kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


2. Männlichkeit als Wersein

j) Die Ungedachtheit des Werseins in der Philosophie


Version 2.1 July 1996
e-mail: artefact@t-online.de

Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


Copyright (c) 1985-1996 by Michael Eldred, all rights reserved. This text may be used and shared in accordance with the fair-use provisions of U.S. copyright law, and it may be archived and redistributed in electronic form, provided that the author is notified and no fee is charged for access. Archiving, redistribution, or republication of this text on other terms, in any medium, requires the consent of the author.

    2. j) Die Ungedachtheit des Werseins in der Philosophie

  1. Die neuzeitliche Philosophie, die sich zuallererst mit dem Ich als unerschütterlichem Fundament des In-der-Welt-seins beschäftigt, hat sich nirgendwo von der ureinfachen Faktizität der Eigengenanntheit angehen lassen und sich also nicht mit der Frage nach dem Sein als Wer auseinandergesetzt. Wenn Kant den Cartesischen Ansatz als "Ich denke etwas" übersetzt und das Ich als die verbindende Form der Vorstellung denkt, bedenkt er nicht, daß diese den 'Erlebnisstrom' verbindende Form nur als eigengenannte ist, d.h. daß sie in der Sprache beheimatet ist. Damit bleibt Kants Denken im Ansatz anonym. Das erkenntnistheoretische Vorhaben seiner Kritik der reinen Vernunft, die Fundierung des Wissens in der Vernunft, läßt ihn die banalen, erkenntnistheoretisch uninteressanten Fakten der ausdrücklich männlichen Ek-sistenz übersehen, was freilich keinen Einwand darstellt. Kants Zeit war noch nicht die Zeit, das Phänomen des Wer zu sehen bzw. zu reflektieren. Dazu brauchte es noch hypertrophe, groteske Formen der Öffentlichkeit, in denen Eigennamen großgeschrieben sind, damit nicht die Erkenntnis, sondern die Existenz in der Mitwelt als Problem ins Zentrum der philosophischen Aufmerksamkeit rücken konnte, und zwar so, daß eine ethische Fragestellung radikaler als bisher in der philosophischen Tradition sich ergeben konnte. Die Radikalisierung besteht darin, daß die Ethik selbst ontologische Dimensionen annimmt und so die Problematik einer Handlungs- oder Sollensethik überwindet.

  2. Der vorliegende Denkweg beim Wer des männlich Seienden anzufangen, steht überhaupt in Kontrast etwa zum idealistischen Ausgangspunkt eines absoluten, eines wissenwollenden oder eines sich als frei setzen-wollenden Ichs. Das absolute Ich, wie es bei Fichte und noch in verwandelter Form bei Hegel anzutreffen ist, will sich von allen Festlegungen und bestimmten Inhalten, selbst seines Eigennamens, zunächst freimachen, um sich als isoliertes, ungebundenes Subjekt seiner absoluten, gleichsam autistischen Freiheit zunächst einmal zu vergewissern, um dann erst seine Welt aus sich selbst heraus der Vernunft gemäß zu entfalten. Das Cartesische wissenwollende Ich gehört insofern mit dem absoluten zusammen, als dieses sich möglichst nur aufgrund einer absoluten, unerschütterlichen Gewißheit auf die Welt einlassen will. Das absolut gesetzte Ich als unbedingte arche/, als absolut herrschender Ausgang muß erst einen mit vernunftgemäßem Wissen abgesicherten Weg in die Welt suchen, es strebt nach seiner - allerdings nicht namentlichen - willentlichen Identität mit der Welt, ein reichlich narzißtisches Projekt, nicht im psychologischen, sondern im streng bedacht philosophischen Sinn. Das Subjekt als absolut Zugrundeliegendes muß (als Auftrag des Seins) seine Welt von sich aus, und d.h. von seinem von den neuzeitlichen Philosophen ungenannten Wer aus, entwerfen wollen. Die Neuzeit ist der (zuletzt mißlungene) Versuch, den Menschen als Subjekt dem All des Seienden zu unterlegen. Das Mißlingen dieses Versuchs besteht gewissermaßen gerade im Gelingen der Technik, das Seiende zu beherrschen, und damit das Subjekt als Herrscher über das Seiende stark zu machen.

  3. Das Überspringen des Phänomens des Wer beschränkt sich nicht auf die Neuzeit. Bei Aristoteles ist das Sein des Seienden von einer 1. Kategorie aus entworfen, dem Wassein, dem substantiellen Träger aller weiteren Seinsbestimmungen, der Akzidenzien. Das Wersein kommt nicht thematisch zum Vorschein, es ist gleichsam die unterschlagene 0. Kategorie, die in eine andere Dimension, die Dimension der Anderen weist. Auch der Platonische Sokrates strebt rein und jenseitig nach der Wahrheit; das 'Satyrspiel' im Symposion am Schluß, wo Alkibiades, der macht- und ruhmstrebige Mann wieder erscheint, deutet in die Phänomenalität des Werseins, aber auf nur beiläufige Weise. Das Streben nach der Wahrheit soll sich auf einer höheren Ebene situieren als das Streben nach mitweltlichem Ruhm und Macht, das letztlich einer unnützen Weltlichkeit gleichkommt. Die erstrebte Wahrheit erlaubt Einsicht in das Sein des Seienden, fernab vom bloß weltlichen Ruhm. Hier jedoch wird die Abwendung vom weltlichen Streben noch einmal radikalisiert, indem nach der Dimension des Ruhms überhaupt gefragt wird.

  4. Die Hauptkategorien für die Metaphysik sind das Wassein und das Daßsein. Beide bringen das Sein des Seienden fundamental zur Sprache und bedingen alle weiteren Kategorien wie z.B. das Wie- und Wann- und Wosein. Die Metaphysik geht von der dritten Person singular, vom Es-ist aus. Vom Es-ist wird auf die anderen Personen geschlossen, wie Ich-bin und Du-bist. Dieser Schluß ist aber ein Fehlschluß, ein Kurzschluß, der die Dimension des Werseins, die letztlich vor allem zwischen der ersten und zweiten Person gespannt ist, überspringt und schließt. (Auch die dialogische Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts, die das Du-bist ins Zentrum rückt, setzt sich nicht tief genug mit der ersten Kategorie der Metaphysik auseinander und bleibt insofern in der Metaphysik stecken. Der dialogische Ansatz muß deshalb radikalisiert werden.) Ich-bin ist von Es-ist nicht ableitbar noch übertragbar, das Wassein läßt sich nicht beliebig auf andere grammatikalische Personen übertragen, der Übergang ist blockiert, denn das Wassein läßt sich nicht mit dem Wersein zur Deckung bringen.

  5. Das Wersein ist sui generis und muß für sich mit dem Blick eigens auf das Phänomen des Wer gedacht werden (vgl. Kap. 6). Ich bin nicht etwas, Wersein ist nicht Wassein, sondern: Ich bin Wer. Wer ist nicht (et)Was. Auch wenn andere auf mich deuten, bin ich für sie in der dritten Person kein Etwas, sondern Wer. 'Ich bin (Wer)' ist hier maßgeblich und läßt sich nicht in 'Er ist (etwas)' ohne weiteres übersetzen, denn die Übertragung verwandelt die Seinsmodalität. Mein Wassein und Daßsein für einen unpersönlichen 'verdinglichenden' Blick klaffen von meinem Wersein, das eigens gedacht werden muß, gänzlich auseinander. Die Kategorien der Aristotelischen oder der Kantischen Kategorienlehren bewegen sich alle in der Dimension der dritten Person, des 'Es ist', während das 'Ich bin' erst mit einer 0. Kategorie neben dem Wassein und dem Daßsein in den Blick kommt: mit dem Wersein. Dies läßt sich leicht zeigen: "Ich bin ein Wer" z.B. ist kein zulässiger Satz, weil "ein Wer" eine Verwechselbarkeit vortäuscht, die es nicht gibt. Ich bin Wer, unverwechselbar, unbezüglich, eigens, kein anonymes, beliebiges Was und vielleicht deshalb sogar wesenlos. Wer bin ich auch nur in der Sprache, im logos, d.h. in der Lichtung des Seins, aber erst in einer Einzelheit, einer Singularität der Sprache: in meinem Eigennamen. Ein Tier kann niemals Wer sein, da es die Lichtung des Seins nicht bewohnt. Mir selbst gegenüber bin ich auch immer Wer, oder genauer, ich bin mir selbst eigentlich nie gegenüber, da niemals in der dritten Person mir selbst gegenüber. Mir selbst bin ich unentrinnbar, immer mit mir selber verhaftet, und sei es, daß ich eine so gewalttätige Abstraktion von mir selber vollführe, in der ich versuche, eine 'objektive' Distanz zu mir selber einzunehmen. Alle Versuche, meine Einzelheit als Wer in ein allgemeines Wesen zu überführen, scheitern notgedrungen. Sie bleibt deshalb auch für Andere unzugänglich.



      Anmerkungen 2. j)


    1. Back

    2. Back

    3. Back

    4. Back

      artefact