kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


4. Der Ruf in die Polis

k) Freiheit der Selbstannäherung und geschichtliche Wahrheit heute


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    4. k) Freiheit der Selbstannäherung und geschichtliche Wahrheit heute

  1. Die Freiheit eines schöpferischen Wer ist als die Möglichkeit seiner leidvoll-leidenschaftlichen Selbstannäherung, und d.h. Werkannäherung, gegeben. So wenig ist die existenzielle Freiheit nur eine Freiheit von äußerlich auferlegten Beschränkungen und Zwängen, als daß sie vielmehr in der Möglichkeit gegeben ist, den eigenen Weg in einem bald leidenschaftlichen, bald niederdrückenden Leiden am Werk auf sich zu nehmen. Wohin dieser Weg führt, ist eine Schickung, die - unbegründet - den einzelnen Wer mit einer Gabe begabt, oder aber ihn als unbegabt existieren läßt. Nur wo die Gabe groß ist, ist die Möglichkeit einer großen Hervorbringung und eines großen, wahren Ruhms gegeben, und das nur, wenn der Begabte seiner Gabe entspricht und sein Erleiden damit in Kauf nimmt. Die Gabe nimmt ihren Begabten in Anspruch und läßt ihn nicht nur schöpfen, sondern auch sich er-schöpfen. Die Erschöpfung gehört notwendig zum Schöpferisch-sein als seine zugehörige Schattenseite. Der Unbegabte kann sich nicht erschöpfen, sondern sich nur abmühen und ermüden. In diesen Zusammenhang gehört auch die im 3. Kapitel zitierte Bemerkung des Aristoteles, wonach große Männer Melancholiker seien: Schöpfung und Erschöpfung gehen Hand in Hand.

  2. Die Frage ist nun, ob es heute die Möglichkeit großer Werke und somit großer 'Männer' noch gibt, freilich nicht mit dem berechnenden Blick darauf, ob es noch 'lohnen' könnte, das Leiden am Werk auf sich zu nehmen. Es ist keineswegs nur die Frage einer zu beklagenden und zu bedauernden Abschwächung geistiger Kräfte der Menschheit oder des Verfalls eines Volks, das nichts Großes mehr hervorzubringen vermag, und sich in eine populäre, massenhafte Verflachung verliert, noch allein eine Frage grassierender Angst vor dem Denken oder der Grenzüberschreitung, sondern eine Frage der Kraft und des Vermögens selbst. Das Wesen des Werks, die Kraft, das Vermögen und damit das Wersein als transzendental ermöglichende Dimension des großen Wer sind alle geschichtlich fragwürdige Kategorien geworden, denn die Größe ist, wenn überhaupt, eine geschichtliche Schickung und erscheint deshalb in unterschiedlichen Epochen anders. Was kann heute noch Größe heißen? Größe gibt es nicht ohne die Wahrheit des Seins, die ein großes Werk sowie einen ruhmhaften Wer als solche erscheinen läßt, und die Wahrheit des Seins, in der Seiendes als solches erscheint, ist dem Geschick der Geschichte unterworfen. Wenn heute einige traditionelle Kategorien - und das heißt immer Denkweisen - fragwürdig geworden sind, ist das keine Willkür der Menschen, keine Sache einer Mode, die daran Gefallen findet, traditionelle Begriffe infrage zu stellen und womöglich ins Wanken zu bringen, sondern deutet auf die Vollendung und damit auf die Erschöpfung gewisser geschichtlicher Möglichkeiten. Bisher ist das geschichtlich Große immer eine Großartigkeit des Könnens gewesen, und der große Wer ist immer ein großer Könnender gewesen, was immer auch hieß: Durchdringung und Bemeisterung und Aneignung des Anderen, seine poietische Assimilierung zum Selben. Vielleicht hat sich die Lage heute geschichtlich insofern verkehrt, als es nicht mehr ums Können im Sinn einer Hervorbringung in die Unverborgenheit gehen kann, sondern eher um ein Nicht-können, um das Scheitern am Anderen, um die Nicht-Bemeisterung, um die Kapitulation vorm Anderen, um das Verborgenlassen der Verborgenheit. Nicht mehr Bemeisterung und Aneignung und Einverleibung ins Selbe, sondern Zulassen der Differenz, Versagen der Identität kämen dann geschichtlich so zum Vorschein, daß auch das Aussehen eines großen Werseienden sich wandelte. Würde dann die Hingabe ans Werk und die Selbstvergessenheit angesichts des Anderen so weit gehen, daß der Eigenname nicht mehr in der Lichtung erscheinen und scheinen würde? Der Sinn des Nicht-Könnens muß noch erläutert werden, denn es geht nicht an, das bloß Stümperhafte als eine große Leistung hinzustellen.



      Anmerkungen 4. k)


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