nicht mehr als unendlich und absolut, sondern als endlich und relativ ausgelegt habe. 
 
Auf diese Weise reinterpretiert ist das Wir, das Geist geworden ist, wir, die wir als Denkende an dem hermeneutischen Entwurf arbeiten. Wie es sich im Abschnitt 4. gezeigt hat, ist der Geist selbig mit der ursprünglichen dreidimensionalen Zeit, welche die offene Lichtung für die Gestaltung des Entwurfs bietet. Solches Entwerfen ist nicht die produktive Leistung von zugrundeliegenden Selbstbewußtseinen, sondern hängt von der Empfänglichkeit der Denkenden für die Botschaften ab,(9)  die in der Zeitlichtung geschichtlich Gestalt annehmen. Solche entwerfende Gestaltung ist eine der Anblicke bzw. der Gesichter, die sowohl Wasseiende als auch Werseiende von sich in der Zeitlichtung dem Zeit-Geist als Phänomene präsentieren. Alles hängt davon ab, wie empfänglich die Denkenden sind für die – einfachsten, und deshalb am schwersten zu sehenden – Phänomene selbst, wie sie sich von sich aus zeigen, statt sie mit ihren eigenen Vorstellungen, Vormeinungen und Vorverständnissen zu überwältigen und so zu verstellen. Die Denkenden selbst sind im Dialog miteinander und bestätigen die Ansichten oder widersprechen den Ansichten der anderen Denkenden in der Bemühung, die Phänomene selbst in ihrem einfachen Sichzeigen zu einer möglichst klaren begrifflichen Sprache zu bringen. Dabei äußern sich die jeweiligen endlichen Denkvermögen der Denkenden, die gegenseitig in der vollen Breite der Wertschätzung eingeschätzt werden. 
 
Der größte Feind solcher Bemühungen sind die Verdeckungen der Phänomene, die sich im Lauf der Geschichte durch die Tradition aufgehäuft, und sich in anscheinend unbeweglichen Selbstverständlichkeiten und unrevidierbaren, liebgewordenen Denkvorurteilen verfestigt haben. Solche sind z.B. die Weigerung, den geschichtlich endlichen, zeitlichen Charakter der sogenannten übersinnlichen Welt oder das unhaltbare Denkklischee von Innen und Außen oder den wesentlichen Unterschied zwischen Was und Wer sehen zu lernen. So artet der Dialog unter den Denkenden leicht in einen polemischen dialogischen Kampf aus, in dem der Eine hoch-, der Andere niedriggeschätzt wird, während ein Dritter vom Geist der Zeit acht- und achtungslos übergangen wird. 
 

    Anmerkungen
    1. Herzlichen Dank an Astrid Nettling und Rafael Capurro für wertvolle kritische Bemerkungen. Zurück zu 1.

    2.  
    3. Der vorliegende Aufsatz setzt die Lektüre dieser beiden Texte voraus. Zurück zu 2.

    4.  
    5. M. Heidegger Hegels Phänomenologie des Geistes Vorlesung WS 1930/31 I. Görland (Hg.) Gesamtausgabe Band 32 1980 3. Aufl. 1997, hier zitiert in der Form (GA32:147) etc. Zurück zu 3.

    6.  
    7. Wenn man meint, daß das 'Absolute' bei Hegel ein Synonym für 'Totalität' ("die Totalität des historischen, anthropogenen Prozesses" S.138f) oder für 'Gesamtheit' ("die Gesamtheit der Weltgeschichte" S.135) ist, oder daß es darum geht, daß es einen Philosophen (Hegel) gibt, der "mit einem absoluten, d.h. allgemein, universell und ewig gültigen Wissen begabt ist" (S.136), dann ist offenkundig, daß man nicht verstanden hat, was das absolute Wissen bei Hegel bedeutet, sondern lediglich Geschichten erzählt. In Kojèves historisierender Interpretation von Hegel wird die spekulative Dialektik, die sich in Begriffen bewegt, zu einer bloßen Dialektik der Geschichte, die wiederum zu einer "Dialektik oder Wechselwirkung von Herrschaft und Knechtschaft" (S.151) verkommt. Seine Auslegung hat so gut wie nichts mit Hegels Philosophie zu tun, sondern ist ein Überfall auf sie von außen. Vgl. Alexander Kojève 'Zusammenfassender Kommentar zu den ersten sechs Kapiteln der Phänomenologie der Geistes' in Materialien zu Hegels 'Phänomenologie des Geistes' H.F. Fulda und D. Henrich (Hgg.), Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973 S.133-188. Zurück zu 4.

    8.  
    9. G.W.F. Hegel Phänomenologie des Geistes Theorie Werkausgabe Band 3 Suhrkamp, Frankfurt/M. 1970, zitiert in der Form (W3:140) etc. Zurück zu 5.

    10.  
    11. In seinen beiden Beiträgen 'Die verkehrte Welt' und 'Hegels Dialektik des Selbstbewußtseins' zum Sammelband Materialien zu Hegels 'Phänomenologie des Geistes' a.a.O. nimmt Heideggers Schüler Hans-Georg Gadamer diese Gegenthese seines Lehrers nicht auf und vertieft sie deshalb auch nicht. Zurück zu 6.
       
    12. Mehr dazu in M. Eldred Social Ontology: Recasting Political Philosophy Through a Phenomenology of Whoness ontos/deGruyter Verlag, Frankfurt/Berlin 2008/2011, Phänomenologie der Männlichkeit Verlag J.H. Röll, Dettelbach 1999 und 'Freiheit und Blindheit'. Zurück zu 7.
       
    13. Abgesehen von Denkern des 19. Jahrhunderts wie Feuerbach und Marx (insbesondere seine Dialektik der Wertform als Tauschbewegung der gegenseitigen Wertschätzung der Waren), sind viele Namen des 20. Jahrhunderts zu nennen, wie Karl Löwith, Martin Buber, Eugen Rosenstock-Huessy, Ferdinand Ebner, Eberhard Grisebach, Karl Heim, Gabriel Marcel, Friedrich Gogarten, Helmut Plessner, Adolf Reinach, Dietrich von Hildebrand, Wilhelm Schapp, Alfred Schütz, Ludwig Binswanger, Hermann Levin Goldschmidt. Vgl. für einen Überblick Michael Theunissen Der Andere: Studien zur Sozialontologie der Gegenwart 2. Ausg. W. de Gruyter, Berlin/New York 1977. Zurück zu 8
       
    14. Vgl. R. Capurro & J. Holgate (Hgg.) Messages and Messengers: Angeletics as an Approach to the Phenomenology of Communication Fink, Paderborn 2011. Zurück zu 9.

    15.  


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