kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


4. Der Ruf in die Polis

j) Das wahre Werk


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    4. j) Das wahre Werk

  1. Was genauer scheint als die Berühmtheit eines Wer in die Öffentlichkeit hinein? Oder: Wie erscheint der Werseiende überhaupt in der Öffentlichkeit? Die leibhafte Erscheinungsweise des männlich Seienden ist meistens für die Etablierung seines Ruhms überflüssig oder zumindest sekundär; der Ruhm haftet dem Leib selbst keineswegs an, sondern er west in den meisten Fällen bloß mit an als unvermeidbarer 'natürlicher Träger' für einen gelegentlichen leibhaftigen Auftritt im Licht der Öffentlichkeit. Selbst etwa der Leib des Leistungssportlers, der etwas Großes mit seinem Leib leistet, wird nicht als ruhmhaft an sich angesehen, sondern nur als Indiz seines Leistungspotentials, d.h. der Ruhm haftet vielmehr, wie schon oben angedeutet, am Können des Wer und - im höheren Sinn - am Werk des Gerühmten, das nur mittelbar leibhaftig erscheint. In der vorliegenden Abhandlung wird das Phänomen des Ruhms bzw. der Berühmtheit nur im Zusammenhang mit dem Werke-schaffen im weitesten Sinn erörtert. Der Berühmte hat zwar notwendigerweise ein leibliches Aussehen, aber dieses erscheint nur als die individuelle Begleiterscheinung des ruhmhaften Werks des Berühmten, nicht als dieses selbst. Das Wahre des ruhmhaften Wer liegt deshalb im Wahren und Ständ-igen des vom männlich Seienden Hervorgebrachten selbst. Die Betonung des Könnens, des Werks verweist auf das poietische Wesen des männlichen Seins. Die poiesis bringt hervor, entbirgt; ein Seiendes wird durch den könnenden, eigengenannten Werseienden in die Lichtung des Seins hervorgebracht und steht dort als ein Ständiges, Zustandegebrachtes. Abgesehen von jedem Können ist eine Voraussetzung für das Werk die Lichtung des Seins selbst, kraft derer sowohl gekonnt als auch das Hervorgebrachte als ein solches gesehen werden kann.

  2. Die Frage verschiebt sich also von der Wahrheit des Wer zur Wahrheit des vom Wer hervorgebrachten Werks. Wie kann ein Werk wahr sein, was macht seine Wahrheit aus? Ist das Gegenteil des Wahren hier das Falsche, das Unrichtige? Oder west im Wahren des Werks ein anderes Wahrheitswesen als die Richtigkeit? Gibt es überhaupt eine Wahrheit des Werks? Damit ein Werk als Werk eines Werseienden erscheinen kann, muß eine Verbindung zwischen einem Eigennamen - der auch ein Pseudonym oder ein erfundener Name sein kann - und einem Hervorgebrachten bestehen und zwar solcherart, daß das erscheinende Hervorgebrachte als dieses Erscheinende mit einem Eigennamen verknüpft bleibt und daß das Hervorgebrachte ins Unverborgene einer die öffentliche Rede gewährenden Lichtung hineinsteht. Die Wahrheit des Werkes hängt nicht davon ab, ob der wahre 'Wert' des Werkes im Licht der Öffentlichkeit erkannt und anerkannt wird, auch wenn das Werk und dessen Wahrheit nicht völlig vom Mitsein abstrahiert werden kann; wir gehen hier vom Faktum aus, daß dem mit dem Eigennamen eines besonderen namhaften Wer versehenen Werk eine rühmende, wenn auch vielleicht umstrittene Anerkennung zuerkannt wird. Anerkennung sowie Verkennung des Werkes eines Schaffenden sind mitweltiche Phänomene, die u.a. damit zusammenhängen, was das Werk der Mitwelt zumutet. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, einzusehen, was die Wahrheit des anerkannten Werkes - oder seine Unwahrheit - überhaupt ausmacht.

  3. Ein wahres Werk, d.h. die wahre poiesis, kann nur von einem wahren Wer vollbracht werden. Aber ein wahrer Werseiender ist umgekehrt derjenige, der sich am wahren Werk bewährt und wahr wird. Im wahren Werk entwirft sich zugleich der Wer als wahr. Beide, das Werk sowie sein Schöpfer, stehen in der Wahrheit. Das Werk ist ein Ständiges, das in die Lichtung der Mitwelt als ein Entborgenes hineinsteht und dort aufgenommen und erschlossen werden kann. Die Wahrheit des Werseienden liegt in der Möglichkeit seiner allmählichen Imaginisierung, wodurch er sich zu seinen eigensten Larven als seinen 'wahren', d.h. ihm wahrhaft entsprechenden und deshalb ihm zugehörenden Masken durchringt. Seine eigensten Larven entstehen aus der sich selbst entwerfenden Arbeit am Werk und machen letztlich die Weisen des Existierens des Wer, seine Lebensweise, aus. Die Imaginisierung und die eigensten Larven werden nur durch einen sich selbst entwerfenden Sprung ins Werk und durch das Leiden und die Auseinandersetzung am Werk selbst vollzogen, d.h. entdeckt und erfunden. Es gibt nichts Wahres, das 'aus dem Ärmel geschüttet' noch im tiefen 'Inneren' als Begabung einfach psychologisch gefunden werden könnte, sondern das Werk erfordert Anstrengung und Arbeit, es fordert den Schaffenden heraus zu werden, wer er sein könnte. Das Werk nimmt seinen Schöpfer in Besitz und verwandelt ihn womöglich in einen Besessenen. Es kann mithin nichts anderes sein als das Hervorgebrachte der Umherfahrt seines Schöpfers bis in seine Selbstnähe, die als das Ergebnis eines Durchleidens der wiederholten Selbstentlarvung in der Verpuppung zu verstehen ist, die den Schaffenden immer wieder und unerbittlich auf sein falsches Sichvormachen, sein eitles Sicheinbilden hinweist. Bei der Imaginisierung und der Selbstannäherung handelt es sich nicht um ein Heranrücken an einen festen, etwa in der Seele bestehenden, prädeterminierten Selbstpunkt, sondern um die Selbsterfindung durch das Schaffen, das ein noch nie Dagewesenes in die Welt setzt und aufrichtet.

  4. Das Sichvormachen falscher Larven wird durch den Selbstzweifel offenbar, der wiederum mit dem Zweifel am eigenen Werk gleichzusetzen ist. Selbstnähe und Werknähe sind austauschbare Größen, aber die Nähe zum Werk bedeutet insofern auch eine Selbstvergessenheit, als der Wer sich dem Werk hingibt und sein Ich 'vergißt'. Der wahre Werseiende existiert nur als eine immer wieder durch die Arbeit am Werk gescheiterte Existenz, die sein regelmäßiges Scheitern in der Verpuppung als die Bedingung seiner eigenen Werk-Wahrheit zuläßt. Dieses Scheitern wird nicht ausgestellt, sondern vollzieht sich in einer selbvergessenen Hingabe ans Werk, die darin besteht, daß der Schaffende um (fast) jeden Preis das macht, was das Werk von ihm fordert. Das Band zwischen dem Werk und dem narzißtischen Kern, d.h. dem Eigennamen, muß durchschnitten oder zumindest relativiert werden, damit das Werk als ein wahres hervorzutreten vermag, denn das Werk selbst ist gleichgültig gegenüber dem Narzißmus seines Schöpfers; es braucht ihn nur, um zustande gebracht zu werden. Derjenige, der berühmt werden will, strebt danach, daß sein Name mit dem Werk verknüpft bleibt und sich in der Öffentlichkeit herumspricht. Die Berühmtheit ist ein Aufgehobensein in der kollektiven Meinung der Mitwelt als namhafter Werseiender, wobei das vom Werseienden geschaffene Werk in der Mitwelt Gefallen findet. Das Gefallen jedoch ist kein zuverlässiges Kriterium der Wahrheit eines Werks, da die Wahrheit selbst nicht um des Menschen willen waltet, sondern ihn braucht und herausfordert. Insbesondere ist die Virtuosität, die den Beifall der Mitwelt auslöst, kein zuverlässiges Kriterium der Wahrheit eines Werks, weil sie das Können des Künstlers in den Mittelpunkt stellt. Der Ruhm dagegen entsteht aus einer Selbstvergessenheit, in der es allein um das Werk selbst geht und nicht um das Herausstellen des Eigennamens, was sekundär, nebensächlich und höchstens eine Folge der Schaffung eines Werks bleibt. Die Wahrheit eines Werks, die einen Namen in der Öffentlichkeit ruhmhaft machen kann, erfordert die Selbstvergessenheit des Schaffenden, seine Hingabe ans Werk, auf das die ganze Anstrengung des Schaffenden aufgewendet wird.

  5. Vorausgesetzt, der Werseiende hat am Werk einen großen Auftrag zu erfüllen, bemißt sich die Größe der Wahrheit des Wer an der Standfestigkeit, sich durch die eigenen Unwahrheiten, d.h. die Unzulänglichkeiten des Werks, erschüttern zu lassen. Die Ver- und Entpuppung des Werseienden entbirgt sein Eigenstes, und zwar am Werk und als Werk. Wenn dieses Eigenste, die Kreativität des Wer, groß sein soll, dann dadurch, daß im Werk des Werseienden eine neue, bisher nie dagewesene Gestalt in die Lichtung der Wahrheit des Seins gelangt, die der Mitwelt Anstöße gibt, und zwar so, daß das Seiende selbst in einem anderen Licht erscheint. Das wahre Werk stößt in eine andere Richtung vor, oft auf unscheinbare Weise, indem es die Welt als die Unverborgenheit des Seienden als solchen - teilweise oder total - anders entwirft. Das wahre Werk erschließt eine andere Sicht der Dinge, eine andere Unverborgenheit, eine andere Wahrheit derselben. Es ist aber nicht so, daß anderes Seiendes neu entdeckt wird, sondern daß das Seiende als solches für die geschichtliche Mitwelt anders entworfen wird. Indem das Sein die Menschen braucht, damit Seiendes als Seiendes zu erscheinen, d.h. in die Lichtung der Wahrheit des Seins zu treten vermag, gibt es zugleich dem Menschenwesen auch die Freiheit, das Seiende als solches zu entwerfen, d.h. darüber geschichtlich-mitweltlich zu entscheiden, als was das Seiende erscheinen wird, wobei dieses Entscheiden das Zur-Gestalt-bringen einer Schickung beinhaltet und deshalb nichts Beliebiges ist.

  6. Oft genug, notwendigerweise sogar, wirkt der Anstoß eines neuen Entwurfs des Seienden zunächst abstoßend und befremdend. In dem Falle treten der Ruhm und das von populärem Gefallen getragene "bloße Berühmtsein" völlig auseinander und dies unter Umständen so sehr, daß der Name des Ruhmhaften eher verpönt als berühmt ist. In der Wahrheit eines Werks liegt die Entbergung eines zuvor nie Dagewesenen, das das Gewöhnte und die Welt durch sein verblüffendes In-Erscheinung-treten in Frage stellt. Die Wahrheit des Werks bleibt dann in der Mitwelt verstellt, was dann in verschiedenen Mißverständnissen ausartet, die erst durch einen Streit ausgeräumt werden können, wenn überhaupt. Der wahre Wer ist kraft seiner Kreativität so in der Wahrheit, daß er durch die Auseinandersetzung mit der Tradition eine neue Gestalt hervorzubringen vermag, die, indem sie das Seiende anders mitentwirft, eine andere geschichtliche Welt vorzeichnet. Die Wahrheit des Werks liegt in der Entbergung eines Seienden, das anderen etwas zu sagen hat, dergestalt daß das Werk trotz der von ihm ausgelösten Ablehnung in kleinem oder großem Maße geschichtsstiftend wirkt. Der Schöpferische hat der Mitwelt etwas Weltbewegendes, die Wahrheit des Seienden als solchen Verschiebendes mitzuteilen. In dieser Mitteilung ist die Eitelkeit eines berühmt-sein-wollenden Schaffenden fehl am Platz.

  7. Die Arbeit am Werk ist nichts anderes als die Auseinandersetzung mit der eigenen Unwahrheit, die unweigerlich auch in einer hybriden Selbstgefälligkeit besteht. Die Unwahrheit besteht in einem Festhalten an der eigenen Eitelkeit in einer inneren Weigerung, sich dem Werk vorbehaltlos hinzugeben und nur das zu machen, was das Werk ernötigt. Das Werk erfordert vom Wer, in seinem Streben die Dimension des Werseins gleichsam hinter sich zu lassen, d.h. seinen Namen zu vergessen. Der Applaus der Öffentlichkeit (die Berühmtheit) ist oft genug der schlechteste Indikator dafür, ob der Wer mit dem Werk etwas Schöpferisches geleistet hat, was letztlich, um mit Heidegger zu reden[1], heißt: Geschichte stiften, oder, wenn dies zu großartig klingt, die geschichtliche Mitwelt mitgestalten, mitentwerfen. Das Scheitern am Werk ist das Scheitern an sich selbst, an seiner Einbildungskraft im doppelten Sinn, und umgekehrt. Das Schöpferische nährt sich von der Leidensfähigkeit sowie der Leidenschaftlichkeit eines Wer, der sich in seinem Werk auf die Spur kommen will und muß, indem er sich selbst vergißt. Der schöpferische Wer geht im seinem Schaffen auf und wird dadurch ganz 'zum Werk'. Das Hervorbringen (poiesis) ist das leidenschaftliche Erleiden (pathein) einer Schickung, die ins Werk gebannt werden will, damit andere sie auch 'sehen' können. Der wahre Ruhm, falls ein solcher sich einstellen soll, erweist sich so als das Hervorscheinen in die Öffentlichkeit des wahren Werkes eines Wer, der sich sich selbst, d.h. seinem Werk, wahrhaft stellt. Das wahre, entbergende Werk, in dem sich eine andere Gestalt des Als des Seins zeigt oder zumindest ankündigt, mutet den Menschen etwas, eine andere Geschichte zu, denn das Ins-Werk-setzen der Wahrheit erschüttert eine alt gewordene Welt mit ihrem selbstverständlich gewordenen Entwurf des Seienden im Teil oder im Ganzen, an den sich die Menschen, an ihre Gewohnheiten gewöhnt, halten und klammern. Der berechtigte Ruhm eines wahrhaft großen Schaffenden läßt deshalb auf sich warten oder ist sehr umstritten, oder sein Werk wird nivelliert und mißverstanden oder ignoriert. Ein Streit zwischen geschichtlichen Welten entzündet sich, bis die Erschütterung, die vom Werk ausstrahlt, einigermaßen geschichtlich bewältigt, d.h. in der gesellschaftlichen Lichtung aufgenommen und verarbeitet zu werden vermag. Im Lauf dieser Bewältigung fängt ein Bereich des Seienden an, in einem anderen, bisher ungekannten Licht zu leuchten. Der Ruhm wahrt dann den Eigennamen des Schöpferischen über den Tod hinaus in einem fortwährenden Glanz.



      Anmerkungen 4. j)


    1. Vgl. Heidegger 'Der Ursprung des Kunstwerks' in Holzwege. Back

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