kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


8. Der Mythos vom Phallus

b) Physis


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    8. b) Physis

  1. Das griechische Wort physis entstammt dem Zeitwort phyein, das in seiner Grundbedeutung "aufgehen" heißt. Die Natur ist demnach, vom Griechischen her gedacht und erfahren, - wie Heidegger immer wieder betont - das Von-sich-aufgehende in der Lichtung der aletheia. Phyein kann sowohl "entstehen, wachsen, werden" wie auch "zeugen, erzeugen, hervorbringen" heißen, und in der medialen Bildung physesthai heißt es "geboren werden, abstammen, aus einem Mutterleib hervor- und aufgehen" sowohl wie (in die neuzeitliche Auffassungsweise übersetzt) "von Natur eine Anlage haben", "von sich aus ein Vermögen haben". In diesem natürlichen Aufgehen steckt gewiß auch eine 'natürliche' Vertikalität: von sich aus im Offenen der aletheia als ein Unverborgenes zum Stehen kommen. Die Vielfalt der Bedeutungen von phyein ruhen in der einen Grundbedeutung von: in der Unverborgenheit in seinen Grenzen als ein Seiendes zum Stehen kommen. Mit physis nennen die Griechen das Sein als ständiges, d.h. in Grenzen gefaßtes, Anwesen in der Unverborgenheit: entbergend-ständige Anwesung.

  2. Das Zeitwort physan - von der gleichen Wurzel - nennt eine andere Art von Aufgehen, nämlich: "blasen, aufblasen", wobei es im Passiven in einer sogenannten übertragenen Bedeutung "aufgeblasen, hochmütig sein" heißen kann. Es sollte bedacht werden, ob die Gewohnheit, 'übertragene' Bedeutungen einer konkreten oder 'natürlichen', 'konkreten' Bedeutung hinzuzufügen, lediglich einer Vorstellungsweise entspringt, wonach die ästhetisch wahrnehmbare Natur in ihrer Anwesenheit und die in diesem Sinn natürlichen Tätigkeiten zunächst sprachlich artikuliert und fixiert werden, und erst nachher auf die Menschen und die Gesellschaft 'übertragene' 'kulturelle' Bedeutungen entstehen. In dieser (metaphysischen) Vorstellungsweise besitzt das ästhetisch Wahrnehmbare als ein Vorhandenes den Vorrang gegenüber einer 'geistigen' Bedeutung. Doch woher stammt die Unterscheidung zwischen 'konkreter' und 'übertragener Bedeutung? Die Unterscheidung von Natur und Gesellschaft ist eine, die erst in der Platonischen und Aristotelischen Metaphysik gedacht wurde, und die Unterscheidung zwischen 'konkreter' und übertragener Bedeutung entspricht der Aristotelischen Unterscheidung zwischen der Physik und der Meta-Physik oder der Platonischen zwischen dem Sinnlichen und dem Intelligiblen. Die übertragene Bedeutung übersteigt das sinnlich Wahrnehmbare der vorhandenen Sache zu dem nicht sinnlich Wahrnehmbaren des nur durch das noein zugänglichen Metaphysischen. Dieses Übersteigen entspricht außerdem der Scheidung des Menschenwesens in ein somatisches und ein psychisches Wesen. Anfänglich jedoch ist das Wesen des Menschen durch den unmittelbaren Bezug zum Aufgehen und Walten des von sich Aufgehenden, einschließlich der Pflanzen (phyta), im Offenen der aletheia gegeben. Das Menschenwesen selbst gehört ursprünglich in dieses einfache Aufgehen; konkretes and übertragenes Aufgehen lassen sich anfänglich nicht scheiden. Sie gehören zusammen in das Aufgehen von dem, was ist: ständ-ig in der Unverborgenheit stehen. Ursprünglich vom Seyn her gesagt - d.h jetzt nachmetaphysisch, weil in den Anfang zurücksteigend - gibt es keine Metaphern.

  3. Die physis der anfänglichen Denker verweist auf das Sein des Seienden im Ganzen (to synolon) und nicht bloß auf einen bestimmten Bereich des Seienden, den man heute als die 'physikalischen Gegenstände' oder die 'Natur' rubrizieren würde. Die anfänglichen Denker sind nicht auf den Status als die ersten, unbeholfenen Vorläufer des naturwissenschaftlichen Denkens zu reduzieren. Die Physis wird auch nicht ausschließlich einem bestimmten Blick, dem physikalisch-wissenschaftlichen Weltblick, zugänglich. Alles, was ist, geht in der Unverborgenheit auf und kommt so in seinen Grenzen zum Stehen. Auch das Aufgeblasensein eines Menschen bezeichnet ein Aufgehen, ein Prallwerden, ein Sichaufrichten, wodurch einer sich über die Anderen erhebt und derart überheblich vielleicht auch herablassend wird. Dieses Prallwerden hat mit einem physikalischen Mit-Luft-gefüllt-sein nur noch wenig zu tun, aber das Aufgeblasensein darf nicht lediglich als die 'kulturelle Bedeutung' eines körperlich-physikalischen Vorgangs aufgefaßt werden. Das Aufgeblasensein ist bereits eine Weise des menschlichen Aufgehens, das dem Männlichen eignet, und bedarf nicht erst der Übertragung von einer konkreten Bedeutung, die im somatischen Bereich der sinnlichen Wahrnehmung angesiedelt ist. Lediglich das Offene, in dem der Mensch als seiend aufgeht - die Mitwelt, die polis -, unterscheidet sich von der Lichtung des naturhaft Seienden, und zwar deshalb, weil der Mensch den Logos hat und in der Dimension der Sprache ek-sistiert. Daß ein enger Zusammenhang zwischen dem Aufgehen überhaupt und dem (männlichen) Aufgeblasensein besteht, wird schon von der engen sprachlichen Verwandtschaft zwischen den griechischen Wörtern phynai und physan angedeutet. Etymologisch - was allerdings hier nicht ausschlaggebend sein kann (sondern nur die Phänomene selbst können leitend sein) - gehören die beiden Wörter zur gleichen Wortfamilie der indogermanischen Wurzel, b(h)u oder p(h)u[1], die wohl mit der Wurzel bhel- "aufblasen, aufschwellen" verwandt ist (ebd. S.988). Dieses p(h)u als Aufgehen heißt im Grund: sein. P(h)u ist die Ant-Wort der menschlichen Sprache auf den überwältigenden Aufgang des 'ist' in der Lichtung der aletheia.



      Anmerkungen 8. b)


    1. Vgl. H. Frisk Griechisches Etymologisches Wörterbuch Heidelberg 1970 S.1056 und S.1053. Back

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