kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


4. Der Ruf in die Polis

f) Beruf


Version 2.1 July 1996
e-mail: artefact@t-online.de

Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


Copyright (c) 1985-1996 by Michael Eldred, all rights reserved. This text may be used and shared in accordance with the fair-use provisions of U.S. copyright law, and it may be archived and redistributed in electronic form, provided that the author is notified and no fee is charged for access. Archiving, redistribution, or republication of this text on other terms, in any medium, requires the consent of the author.

    4. f) Beruf

  1. Für den nicht-berühmten Wer besteht der Ruf in erster Linie im Beruf, der ihm seinen ersten und letzten Ort und Halt in der gesellschaftlichen Lichtung der polis bietet. Wie der Ruf ist auch der Beruf ein Nimbus, der den Wer umgibt. Der Beruf entbirgt den Wer, indem er sagt, wer er ist im Besorgungszusammenhang des Miteinanderseins, d.h. in der Ökonomie des Umgangs mit Seiendem. Da das alltägliche Leben sich in erster Linie durch das Besorgen im Umgang mit verschiedenem Zeug bestimmen läßt, muß auch der Wer 'zunächst und zumeist' auch vom Bewandtniszusammenhang des Zeugs her gedacht werden, denn es geht um die Bestimmung einer Seinsweise, und Heideggers Analysen in Sein und Zeit enthalten wichtige Hinweise, um jetzt - über Heidegger aber unter seinem Geleit hinausgehend - die Seinsweise des männlich Seienden weiter zu bestimmen. Der Begriff des Berufs bietet das Scharnier, mit dem ein Zusammenhang zwischen der Dimension des Werseins und der Welt als Bewandtnisganzheit hergestellt werden kann. Der Beruf ortet den Werseienden im Gesamt der Besorgungszusammenhänge des geschäftigen Miteinanderseins. Im Alltag macht der Wer Geschäfte, arbeitet, treibt Handel usw. Durch das, was er tagtäglich treibt, und als der, der so-und-so treibt, erscheint der Wer 'zunächst und zumeist' in der Lichtung der Polis. Im alltäglichen Geschäft verwendet der Wer Seiendes mit dem Charakter des Um-zu: Zeug. Das Zeug ist dem Werseienden dadurch offen und zugänglich, daß es zu etwas gut ist, was dem Werseienden in der Ausübung seines Berufs nützlich ist, und dieses Gut-zu... als solches vom Werseienden erschlossen ist. Für sich selbst und andere ist der Werseiende in erster Linie einer, der so-und-so einen Beruf ausübt. Der Beruf ist mehr als Selbstdefinition oder soziale Rolle, er ist zuallererst Erscheinungsweise, Weise des Entbergens eines bestimmten Seienden, des männlich Seienden, die zum Seinsverständnis des Daseins gehört. Als Seiendes ist der männlich Seiende sich selbst sowie anderen 'zunächst und zumeist' zugänglich in seinem Sein, d.h. seinsverständlich, durch seinen Beruf, d.h. durch seinen habituellen Umgang mit Zeug im Arbeits- bzw. Geschäftsleben der Polis. Das Seinsverständnis des Berufs erlaubt erst ein Selbstverständnis von sich bzw. ein Fremdverständnis durch andere als einen, der so-und-so einen Beruf ausübt.

  2. Was ist der Beruf als Seinsweise genauer? Er ist nicht nur das, was sagt, was der männlich Seiende tagtäglich tut, sondern das, was sagt, was der männlich Seiende kann. Im Beruf erscheint der männlich Seiende in seinem Können, d.h. poietisch. Ein Können hat er nur, weil sich seine Existenz durch Seinkönnen auszeichnet, das ihn können läßt. Er ist ein könnendes Wesen. Nicht nur ist ihm Zeug wegen seines Könnens als Zeug - als Seiendes, das zu etwas gut ist - zugänglich, sondern er versteht sich selbst auch aus diesem Können. Nicht nur versteht er sich selbst, sondern andere verstehen ihn genauso aus seinem Können, d.h. als denjenigen, der so-und-so kann. Als Wer ist er den anderen durch seinen Beruf zugänglich, d.h. in der Seinslichtung offenständig als ein so-und-so könnendes Seiendes und in seinem Können stehend. Mit der Berufswahl hat sich der Wer auf seine Zukunft hin entworfen, d.h. eine Möglichkeit seiner Existenz im künftigen Miteinandersein gewählt. Ob er sich in seiner Berufswahl berufen fühlt, oder ob er notgedrungen einen Beruf ergreift, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, macht hier keinen Unterschied, da es uns lediglich darum geht, zu sagen, was Wersein ist. Die Berufsbezeichnung sagt aus, wer der männlich Seiende ist, und läßt es ins Licht des Seins treten. Als ein so-und-so Könnender ist der männlich Seiende 'politisch', d.h. in der Mitwelt, entborgen, sein berufliches Können macht seinen Wer-Nimbus wesentlich mit aus. Der Nimbus ist der der ontologischen Differenz, die den männlich Seienden als Werseienden erscheinen und scheinen läßt. Die Hauptschwierigkeit, dies einzusehen, liegt darin, daß der Beruf das Bekannteste von der Welt ist, und diese Selbstverständlichkeit sperrt den Weg zu einem Verständnis desselben als einer Seinsweise, einer Weise, wie das Ereignis sich ereignet und Seiendes vom Sein differieren und damit als solches aufleuchten läßt.

  3. Ontisch bedeutet der Ruf des Berufs, daß man für Andere etwas kann, wenn sie nur zu einem kommen oder einen anrufen oder rufen lassen. Der Wer kann sich auf seinen Beruf berufen, wenn nach seinem Wer gefragt wird, oder wenn er einen Weg in der Mitwelt gerade sucht. Er gibt seinen Beruf an, wenn er sich bei Anderen vorstellt, damit sie eine Vorstellung darüber bilden können, mit Wem sie es zu tun haben. Was der eine kann, 'spricht sich herum' - auch in der 'anonymen' Großstadt, wo man trotzdem im Bekanntenkreis, im offenen Kreis der Bekanntheit, bekannt und benannt wird und bleibt. Die Anderen reden darüber, was der Eine kann und nicht kann, und er wird demnach wegen einer bestimmten Aufgabe gerufen oder eben gerade nicht. Das spezifisch Verrufene des Berufs spricht sich als angebliche Inkompetenz oder Unaufrichtigkeit herum. All diese Möglichkeiten des ontischen Verstehens fußen auf einem Seinsverständnis des Wer, das als selbstverständlich genommen wird, nämlich daß dieses Seiende von seinem Seinkönnen her verstanden wird. Der Wer als Seiendes läßt sich wiederum nur aus dem Verständnis von Welt verstehen, wobei die Welt in ihrer Alltäglichkeit zuerst durch die Weisen des Besorgens im produktiven Umgang mit Seiendem gekennzeichnet ist. Modern gesprochen könnte man sagen, das Leben ist in erster Linie, als Alltag, ein ökonomisches. Das Seiende wird in erster Linie verstanden innerhalb des Gesamtzusammenhangs des ökonomischen Lebens im weiten Sinn. Dieser Gesamtzusammenhang macht die alltägliche Welt aus. Auch der männlich Seiende hat seinen Ort in dieser Welt, die durch seinen Beruf vorgezeichnet ist. Der Gesamtzusammenhang der Berufe macht die Wirtschaft aus, sofern sie als Zusammenhang arbeitender Menschen verstanden wird. Ist die vorliegende Abhandlung denn eine Theorie des homo laborans, des arbeitenden Menschen, was dann als eine Bestätigung marxistischer Theorie genommen werden könnte? Der Mensch wäre dann definiert als das arbeitende Tier, eine sehr traditionelle Wesensbestimmung des Menschen. Wenn es bloß so einfach wäre! Eine die ontologische Differenz berücksichtigende Zusammenfassung des bisherigen Gangs mag daher hilfreich sein.



      Anmerkungen 4. f)


    1. Back

    2. Back

    3. Back

    4. Back

      artefact