kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


5. Agonistisches Aneinandergeraten

k) Ausgegrenzte Zuneigung


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    5. k) Ausgegrenzte Zuneigung

  1. Was ist in der Bemühung um 'die Sache' ausgegrenzt? Hegel sagt es selbst: "die Zuneigung [zum Anderen] (...) als dieser besonderen Persönlichkeit", das Band ist "nicht so sehr direkt" (s.o.). Die Zuneigung ist un-sachlich, ohne die Vermittlung eines Dritten, einer Sache; sie ist eine Neigung zum Anderen als Besonderem, Einzigartigem. Es geht in ihr nicht darum, eine Sache aufzustellen, der Andere wird nicht so sehr in seinem Können anerkannt. Sein Sein-für-mich ist nicht das eines Könnens im Hinblick auf ein Hervorzubringendes, sondern in der Zuneigung ist mir seine Anwesenheit ein "Vergnügen", genauer: ein "Vergnügen an der Person des anderen als solcher". Das Vergnügen ist für Hegel kein "objektiver Inhalt", sondern vermutlich etwas Subjektives, etwas, das in den Subjekten selbst liegt. Wie kann die Person des Anderen als solche mir ein Vergnügen bereiten? Welche Kriterien liegen zur Hand, um ein Vergnügen am Anderen einzuschätzen? Im Vergnügen bin ich dem Anderen zugeneigt, ich neige mich ihm zu, ich suche die Nähe zu ihm als solchem auf. Wie aber ist der Andere als solcher, daß ich die Nähe zu ihm aufsuchen kann? Für Hegel ist diese Art von Beziehung, die Zuneigung schon das Modell für die Liebe zwischen Mann und Frau, was uns aber an dieser Stelle nicht beschäftigen soll, da die ontische Unterscheidung zwischen Frau und Mann für ein Denken vom Sein her belanglos ist. In der Zuneigung mag ich den Anderen, ich fühle mich bei ihm wohl, ich habe es gern, mich mit ihm zu unterhalten. Es kann nicht nur sein, daß ich den Anderen interessant finde, denn dies reicht nicht aus, um eine Zuneigung bei mir zu erwecken. Die Zuneigung soll nach Hegel eine "direkte" Verbindung zum Anderen stiften. Direkt heißt ohne Vermittlung etwa eines gemeinsamen Interesses, was denn auch sachlich begründet werden könnte. Bedarf die Zuneigung einer Begründung? Ist eine Begründung der Zuneigung möglich? Oder ist sie ohne Grund? Wie wird das Sein des Anderen in der Zuneigung erschlossen? Die Zuneigung ist eine Art Hingabe zum Anderen als solchem. 'Als solchem' heißt zum Anderen, so wie er ist (sofern er ist) sowie zum Anderen in seiner Andersheit. Der Andere als Könnender, Wissender und dergleichen interessiert mich in der Zuneigung nicht. Es ist fraglich, ob ich in der Zuneigung überhaupt am Anderen interessiert bin, denn das Interesse setzt voraus, daß der Andere als solcher ein Seiendes ist. In der Zuneigung scheint es keine Anhaltpunkte zu geben, anhand deren ich den Anderen als Seiendes feststellen könnte. Die Zuneigung ist etwas Diffuses und somit Unständiges, was aber nicht heißt, daß sie deshalb mangelhaft wäre. In der Zuneigung begebe ich mich in eine Diffusion des Nicht-sagen-könnens, was mich am Anderen anzieht. Der Andere als Anderer erscheint mir in keinen fest umgrenzten und deshalb angebbaren Konturen.

  2. Bei der sachlichen Verbundenheit war es problemlos zu sagen, wie der Andere ist, denn er ist im Hinblick auf die Sache ein Könnender und deshalb ist er kraft des technischen Wissens in weitem Sinn. In der direkten Zuneigung zum Anderen in seiner Andersheit hingegen taucht eine Schwierigkeit auf, den Anderen in der Sprache festzustellen. Der einzige Anhaltspunkt, den ich habe, ist sein Eigenname, aber dieser verbindet sich mit nichts. Ich kann ihn nur bei seinem Namen rufen ohne jegliche Verbindung bzw. Vermittlung mit einem Seienden. Der Eigenname verweist auf, ruft den Wen in seiner Andersheit, ohne daß dieser Name mit anderen Wörtern in einem Satz verbunden werden könnte. Der Eigenname ist nur evokativ. In der Zuneigung spreche ich den Anderen an nicht wegen einer Sache, sondern seiner Einzigkeit wegen. Ich rufe ihn und nur ihn und ich weiß nicht warum. In der Zuneigung falle ich aus dem Sagen-können, wer der Andere ist; über seinen Eigennamen komme ich nicht hinaus. Ich vermag nicht, den Anderen in seiner Andersheit in der Sprache zum Stehen zu bringen und verlasse somit selbst die logosgebundene Ständigkeit des Sagen-könnens. Das Sprachvermögen reicht nicht aus, reicht nicht hin, zu sagen, wer der Andere in seiner Andersheit ist. Die Zuneigung bringt also eine Wegneigung aus dem Sagen-können mit sich, genauso wie die Abneigung dem Anderen gegenüber ein Verlassen der Ständigkeit des Sagen-könnens provoziert. In der sachlichen Verbundenheit dagegen bleibe ich sprachmächtig, sachlich, wie der Andere auch, weil wir uns auf unsere gemeinsame Sache verstehen. Das Nicht-sagen-können bedeutet keineswegs, daß die Zuneigung leer wäre. Im Vergnügen am Anderen gibt es eine Fülle, die sich nur umschreiben, evozieren läßt.

  3. Die Auslegung der Agonistik der Werseienden in diesem Kapitel versteht sich - wie bereits betont - nicht als Kritik am Bestehenden. Sie ist keine Klage über einen bedauerlichen Weltzustand. Vielmehr bemüht sie sich um einen Einblick in das seinsgegebene, vielseitige Wesen des Wer. Wir sind auf den Kampf um die Anerkennung und die sachliche Verbundenheit der Werseienden eingegangen und können abschließend festhalten: Der Andere in seiner Andersheit entzieht sich einer Feststellung durch sein Können, das ihn in einem Gesamtzusammenhang der Poiesis in einem sehr weiten Sinn ortet. Die Poiesis findet statt, hat ihre Stätte in der Mitwelt, in der polis. Die polis ist die Lichtung für die Entbergung des Hervorzubringenden durch die poietisch aktiven, sachlich Verbundenen. Jeder versteht den Anderen im Hinblick auf die Hervorbringung und damit Entbergung von Seiendem. Durch das Können bzw. Wissen ist das Seiende als solches entborgen, es erscheint im Licht des Seins als Seiendheit, in seiner Wahrheit. Die Hervorbringenden sind in der Wahrheit des Seins als Seiendheit, sie sind Wer, Werseiende. In die Lichtung der Wahrheit des Seins sind die Werseienden als Könnende gerufen. Sie können nur, weil sie das Seiende als solches erschließen und verstehen.

  4. Die Wahrheit als Unverborgenheit für die ständige Anwesung des Anwesenden ist der letzte Grund der vertikal geordneten Lichtung des polishaften Miteinanderseins, in der die männlich Seienden als wehrhaft-ständiger Wer erscheinen, waltend aufgehen, sich aufstellen. Der Rückbezug der aletheia auf die Hervorbringenden selbst - sofern sich aletheia mit Unverborgenheit und Entbergung übersetzen läßt - ergibt das Sein der Werseienden. Die polis als Ort des Hervorbringens ist zugleich der Ort der männlichen Wahrheit, d.h. der Unverborgenheit als Wer, und deshalb Wer-Lichtung. Diese vertikal geordnete Lichtung ist der Grund und die Gegend der Wer-Agonistik, in welcher der männlich Seiende sich als Wer- und Werkkräftiges zeigt (apophainesthai).



      Anmerkungen 5. k)


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